Insolvente Störfarm in Jessen Insolvente Störfarm in Jessen: Neuer Besitzer für 30.000 lebende Störe gesucht

Jessen - Noch schwimmen die rund 30 000 Störe friedlich in den Becken beim Jessener Kaviarproduzenten Aqua Orbis Fine Food GmbH & Co. KG. „Das Fischfutter reicht auch noch für einige Wochen“, schätzt der vorläufige Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus ein. Doch ihm sitzt die Zeit im Nacken, eine zukunftssichere Lösung für das Unternehmen mit seinen acht Beschäftigten und den 30 000 Fischen aufzuspüren. Weil es sich halt um Lebewesen handelt, für die da quasi ein Investor zu finden ist.
Kasachstan keine Option
„Ich hoffe, dass wir ziemlich schnell eine ,landesinnere‘ Lösung finden“, so der Rechtsanwalt aus Berlin. An die Übernahme durch einen kasachischen Kaviarproduzenten denkt Voigt-Salus indes gar nicht. Obwohl Aqua-Orbis-Geschäftsführerin Rosmarie Ehrenberg unmittelbar nach Abgabe des Insolvenzantrages Anfang September noch bekundete, dass dessen Interesse weiterhin bestehe. Doch zu sehr drängt die Zeit. Darauf zu hoffen, dass sich die politischen Rahmenbedingungen ändern, sei vergebene Mühe, bestätigt der Insolvenzverwalter.
Die Störfarm Aqua Orbis im Jessener Gewerbegebiet hatte im Grunde seit ihrer Eröffnung im Jahr 2008, Baustart war 2007, mit anhaltenden Problemen zu kämpfen. Schon drei Jahre später vollzog ein Teil der Aktionäre der damaligen Aktiengesellschaft eine interne Revolution und jagte den bisherigen Aufsichtsrat von dannen. Die „abtrünnigen“ Aktionäre legten untereinander Geld zusammen und sorgten für eine notwendige Anschubfinanzierung. Den Grund für ihr Aufbegehren sahen sie in einer mutmaßlichen Abwertung ihrer Einlagen im Zuge einer vom damaligen Aufsichtsrat angestrebten Fusion mit der UFT AG.
Ein weiterer Grund für das Aufbegehren waren die großen Verluste aus einem Abu-Dhabi-Geschäft. 130 000 Störe wurden aus Jessen für eine dort nagelneu in die Wüste gestellte Störaufzuchtanlage vorgehalten und in Spezialcontainern geliefert. Nur wenige der Fische sollen lebend angekommen sein, bestätigte Aqua-Orbis-Geschäftsführerin Ehrenberg. Deshalb wurde die Belieferung gestoppt.
Der Rückzug eines potenziellen syrisch-deutschen Großinvestors 2013 stürzte Aqua Orbis erneut in eine schwere Krise, die in eine Insolvenz mündete. Wieder waren es Anteilseigner, die das Unternehmen aufkauften, in eine GmbH & Co. KG umwandelten und es dadurch aus der Insolvenz retteten. Diesen Weg begleitete bereits Rechtsanwalt Joachim Voigt-Salus als Insolvenzverwalter mit. Zuletzt sahen aber auch die nunmehrigen Kommanditisten keine Möglichkeiten mehr, weiteres Geld in das Unternehmen zu schießen. Deshalb wurde der Verkauf betrieben. Eine Störfarm aus Kasachstan hegte laut Geschäftsführerin Rosmarie Ehrenberg großes Interesse. Durch die Abhängigkeit von Russland im Zuge der Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion scheiterte dieses Unterfangen jedoch Anfang September.
Wie berichtet, wären es die von Russlands Präsident Wladimir Putin als Antwort auf das europäische Embargo verhängten Einfuhrsperren für Landwirtschaftsprodukte und Lebensmittel gewesen, die den Verkauf des Jessener Unternehmens nach Kasachstan verhinderten. Dort herrsche zwar eine große Nachfrage nach den kleinen schwarzen Gourmet-Kügelchen. Doch da sie nicht nach dorthin eingeführt werden dürfen, zerschlug sich die Investitionsabsicht der Interessenten. Zumal das Embargo von russischer Seite auch Geldtransfers verbiete, wie Rosmarie Ehrenberg Anfang September der MZ erklärte.
Rechtsanwalt Joachim Voigt-Salus kennt das Aqua-Orbis-Unternehmen bereits recht gut aus dem Insolvenzverfahren vor etwa zwei Jahren. Seinerzeit hatte ein deutsch-syrischer Großinvestor seine Investitionszusage zurückgezogen. Die Aktionäre des Unternehmens brachten erneut große Geldmittel auf, um die Fischfarm aus eigener Kraft zu retten. Das Unternehmen UFT (United Food Technologies AG) aus Weinheim, das die Jessener Anlage erbaute, „hatte noch enorme Rechte an den Gegenständen“, erinnert sich der Verwalter. Im Zuge einer Insolvenzanfechtung hatte es geklappt, diese Ansprüche zu bereinigen. „Jetzt liegen keine Drittrechte mehr drauf“, so Joachim Voigt-Salus. Den gescheiterten Verkaufsprozess nach Kasachstan mag er im Nachhinein nicht beurteilen. Die Beschäftigten erhalten inzwischen Insolvenzgeld, informiert der Anwalt. Sollte es nicht gelingen, recht zügig einen Investor zu finden, bliebe ihm nur, das Unternehmen abzuwickeln. „Die Frage ist, wie macht man das mit 30 000 lebenden Fischen?“, nennt er eines der brennenden Probleme. Zwar zeigt er sich recht überzeugt, „dass man die wohl zu einem recht guten Preis verkaufen kann“. Aber dazu brauche es Zeit, „und die Zeit haben wir nicht“.
Am Vertrieb mangelt es
Aus seiner Sicht habe es das Unternehmen nicht geschafft, funktionierende Vertriebswege aufzubauen. „Man hat immer ad hoc verkauft“, so Voigt-Salus. Dadurch habe Aqua Orbis nie vermocht, genügend liquide Mittel selbst zu verdienen. Auch der Lagerbestand ist noch erheblich. Rosmarie Ehrenberg hatte von einer halben Tonne gesprochen. „Aber ob der Bestand noch so frisch ist, dass er veräußert werden kann, ist fraglich.“
Große technische Defizite
Dazu kämen erhebliche Defizite in der technischen Ausstattung der Anlagen durch den Erbauer UFT. Die aus fachlicher Sicht wohl zum Teil als Fehlinvestitionen zu bezeichnen sind: die Becken zu klein, falsch geformt, der Wasserkreislauf ungünstig angelegt. Von Energieeffizienz ist gar nicht zu sprechen. „In jeder Hinsicht ist das dumm konstruiert“, fasst das der Anwalt lapidar zusammen.
„Jemand, der das übernehmen möchte und es betriebswirtschaftlich und ökologisch betreiben möchte, muss mindestens eine Million Euro investieren“, meint Voigt-Salus. Und das bei laufendem, quasi „lebendem“ Betrieb. „Da jemanden zu finden, der das auf sich nehmen möchte ...“, lässt der vorläufige Insolvenzverwalter die Antwort rhetorisch offen. Es wird nicht leicht werden. (mz)