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Vom Bauernsohn zum Wissenschaftler

Von Gerd Naumann 02.11.2005, 16:57

Axien/MZ. - Radios, Bügeleisen, Antriebsmotoren, Lampen und Apparaturen jeder Art übten auf ihn eine magische Anziehungskraft aus. Mit Zange und Schraubendreher bewaffnet rückte Klaus Däumichen, der heute auf 65 Lebensjahre zurückschaut, bereits als 14-Jähriger daheim und in der Nachbarschaft defekten Glühbirnen und Haushaltsgeräten zu Leibe. Meist mit Erfolg, wie sich der gebürtige Axiener noch gern an seine Kinderzeit im Jessener Land erinnert. Mit der Landwirtschaft hatte der Sohn eines Großbauern hingegen wenig im Sinn. Dieses Metier überließ er lieber seinem älteren Bruder Johannes, der später über viele Jahre Chef einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft war und damit die bäuerliche Tradition der Däumichens fortsetzte.

Schon damals kamen Klaus Däumichen sein Improvisationstalent und der kräftige Schuss Hartnäckigkeit sowie Ausdauer und Durchsetzungsvermögen beim Verfolgen seiner Ziele zugute. Denn von all dem musste man ein gerüttelt Maß besitzen, in jenen Tagen der jungen DDR, Mitte der 50-er, wo planwirtschaftlich organisierter Mangel an der Tagesordnung war und Erfindungsgeist sowie ein wacher Verstand wichtigste Instrumente erfolgreicher Überlebensstrategien waren. "Schon im Lausbubenalter versuchte ich, aus den wenigen Dingen, die wir zur Verfügung hatten, etwas zustande zu bringen. Mangel kann auch eine Tugend sein. Man lernt, sparsam mit dem Vorhandenen umzugehen und Ressourcen nicht unnütz zu verschleudern", gibt er eine seiner in sechseinhalb Lebensjahrzehnten gesammelten Erfahrungen preis, freundlich, ruhig und sachlich, wie es seine Art ist.

Lehre in Prettin

Geradlinig führte ihn sein Lebensweg über die Lehre als Elektromonteur in Prettin, der zwischenzeitlichen beruflichen Tätigkeit im Altkreis Jessen zum Studium an die Technische Universität Dresden und später in die Hauptstadt an die Humboldt-Universität zu Berlin. Hier und am Zentralinstitut für Hochschulbildung begann seine langjährige Tätigkeit als Hochschullehrer auf den Gebieten Wissenschaftstheorie, Kybernetik, Forschungslogistik und Informatik. Nach der Habilitation 1975 wurde der Bauernsohn aus dem kleinen Elbauendörfchen Axien 1979 zum ordentlichen Professor für Forschungstechnologie und Information an der Humboldt-Universität Berlin berufen. Mehr als 140 viel beachtete Fachpublikationen, darunter vier Bände zur Forschungs- und Wissenschaftsentwicklung, wurden von ihm verfasst sowie im In- und Ausland herausgegeben. Sein 1990 erarbeitetes Werk zur Forschung und Bildung in den neuen Bundesländern publizierte "Business international" (Wien) in insgesamt zwölf Ländern. Seine Forschungs- und Lehrtätigkeit führte ihn fast um den gesamten Globus. So als Gastprofessor nach Vietnam, Syrien, Österreich, der Schweiz und Frankreich. Viele Jahre war er Geschäftsführer des Verbandes der Innovations- und Technologieorganisationen Deutschlands, Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Technologie- und Gründerzentren, und seit 2002 ist er stellvertretender Vorsitzender der international renommierten Gesellschaft für angewandte Informatik. Indes, der Professor spricht nicht gern über seine berufliche Laufbahn. "Was ist schon dabei. Ich habe nur meine Arbeit gemacht, wie viele andere auch." Viel eher entzündet sich der geistvolle Plauderer noch heute an Themen, die seine einstige Heimat betreffen. Obwohl seit Jahrzehnten Berliner, fühlt er sich nach wie vor zu den Orten seiner Kindheit und Jugend hingezogen, liest jeden Tag aufmerksam den Lokalteil der "Mitteldeutschen Zeitung" und ist selbstverständlich mehrmals im Jahr im Landkreis Wittenberg, half engagiert bei der überregionalen Arbeitsstellenvermittlung und unterstützte hiesige mittelständische Unternehmen. Als Kenner der Materie verfasste er eine Reihe von Bänden zur Heimatgeschichte, darunter eine Publikation zur Beteiligung Wittenberger Persönlichkeiten an den Ereignissen des 20. Juli 1944 sowie ein Buch mit Bilddokumenten zur Elbe-Flutkatastrophe vor drei Jahren.

"Von einem, der auszog für das Leben zu lernen" - was wie ein Grimmsches Märchen klingt, ist eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte, nicht ohne Ecken und Kanten, aber mit erfolgreich umschifften Klippen. Doch wer glaubt, Professor Klaus Däumichen denkt heute an seinem 65. Geburtstag, den er mit über 200 Gästen in Berlin-Adlershof ganz in der Nähe seiner langjährigen Wirkungsstätte, der Innovationsagentur der senatseigenen Technologiestiftung Berlin, feiert, über Ruhestand nach, hat weit gefehlt. Angebote aus der Industrie liegen auf seinem Schreibtisch, und eine Vielzahl von Projekten wartet noch auf ihre Verwirklichung.

Mehr Zeit für Familie

Aber ein wenig mehr Zeit für Ehefrau Heidi will er sich fortan gönnen und natürlich Sohn Andreas unterstützen, der als Kaufmann in Berlin tätig ist. Tochter Silvia, die an Opernhäusern im fernen Alaska sowie in Florida als Sopranistin Erfolge feiert und mit ihrer Stimme das Publikum begeistert, wird wohl den Vater ebenfalls öfter zu Gesicht bekommen. Der hat sich, immer für eine Überraschung gut, ebenfalls als Schöngeist geoutet. Heute erscheint beim "Drei Kastanien Verlag" Wittenberg das Büchlein "Trost bei Goethe", Lebensweisheiten des Dichterfürsten, zusammengestellt und herausgegeben von Klaus Däumichen.

Bliebe noch anzumerken, dass der hoch geachtete Akademiker, der nie seine Bodenständigkeit verloren hat, sich sein schönstes Geburtstagsgeschenk selbst gemacht hat. Am 11. November bittet Bundespräsident Horst Köhler ihn und sein Team zur live im ZDF übertragenen Verleihung des Deutschen Zukunftspreises 2005 ins Congress Center am Alexanderplatz.