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Landkreis Wittenberg Landkreis Wittenberg: Wanderer von Zwickau nach Berlin

Von DETLEF MAYER 04.07.2010, 17:56

PRETTIN/MZ. - So gegen 16 Uhr am Sonnabend trafen die drei jungen Leute in der Lichtenburg in Prettin ein. Da hatten sie ihre Tagesetappe, zu der sie in Torgau aufgebrochen waren, und damit gut 20 Kilometer Fußmarsch geschafft. Rossi (23 Jahre), Marlen Brückner (gerade 18 geworden) und Sven Wöhl (38) freuten sich, rechtzeitig zum WM-Fußballspiel Deutschland-Argentinien den Zwischenstopp erreicht zu haben. Ein bisschen Fernsehen und ein kühles Getränk relativierten die Strapazen der schweißtreibenden Wanderung wieder.

Bei den drei Leuten handelt es sich mit Sven Wöhl um den Vorsitzenden des Stadtverbandes Zwickau der Partei Die Linke sowie mit Rossi und Merlen Brückner um zwei Mitglieder der Jungen Linken (Jugendorganisation) aus derselben sächsischen Stadt. Die kleine Gruppe - eigentlich sollte sie viel größer sein, aber aus den verschiedenensten Gründen wurde daraus nichts - hat sich am 27. Juni aufgemacht, um voraussichtlich am 8. Juli in mehreren Etappen (insgesamt elf) die Hauptstadt Berlin zu erreichen. Ganz konkret wollen sie zum Reichstagsgebäude, um dort sozusagen die Früchte ihrer Wanderschaft überbringen.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) wird, so der Plan, die Zwickauer empfangen. Sie nutzen ihre ungewöhnliche Reise auf Schusters Rappen, um ein Stimmungsbild unter der Bevölkerung der Orte, durch die sie kommen beziehungsweise in denen sie Station machen, zu erfragen. Dieses "Wo uns der Schuh drückt" möchten sie den Bundestagsabgeordneten, und möglichst nicht nur denen der Linken, zugänglich machen, ihre Kommentare dazu eingeschlossen. Damit die hohe Politik einmal hautnah erfährt, was den kleinen Mann und die kleine Frau im Land besonders bewegt, wie die Wanderer gegenüber der MZ zum Ausdruck brachten.

Die eine Fragestellung an die Bürger lautet frei wiedergegeben: Was findest du an der deutschen Bundespolitik schlecht (sachliche Kritik) und wie würdest du es besser machen (konstruktive Alternativen)? Und die andere: Wenn du vor dem Bundestag sprechen dürftest, was würdest du den Abgeordneten sagen wollen? Schwerpunkte, die da bislang zusammengetragen wurden beziehen sich auf Bürokratieabbau, ungerechte Sozialkürzungen, die Kreis- und die Gemeindegebietsreform, das Bildungssystem, Probleme mit der Arge (Hartz IV) und nötige Hilfen bei Existenzgründungen.

Daneben ist es den drei Marschierern wichtig, auch etwas über eventuelle neofaschistische Tendenzen in den Gegenden, durch die sie kommen, zu erfahren. Rossi (seinen bürgerlichen Namen wollte er nicht nennen, weil ihn darunter sowieso niemand kenne) wusste dazu eine vielsagende Anekdote aus Colditz (Sachsen) zu berichten: Die Leute, mit denen die Linken dort zusammengetroffen sind, hatten regelrecht Angst um ihn, weil er einen Irokesen-Schnitt trägt und damit Neofaschisten, die dort eine Hochburg haben, ein Dorn im Auge sein könnte. Sven Langhammer, er leitet in Prettin das Büro der Gedenkstättenstiftung Sachsen-Anhalt, wusste daran zu erinnern, dass es in Colditz ein frühes KZ des NS-Regimes gegeben habe. Eine Parallele zum KZ Lichtenburg.

In Torgau, Donnerstag waren sie dort eingetrudelt, hatten sich die Zwickauer einen freien Tag gegönnt, weil etwa die Hälfte der Distanz zurückgelegt war. Das Programm in Prettin beinhaltete eine Führung durch das Schloss und dessen wechselvolle Historie, mit dem Hauptaugenmerk auf die Zeit seiner Nutzung als KZ. Außerdem wurde der Film "Vor der Haustür" (Orte nationalsozialistischen Terrors), gedreht vom Alternativen Jugendzentrum Dessau, angeschaut. Verantwortlich dafür zeichnete Sven Langhammer. Sonntag ging es dann weiter nach Jessen.

Auf ihrer Tour hangeln sich die Wanderer von einem Orts- oder Kreisverband ihrer Partei zum nächsten. Diese übernehmen zum Beispiel den Transport des Gepäcks, damit die Frau und die beiden Männer unbeschwert ihre Schritte durchs Land lenken können. Die Gastgeber kümmern sich auch um Unterkünfte für die Reisenden - in Jessen campierten sie im Jahnpark - und natürlich wird die gemeinsame Zeit stets für intensive Gespräche und Diskussionen genutzt. In der hiesigen Region wurden die jungen Leute empfangen und betreut von von Marion Michel und Henry Krüger vom Wittenberger Kreisvorstand der Linken sowie von Klaus Nehring und Thomas Süptitz.

Rossi hat eine ähnliche Tour wie die derzeitige 2008 schon einmal unternommen. Damals war die Sache jedoch nicht so gut organisiert und vorbereitet wie jetzt, er war allein unterwegs, musste sein ganzes Gepäck (großer Rucksack einschließlich Schlafsack und Zelt) selbst schleppen und in Berlin stieß er mit seinem Anliegen nicht gerade auf offene Ohren, erinnerte er sich. Rossi ist auf alle Fälle der Ideengeber für die augenblicklich laufende Aktion und er schließt nicht aus, dass es bei zufrieden stellendem Erfolg einen dritten Marsch von Zwickau nach Berlin geben könnte.