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Jessen Jessen: Aus Schwester wird Unternehmerin

Von EVELYN JOCHADE 14.02.2012, 19:09

MÜGELN/MZ. - Niemand kennt seine Zukunft. Jeder wünscht sich natürlich, er möge gesund und fit alt werden. Dass dem leider nicht immer so ist, weiß aber jeder. Was also, wenn Vater, Mutter oder auch man selbst sich nicht mehr behelfen kann? Früher schaute dann schon mal die Gemeindeschwester vorbei, wenn die medizinischen Einrichtungen weit weg oder für den Betreffenden schwer erreichbar waren. Heute, da oft die Kinder nicht nur aus dem Haus, sondern gleich mal in anderen (Bundes-) Ländern ihr Glück gefunden und sich dort eine Existenz aufgebaut haben, soll diese Lücke durch mobile Pflegedienste geschlossen werden. Einen davon gründete Heike Mitre 1992 in Mügeln.

Zumindest die medizinische Betreuung ist somit zwar gegeben. Doch, so klagen die Pflegekräfte allenthalben, damit ist es nicht getan. Die alten und kranken Menschen haben das Bedürfnis, auch mal zu reden. Für sie sind die Schwestern, die den Verband wechseln oder sie baden, oft der einzige Kontakt zur Außenwelt. Einer Welt, die ihnen immer fremder wird mit den Jahren. Was sind da die Vorgaben der Krankenkassen, die haarklein abgerechnet werden müssen? Drei bis sechs Minuten für einen Toilettengang, 15 für eine Ganzkörperwäsche. Dennoch versuchen die Schwestern durch ihre liebevolle Zuwendung, ein wenig Licht in den Alltag der Menschen zu bringen.

Unbefriedigende Situation

Obwohl Heike Mitre sich bereits vor 20 Jahre in dem Metier selbständig machte, bedrückt sie diese Situation schon und sie findet sie "einfach unbefriedigend". Auch wenn sie ihren zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer wieder sagt, sie sollten die Schicksale nicht mit nach Hause nehmen, etwas bleibt immer hängen.

Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, der sich die Firmenchefin da verschrieben hat. Aber die aus dem sächsischen Aue stammende 54-Jährige kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Zur Krankenschwester wurde sie ursprünglich einmal ausgebildet. In Leipzig. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen. Sie heiratete ihren Laszlo, einen ungarischen Vertragsarbeiter, und da in Mügeln ein Haus zum Verkauf stand, zog es das junge Paar 1979 in die Glücksburger Heide.

Auch mit der Arbeit klappte es hier. Gerade wurde eine Gemeindeschwester gesucht. Eine Arbeit, die nicht nur eine weitere Qualifikation, sondern auch die ganze Frau verlangte. Ein Rund-um-die-Uhr-Job also. "Heiligabend", so erzählt sie, "fuhr der Pfarrer in Richtung Mügeln zum Gottesdienst - und erst dahinter ich."

So ging es durch die Wende. Die neue Zeit erforderte jedoch ein Umdenken. Am 1. Februar 1992 wurde aus der angestellten Gemeindeschwester eine selbständige. "Da war ich wahrscheinlich im Osten die erste", kommentiert sie diesen Schritt heute. Ganz unbürokratisch habe man sie damals bei der AOK in Jessen zugelassen und mit ihr den ersten Kassenvertrag geschlossen. Natürlich habe sie Angst gehabt und sich gefragt, ob sich das rentiere. Schließlich hatte sie zu dem Zeitpunkt vier kleine Kinder zu versorgen.

Heute sagt sie über diesen Entschluss: "Das war das Beste, was ich machen konnte." Am Anfang ihrer Selbständigkeit kannte sie keinen Samstag und keinen Sonntag. Auch keinen Feiertag. Erst nach fast zwei Jahren konnte sie eine Mitarbeiterin einstellen. Stetig ist ihr Unternehmen seither gewachsen. Sein guter Ruf hat sich im Altkreis Jessen verbreitet und selbst über die Elbe hinweg.

Längst ist die Häusliche Krankenpflege Heike Mitre Kooperationen zum Wohle ihrer Patienten eingegangen. So mit der Physiotherapeutin Frona Grafe-Weidmann und der Wittenberger Ergotherapiepraxis Much-Wartenberg, deren Zweigstelle in Holzdorf Ost Kerstin Kralle betreut.

Zwei Jahrzehnte Stress

Anlässlich des Firmenjubiläums standen fünf Torten auf dem Tisch in der Mügelner Zentrale. Allesamt gebacken von den Mitarbeiterinnen. "Ich wollte nichts machen", protestierte die Chefin halbherzig. 20 Jahre Stress sei doch kein Grund zum Feiern. "Aber die Schwestern haben mich einfach gezwungen und da muss ich wohl", meinte sie und goss den Kaffee ein. Die Frage, wie lange sie sich diesen Stress noch antun möchte, wurde bemerkenswert beantwortet: "Eine ordentliche Schwester stirbt hinter dem Schieberständer."