Politikumfrage Kommunalpolitiker und Bürger aus dem Jessener Land reden über Krisen
Olaf Scholz möchte die Vertrauensfrage stellen. Damit könnte eine Neuwahl folgen. Ob bekannte Kommunalpolitiker hinter dem Bundeskanzler stehen und was sie jetzt von der Politik erwarten.
Jessen/Wittenberg/MZ. - Die politische Lage hat sich zugespitzt: Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist nach massiven Spannungen und anhaltenden Konflikten am Ende. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen und damit einen tiefen Riss in der Regierungskoalition offengelegt. Jetzt möchte Scholz die Vertrauensfrage stellen. Eine Meinungsumfrage unter Kommunalpolitikern und Bürgern zeigt ein Stimmungsbild.
Hoffnung statt Furcht
Heinz Wehmeier, der seit vielen Jahrzehnten Mitglied der SPD und Vorsitzender der „Deutsch-Russländischen-Gesellschaft“ ist, sprach gegenüber der MZ davon, dass es an der Zeit für eine ausgewogene und am Menschen orientierte Politik sowohl in der Welt als auch in Deutschland wäre. Zur Wiederwahl von Donald Trump als Präsident der USA sagt er: „Viele Experten sagen, man müsse abwarten. Trump ist ja immer für eine Überraschung gut.“
Wehmeier versucht kulturelle Projekte, auch nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine, unter anderem mit Vereinen in Weißrussland aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf die Ankündigungen Trumps hegt er den Wunsch, dass dieser sich tatsächlich für den Frieden einsetzt, sowohl in der Ukraine als auch im Nahen Osten. Allerdings sollte dieser Frieden im Interesse der Menschen vor Ort sein. „Es gibt genug Opfer auf beiden Seiten.“ Er will abwarten, was von den Äußerungen Trumps Wahlrhetorik war und wie er auf die Realitäten reagieren wird.
Zum abrupten Ende der Ampel-Regierung sagt er: diese habe sich angekündigt. Die drei Parteien seien von Anfang an zu verschieden gewesen. Nach den aktuellen Umfragen – er geht davon aus, dass sich am Wählerverhalten in den wenigen Monaten bis zur Wahl nicht viel ändern wird – zeichnet sich eine Koalition aus CDU und SPD ab. Die nächste Regierung muss vor allem eines erreichen: „Die Wirtschaft muss funktionieren, damit das soziale Gefüge läuft“, so Wehmeier, alles andere sei naiv. Dafür braucht es eine gemeinsame Linie, die es in der Ampel nicht gab. Neue Technologien und andere Energien seien notwendig, doch der Wandel sollte nicht übers Knie gebrochen werden. Der Aufbau der notwendigen Strukturen benötige schlicht Zeit. Er wünscht sich politisch Verantwortliche mit dem Format seines Vorbildes Willy Brandt, die eine umfassende und weitsichtige Strategie verfolgen, für die Menschen und dass die Diplomaten und nicht Waffen sprechen.
Bezüglich der großen Unterschiede zwischen den Ampel-Parteien ist Klaus-Dieter Richter (FDP) auf derselben Linie wie Heinz Wehmeier. Bei dem dreijährigen Dauerstreit war das Ende abzusehen. Wie Heinz Wehmeier ist er davon überzeugt, dass Deutschland wieder eine florierende Wirtschaft braucht, allerdings nicht, indem neue Schulden aufgenommen werden. „Im Privaten kann ich doch auch nicht mehr ausgeben, als ich einnehme.“ Die Art und Weise des Koalitionsendes missfällt dem Jessener. In seiner Rede war Kanzler Scholz „sehr persönlich“ gegen Christian Lindner geworden, das ging schon „um die Gürtellinie herum“. Diesen Stil kenne er bisher nur aus den USA. Von dem dortigen, so klaren Wahlergebnis sei er enttäuscht. „Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass ein verurteilter Verbrecher gewählt wird.“ Richter rechnet nicht damit, dass Positives auf Deutschland zukommen wird. Doch auch Trump wird wohl lernen müssen, dass Maßnahmen, wie die angekündigten höheren Zölle, nie einseitig bleiben und dass es auch Konsequenzen für die USA bedeuten wird.
Meinungsumfrage
Die Meinungsumfrage in der Bevölkerung blieb insgesamt zurückhaltend. Doch einige bringen ihre Meinung zur aktuellen politischen Lage klar zum Ausdruck, ohne jedoch namentlich genannt werden zu wollen. Eine 71-jährige Frau, erklärt, dass sie immer wählen geht. Sie fordert die Neuwahl und würde Olaf Scholz niemals wiederwählen. „Der Mann ist aus meiner Sicht ein Clown und Betrüger.“ Auf die Nachfrage der Gründe kommt ihr Ehemann auf den geplanten Hamburger Wolkenkratzer Elbtower zur Sprache. Ein Projekt, das letztlich scheiterte, nachdem die Baufirma Signa des österreichischen Investors René Benko insolvent gegangen ist.
Zur Entlassung von Finanzminister Lindner äußert sich die ehemalige Lehrerin mit deutlicher Kritik. Sie bezeichnet die Entscheidung von Bundeskanzler Scholz als „Kindergarten“ und unterstreicht Lindners Qualifikation, besonders im Vergleich zu anderen Politikern. Irritiert ist sie darüber, wie politische Ämter in Deutschland besetzt werden: „Wie kann eine Familienministerin zur Verteidigungsministerin werden?“, fragt sie kritisch.
Eine klare Meinung vertritt sie auch zur internationalen Politik. Angesprochen auf die US-Wahl von Donald Trump (Republikaner), schüttelt sie nur den Kopf. Es ist für sie nicht nachvollziehbar, wie jemand wie Trump wiedergewählt werden könne. „Nur, weil er blonde Haare hat?“ Sie hätte es als großen Fortschritt gesehen, wenn Kamala Harris (Demokratin) das Amt übernommen hätte: „Eine Frau an der Spitze wäre sehr schön gewesen.“
Überrascht, dass die Regierung überhaupt so lange Bestand hatte, zeigt sich ein 37-jähriger Sozialpädagoge. „Es hat von Anfang an schon nicht gepasst“, sagt der Wittenberger. Er ist überzeugt davon, dass Scholz für das Amt nicht geeignet sei und begrüßt deswegen ebenfalls eine neue Neuwahl. Doch anders als das Ehepaar steht er hinter der Entlassung von Lindner und wirft der FDP eine „Blockade-Politik“ vor. Für ihn ist das Problem der Ampel-Regierung nicht die Personalpolitik, sondern ein allgemeines Staatsversagen, das sich in verschiedenen Bereichen zeige: von der Migrations- bis hin zur Sicherheitspolitik. Eine klare Haltung hat er auch zur internationalen Politik. Die US-Wahl, die er im Internet verfolgt habe, kommentiert er nüchtern: „Aus meiner Sicht hat Trump eine Persönlichkeitsstörung.“ Auch für ihn ist nicht nachvollziehbar, wie Trump wiedergewählt werden konnte.