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Migranten in Annaburg Migranten in Annaburg: Verständnis für ein Miteinander muss reifen

Von Klaus Adam 19.03.2014, 19:38

Annaburg/MZ - Rund 130 Zuzügler, vorrangig aus Bosnien-Herzegowina und Bulgarien, leben in der Schlossstadt. Das stellt die Stadt und ihre Einwohner vor einige Herausforderungen, wie Vize-Bürgermeisterin Anja Liebig bestätigt. In den Schulen der Stadt sind bereits über den Internationalen Bund Schulsozialarbeiter beschäftigt, denen erste Erfolge hinsichtlich eines besseren Verständnisses zwischen den Schülern, Eltern und Pädagogen der unterschiedlichen Kulturkreise bescheinigt werden.

Maßnahmen vernetzen

Aber es fehlt noch an einer Koordination der schulischen Maßnahmen mit dem Freizeitbereich und den Kindertagesstätten. Um diese Lücke zu schließen, hat die Stadt im Januar über den Jugendhilfeausschuss des Kreistages eine geförderte Sozialarbeiterstelle beantragt und für knapp drei Jahre genehmigt bekommen. Die wird ebenfalls über den Internationalen Bund besetzt. Und: Es soll ein Mann sein, hatte die Stadtverwaltung in ihrem Antrag gebeten, da „weibliche Betreuungspersonen oft nicht respektiert werden“.

Der künftige Koordinator soll jedoch keinesfalls nur mit den bosnischen Familien arbeiten. Der Stadt geht es darum, so Anja Liebig, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen, sowohl bei den Einheimischen, als auch den Zuzüglern. Die aus Bosnien stammenden Menschen sind zumeist, sofern sie heute junge Familien gegründet haben, als Kinder mit ihren Eltern vor dem Krieg geflohen und zunächst in deutschen Übergangslagern untergebracht worden. Daran erinnert Annaburgs Vize-Bürgermeisterin. „Und in diesen Lagern, wo es fast nur Sachleistungen des Staates gab, zählte eben oft das Recht des Stärkeren.“ Das Leben dort mag mit den Umgangsformen der deutschen Zivilgesellschaft nicht eben vergleichbar sein. „Regeln und Normen, die für uns gelten, mögen diese Mitbürger seinerzeit gar nicht haben lernen können“, meint Anja Liebig. Allerdings mag es die damaligen Kinder, die heute als Erwachsene nun selbst Familien gründeten, deutlich geprägt haben. „Natürlich wird aggressives und gewalttätiges Verhalten nicht geduldet“, betont Anja Liebig.

Respektloser Umgang einiger schon hier geborener Kinder und Jugendlicher Mitschülern und Pädagogen gegenüber macht dennoch inzwischen große Sorgen. Das Problem ist jedoch, wie die Stadt in ihrem Antrag umreißt, dass Familienväter tagsüber kaum erreichbar und die Mütter nicht selten der deutschen Sprache nicht mächtig sind und oft auch in ihrem Familienverbund wenig Rechte haben, nach außen hin aufzutreten.

Lange währender Prozess

Doch das ist nur ein Aspekt der Angelegenheit. Vorurteile gegen die Menschen aus einem anderen Kulturkreis gibt es auch unter den Annaburgern. „Da werden Dinge schon mal überbewertet, die man einem Deutschen jeder Zeit wohl verziehen hätte“, meint die Vize-Bürgermeisterin vorsichtig. Und meint auf eine entsprechende Nachfrage der MZ: „Ordnung und Sauberkeit auf privaten Grundstücken sind für uns als Behörde schwer zu regulieren. Sobald es um illegale Müllablagerungen gehen sollte, da ist der Landkreis zuständig.“ Der wird jedoch erst aktiv, wenn eine Anzeige vorliegt. Daran hapert es aber, weil Einheimische immer weniger bereit sind, Vorfälle mit Namen und Adresse anzuzeigen. Außerdem gibt es auch deutsche Grundstücksbesitzer, denen die Ordnung nicht so sehr am Herzen liegt.

Durch die Sozialarbeit möchte die Stadt erreichen, dass sowohl die Kinder aus Annaburg und Umgebung als auch jene aus den Familien mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit in Ruhe und friedlich miteinander die Kindereinrichtungen und Schulen besuchen können.

Das mag ein durchaus langfristiger Entwicklungsprozess sein. Doch vor allem die Hoffnung, dass die Kinder der ausländischen Familien frühzeitig die Kindereinrichtungen besuchen, trägt die Initiativen der Stadt. Wobei glaubensbedingte und kulturelle Traditionen dem auch entgegenstehen können. Etwa, wenn Frauen eben nicht respektiert werden. Da insbesondere in den Tagesstätten und Grundschulen hauptsächlich Frauen arbeiten und auch in der Sekundarschule der Frauenanteil nicht gering ist, gibt es da zuweilen Reibungspunkte. Wenn dann wenigstens die Leiterin akzeptiert wird, „weil sie halt die Chefin ist“, wie Anja Liebig meint, ist das schon ein positiver Aspekt.

Aggressives Schüler-Trio

Eine, die jeden Tag mit diesem Thema konfrontiert ist, ist die Annaburger Sekundarschulleiterin Annette Müller. Mit ganz eigenen Erfahrungen. „Wir haben an unserer Schule viele Ausländer, die sich an die Normen und Regeln halten. Aber wir hatten auch ein Trio, das Mitschülern und Lehrern gegenüber sehr aggressiv und gewalttätig auftrat.“ Da habe die Schule durchgreifen müssen und zwei der Jugendlichen auf andere Schulen in der Region verwiesen. Eine aus gegebenem Anlass durchgeführte Fortbildung mit Romano Drom, einer Interessenvertretung der Sinti und Roma in Magdeburg, habe ergeben, so Annette Müller, dass aggressives und gewalttätiges Verhalten für diese Volksgruppe keineswegs typisch ist und auch nicht geduldet wird. Die Annaburger Schulleiterin hofft auf ein von Kultusminister Stephan Dorgerloh zugesagtes Gespräch mit Vertretern seines Hauses sowie der Ministerien für Soziales, Justiz und Inneres in Annaburg, wo der Umgang mit extremen Auswüchsen im Zusammenhang mit ausländischen Familien diskutiert werden soll. „Keiner hat das Recht, einem anderen ein Leid zuzufügen“ - das sagte Annette Müller sowohl in die eine Richtung als auch unter dem Eindruck des Vorfalls, bei dem am Sonnabendmorgen ein Holzbrett in das Wohn-/Schlafzimmer einer bosnischen Familie geworfen wurde (siehe „Polizei vernimmt noch mutmaßliche Zeugen“).