Vor 50 Jahren in die Rote Schule
JESSEN/MZ. - Organisiert hatte die Zusammenkunft ein Komitee, bestehend aus Sabine Aho (damals Behrens), Beate Loff (Batz), Angelika Wimmer (Müller) und Horst Knittler. Der Anlass war natürlich ein ganz besonderer, allerdings war es nicht das erste Treffen nach der Schulzeit. Zuletzt hatte man sich vor fünf Jahren gesehen.
Rund 40 Teilnehmer waren diesmal dabei, einige hatten ziemlich weite Anreisewege. Zum Beispiel Beate Schmidt (Franke), die seit Jahren in Wittstock zu Hause ist. Joachim Göring kam aus dem Westerwald an die Schwarze Elster, Veronika Zwicker aus München und Gerlinde Wächtler (Lehmann) aus Forst in der Lausitz.
Einen ziemlich kurzen Anmarschweg hatte der in Jessen gebliebene Wolfgang Graf. Er wurde mit besonders lautem Hallo begrüßt. Denn er hatte doch tatsächlich eine Zuckertüte mit einer goldenen "50" daran mitgebracht. Jeder durfte hineinlangen. Und hielt danach etwas artfremde Schulanfangsutensilien in der Hand, an die damals, 1958, von den Schülern wirklich noch niemand auch nicht im Geringsten gedacht hatte - kleine Pullen zum Aufwärmen.
Nach dem obligatorischen Gruppenfoto vor der Roten Schule bildeten sich zwei Gruppen. Eine begab sich in die benachbarte Stadtkirche St. Nikolai. Dort informierte Pfarrer Tobias Bernhardt über die Geschichte des Gotteshauses. Eine zweite Gruppe begab sich zu einer Schlossführung, anschließend wechselten die Gruppen.
Der Abend im Schützenhaus war selbstverständlich für den Austausch von Erinnerungen reserviert, und Fotos machten die Runde. Da wurde so manche Geschichte zum Besten gegeben. Obwohl die Schulzeit damals wesentlich strenger und der Respekt vor den Lehrern beinahe grenzenlos war - Lausbubenstreiche wurden trotzdem gemacht: "Weißt du noch, als Fritze aus dem Hinterhalt mit seiner Federmappe nach dem Lehrer geschmissen hat?" Mächtigen Dampf hatten alle vor dem Schuldirektor Heinrich Hauke, wurde übereinstimmend festgestellt. "Ich war eine Schülerin, die er gut leiden konnte", dachte Beate Loff zurück. "Aber", meinte sie lachend, "nach Abschluss meines Studiums war ich heilfroh, dass ich erst mal als Junglehrerin an eine andere Schule kam. Als Direktor wollte ich ihn nicht unbedingt haben."
Ein ziemlicher Skandal spielte sich in einem schneereichen Winter ab. Schneeballen wurden gerollt, aber nicht für einen Schneemann. Vielmehr wurde darauf Direktor Haukes Trabi aufgebockt. Auch gab es mal ein lustiges Versteckspiel. Das Klassenzimmer wurde verdunkelt, alle versteckten sich unter den Bänken und Heinrich Hauke machte sich entnervt auf die Suche nach der Klasse.
Auch "Papa" Fritz Jagusch war eine Institution an der Roten Schule. Mathematik und Musik unterrichtete er. Er brachte es doch tatsächlich fertig, den Kindern Songs der Beatles vorzuspielen. "Das war damals ziemlich gewagt", meinte Karin Röstel (Teschner). Sabine Aho (Behrens) erinnert sich an einen ganz makaberen Streich. Der Mathematiklehrer pflegte gern auf einem Stuhl mit Kissen zu sitzen. Die Schüler bauten in einer Pause die Sitzfläche ab und legten nur das Kissen drauf. Na ja, den Rest kann man sich denken. Viele der Frauen beim Goldenen Zuckertütenfest konnten sich noch erinnern, dass das Tragen von Steghosen oder Jeans streng verboten war.
Viel Platz war in der Roten Schule damals nicht. Eine Klasse wurde deshalb in der Station junger Techniker am Schwanenteich unterrichtet. "Viele haben uns deswegen bedauert. Für uns aber war es eine wunderbare Zeit. Eine Klingel kannten wir nicht, die Pausen wurden vom Lehrer angesagt. Und wir haben viel herumgetollt", denkt Birgit Uhlisch (Kalla) gern zurück. Sie kam aus Wurzen zum Treffen nach Jessen. Auch Nachmittagsunterricht war wegen des Raummangels für einige Klassen angesagt. Die Situation entspannte sich für den 58er-Einschulungsjahrgang erst, als die Lingner-Schule in Betrieb genommen wurde.