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Wirtschaftliche Situation Wirtschaftliche Situation: Macht Mindestlohn auch Zirkussen in der Region zu schaffen?

Von Klaus Adam 11.11.2014, 19:53
Auch Vernado Hein arbeitet mit Kindern.
Auch Vernado Hein arbeitet mit Kindern. MZ Lizenz

Jessen - „Wenn der Zirkus kommt, in unsere kleine Stadt, dann gibt es Tag und Nacht so viel zu seh’n.“ Als die kleine Italienerin Rita Pavone dieses Lied in den 60ern zu einem deutschen Hit machte, herrschte auch in den Zirkuszelten noch eitel Sonnenschein. „Die bunten Wagen und Zelt, ja, das ist meine Welt, das Zirkusleben ist so wunderschön“, ging es bei ihr weiter. Inzwischen finden allerdings nicht mehr viele Zirkusleute ihr Leben so toll. Der Zirkus Probst aus Zerbst - einer der größten und erfolgreichsten Privatzirkusse mit langer Tradition - stellte vor kurzem seinen Tourneebetrieb vollständig ein. Das ist der Jessener Redaktion Anlass, sich bei heimischen Zirkusbetrieben umzuhören, wie sie ihre wirtschaftliche Situation derzeit bewerten.

Der Zirkus Probst macht vor allem die Anforderungen, die der Mindestlohn mit sich bringt, für sein Aus als traditioneller Zirkus verantwortlich. Dabei sei es nicht allein das Geld, sondern auch der damit verbundene zusätzliche bürokratische Aufwand, der den Zirkusbetrieben das Leben schwer macht, hatte Zirkusdirektor Rüdiger Probst der MZ erklärt.

Projektzirkus Sperlich gibt es seit 2005

Für mindestens die nächsten beiden Jahre hat auch der in Herzberg beheimatete Varietézirkus Rolandos sein Tourneeprogramm auf Eis gelegt, wie Direktor Roland Krämer der MZ bestätigte. Einzelprojekte und Engagements bei anderen Veranstaltern werden die künftige Arbeit bestimmen. Grund sind die generell ansteigenden Kosten ringsum.

So dramatisch sieht es allerdings der Wittenberger Matthias Vogler, Tourneemanager des in Meltendorf beheimateten „1. Ostdeutschen Projektcircus André Sperlich“ nicht. „Wir sind kein klassischer Zirkus“, sagt er. Als Zirkus für die Schulen ließen sich die Einnahmen besser kalkulieren. Seit 2005 gibt es den Projektzirkus André Sperlich, der aus dem im Jahr 2000 gegründeten Circus Sperlich hervorging und aus dem sich wenig später der „1. Ostdeutsche Projektzirkus André Sperlich“ entwickelte. Schon Mitte der 2000er Jahre erkannten die Meltendorfer Artisten, dass sie sich angesichts der Vielzahl von tourenden Unternehmen etwas Neues einfallen lassen müssen. Die pädagogisch wertvollen Erlebnisse von Schülern als kleine Zirkusartisten sahen André Sperlich und seine Mitstreiter seinerzeit sehr genau und profilierten ihr damals noch junges Unternehmen - das sich aus dem Traditionszirkus Hein gegründet hatte - zum Schulzirkus um. Damals war er einer der ersten, die dieses neue Betätigungsfeld für sich entdeckten.

Mittlerweile ist der Projektzirkus mit drei Zelten, sprich drei Betriebsteilen, in der gesamten Bundesrepublik unterwegs. So bestätigt es Matthias Vogler. Im kommenden Jahr, so ergänzt er, wird der Zirkus Probst als Kooperationspartner der Vierte im Bunde sein. „Wir sind damit in der Terminvergabe viel flexibler“, so der Manager, „denn inzwischen müssen neu hinzukommende Schulen schon bis zu drei Jahre auf einen freien Termin warten.“ Und dies selbst angesichts der Tatsache, dass „Projektzirkusse in den letzten zwei Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind“, wie der Wittenberger anmerkt. Doch die Meltendorfer Zirkusleute haben sich in den Jahren bundesweit einen sehr guten Ruf aufbauen können.

Vielleicht ist die Zeit der kleinen Zirkusse vorbei

„Ist doch klar, unsere Kinder sind alle an der Artistenschule in Berlin ausgebildet worden. Da steckt Qualität drin“, begründet der Seydaer Vernado Hein einen Aspekt, aus dem sich der gute Name speist. Der Gründer des Kinder-Mitmach-Zirkus „Mabema Versaje“ sieht allerdings auch sein kleines Unternehmen von der Mindestlohnregelung bedroht. „Wir haben inzwischen ebenfalls zwei Betriebe daraus gemacht; einen Projektzirkus wochentags und die Artistik- sowie Kinderprogramme, mit denen wir am Wochenende unterwegs sind.“ Das kann die Familie alleine nicht mehr stemmen. Fünf Mitarbeiter sind angestellt, „und es kommen sicher noch weitere dazu“, schaut Vernado Hein voraus. Trotz steigender Kosten ringsum „läuft es bei uns noch einigermaßen rund. Reich können wir damit nicht werden“, fasst der Seydaer die Situation zusammen. Vielleicht ist die Zeit der kleinen traditionellen Zirkusse wirklich vorbei. Selbst wenn Rita Pavone noch sang: „Auch wenn ich weiß, das ist nur Träumerei, ich stell mir vor, ich wär dabei.“ (mz)

Schüler als Clowns in Sperlichs Projektzirkus
Schüler als Clowns in Sperlichs Projektzirkus
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Kindern der Kita und Grundschule Elster sind zu Gast beim Projektzircus Hein
Kindern der Kita und Grundschule Elster sind zu Gast beim Projektzircus Hein
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