Vom Militärschüler zum Reisebürogründer
Annaburg/MZ. - Vor über 100 Jahren beschlossen seine alten Freunde und Schulkameraden, sein bedeutsames Wirken nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und in Annaburg eine Carl-Stangen-Gedenkeiche zu pflanzen. Der Kommandeur des Militär-Knaben-Erziehungs-Institutes, Oberst von Webern, stellte einen Ehrenplatz für den Baum zur Verfügung. Der Wunsch der Pflanzer, das aus dem kleinen Eichenbaum ein großer, starker wird, der seine Zweige hoch zur Sonne und zum Himmel reckt, ging in Erfüllung. Der Baum, der an der Stirnseite der Sekundarschule Annaburg (in Richtung des Hauses I des DRK-Pflegeheims) steht, hat heute einen Stammdurchmesser von etwa 50 Zentimeter.
Die Freunde von Carl Stangen hatten Annaburg als Pflanzort gewählt, weil der Jubilar dort einst das Militär-Knaben-Erziehungs-Institut besuchte, auch weil viele Söhne alter Soldaten, die hier erzogen wurden, an diesen Mann erinnert werden sollten, von dessen Andenken er kündet.
Vater war Leutnant
Wer war Carl Stangen? Am 5. Mai 1833 wurde im Haus des Leutnants Ernst Friedrich Stangen ein Sohn geboren. Er erhielt den Namen Carl. Waffendienst war Tradition in der Stangeschen Familie. Die Ahnen der Familie waren adelig. Da der Vater bereits recht alt war, war es zur damaligen Zeit nur natürlich, dass er die Erziehung seines jüngsten Sohnes anderen Händen anvertrauen musste. Und es fand sich bald Rat. Das Annaburger Schloss war bestimmt, Söhnen von altgedienten bzw. gefallenen Soldaten das "Mutterhaus" zu ersetzen und tüchtigen Nachwuchs für das Militär zu erziehen. Sein Vater bat um Aufnahme seines Sohnes und erhielt seinerzeit die begehrte Zusage, so dass 1843 der zehnjährige Carl nach Annaburg "einberufen" wurde. Annaburg war also damals das Ziel seiner ersten Reise. Ziel seiner Ausbildung war es, Berufssoldat zu werden.
Das Militär-Knaben-Erziehungs-Institut hatte zur damaligen Zeit einen ausgezeichneten Ruf und man konnte bei dem damaligen Bildungsstand der Bevölkerung und den Verhältnissen die Annaburger Bildungsstätte als Eliteschule für militärisches Fachpersonal bezeichnen. Carl Stangen war bestimmt, Soldat zu werden und bis zur Einstellung in die Armee Militärschüler zu sein. Aber es kam anders. Wegen Krampfaderknoten am linken Bein wurde er vom Institutsarzt Dr. Langguth für militärisch untauglich erklärt. Der Direktor des Instituts, Oberstleutnant von Brauchitsch, teilte Vater Stangen den ärztlichen Bescheid mit. So wurde der Knabe 1848 zu Michaeli entlassen. Nun erlernte er den Beruf eines Buchbinders. Danach ging er auf Wanderschaft und trat anschließend als Volontär in ein Landratsamt in seiner Heimat ein, um die allgemeine Verwaltungskarriere einzuschlagen. Er ging dann zur Postverwaltung und wurde nach bestandener Prüfung 1855 als Postexpeditionsgehilfe eingestellt. Nach erfolgreicher Tätigkeit heiratete er Auguste Friese, eine Beamtentochter. Bei der Post in Tarnhausen bei Waldenburg hatte er einen steilen Aufstieg. Er war auch literarisch tätig, veröffentlichte neben anderem Novellen. Auf Wunsch seines Bruders Luis trat er in die von ihm gegründete Firma zur Durchführung von Sonder- und Gesellschaftsreisen ein, wurde Partner und Teilhaber. Im November 1868, also vor 140 Jahren, stellte er sich auf eigene Füße. Er gründete "Carl Stangens Reisebüro". Er besaß organisatorisches Talent, das ihn bei seinem Publikum bzw. seine Reisen so beliebt machte. Mit seinen beiden Söhnen Ernst und Luis fuhr er trotz seiner arg bemessenen Zeit öfter nach Annaburg, um ihnen die Wiege seiner Erziehung und Bildung zu zeigen und zu berichten, wie hart seine Jugend war. Carl Stangen glückte es, seinen Plan zu verwirklichen, eine Einrichtung fürs Zusammenstellen und den Verkauf von Eisenbahn- und Dampfschiff-Fahrscheinen im internationalen Verkehr herzustellen. Das neue System erfreute sich bald größter Beliebtheit und wurde zum zentralen Punkt für Reisende in Deutschland. Auch gründete er die Zeitschrift "Tourist" und zehn Jahre später gab er "Carl Stangens Verkehrszeitung" heraus, die große Verbreitung fand.
Annaburger gratulierten
Bei einem Festempfang zum 25-jährigen Geschäftsjubiläum konnte er zwei ehemalige Annaburger begrüßen. Nämlich den Rechnungsrat Hofmeister und den Buchdruckerei-Besitzer Bergmann, die ihm ein Diplom mit der Ernennung zum Ehrenmitglied des Verbandes der Annaburger Vereine überbrachten. Im Jahre 1893 wurde das Büro von Stangen von der Direktion der Weltausstellung in Chicago zum "Offizial Tourist Office" für das Deutsche Reich ernannt. Im Jahre 1900 lagen Fahrscheinhefte in 18 500 Billett-Sorten beim Stangeschen Büro zum Verkauf aus. Mit 72 Jahren trat Carl Stangen in den Ruhestand, da er sein Unternehmen bei seinen beiden Söhnen in guten Händen sah. Ihm wurde dann vom Verband der Annaburger Vereine angeboten, das höchste Ehrenamt, also die Leitung des Verbandes zu übernehmen. Er sagte zu. Der Weltreisende und Gründer des ersten deutschen internationalen Reisebüros starb am 21. November 1911 im Alter von 78 Jahren in Berlin.