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Jugendwerkhof in Torgau Jugendwerkhof in Torgau: Erinnerungen verarbeitet

Von Detlef Mayer 20.05.2016, 17:52
Günter Nossol kurz vor seiner Buchlesungspremiere mit Gesprächsrunde in Torgau
Günter Nossol kurz vor seiner Buchlesungspremiere mit Gesprächsrunde in Torgau D. Mayer

Torgau/Jessen - „Zeitzeuge - GJWH Torgau und 20 Jahre DDR“ - so heißt das Buch, welches Günter Nossol - „ein jans normaler Berliner“ wie er mit einem Fragezeichen versehen von sich sagt - über sein an Dramatik, Wirren und Leid reiches Leben geschrieben hat. Und in Torgau, in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof - GJWH steht für Geschlossener Jugendwerkhof, bestreitet er vor Interessierten, aber auch einigen ehemaligen Jugendwerkhöflern, wie er einer ist, entsprechend erregt seine erste Lesung.

Um mit dem Ende anzufangen: „Torgau und mein innerer Wahnsinn?“ ist das allerletzte Kapitel von Günter Nossols über 200 Seiten zählendem Taschenbuch. Daraus stammen diese Zeilen: „Erstens, ich bin kein Masochist. Sobald mein Gehirn keinem Alltagsstress ausgesetzt ist, was ich in den letzten 44 Jahren mit allen Mitteln versuchte aufrecht zu erhalten, kehrt es im Ruhezustand automatisch nach Torgau zurück. Es will sich seinen Zustand und seine Gefühle von der Zeit vor Torgau mit aller Gewalt zurückholen. Ich weiß eigentlich, dass es nicht funktioniert. Mein Unterbewusstsein will es aber einfach nicht akzeptieren und so lande ich wieder und wieder in meinen Ohnmachts-Gefühlen von Torgau. Es ist dort einfach zu viel kaputtgegangen.“

Im Klappentext seines 8,88 Euro kostenden, jüngst erschienenen Werkes, das zu großen Teilen auf 30 Jahre alten Tagebuchaufzeichnungen basiert, komprimiert Günter Nossol sein Leben in einem kurzen Absatz: „Mein Verbrechen? Republikflucht 1965, Rückführung - Bahnhof Friedrichstraße. Später Einweisung in den Jugendwerkhof (JWH) Eilenburg sowie den JWH Hummelshain. Von dem aus wurde ich ohne Gericht von September 1970 bis Dezember 1970 in den gefängnisähnlichen GJWH Torgau eingewiesen. Heute Gedenkstätte! Ich flüchtete dann endgültig am 27. Oktober 1973 am Grenzübergang Bornholmer Straße über die S-Bahn-Gleise das zweite Mal nach West-Berlin. Das Buch beschreibt meine Zeit in der DDR von der Geburt am 11. Juni 1953 bis zu meiner Flucht und warum es soweit kommen konnte.“

Aufenthalte im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau waren eigentlich auf sechs Monate festgesetzt. „Ich kam, was mich heute noch wundert, mit weniger als drei Monaten davon“, sagt er bei der Lesung im Gespräch mit Manuela Rummel, Bildungsreferentin an der Gedenkstätte GJWH Torgau. Das Buch hat er geschrieben, weil: „Alle sollen wissen, was hier passiert ist, damit in Deutschland so etwas nie wieder vorkommt... Mit dem eigenen Schmerz konnte ich noch irgendwie umgehen, aber was ich hier an anderen gesehen habe, hat mich erschüttert... Ich wusste, wenn ich hier nicht aufpasse, überlebe ich das nicht.“ Günter Nossol hat überlebt, was in ihm den Eindruck verfestigte, einen Schutzengel gehabt zu haben. „Ich konnte mein Leben wieder in den Griff bekommen. Viele andere sind alkoholabhängig geworden oder auf Psychopharmaka angewiesen.“ (mz)

Da Günter Nossol z.Z. in Dänemark lebt und arbeitet, ist sein Buch in der Gedenkstätte GJWH Torgau erhältlich.