Große Freude an Natur wird getrübt
Prettin/MZ. - Der mehrfach körperlich und geistig behinderte 28-jährige Carsten Mietzsch aus Prettin hat neben dem Hören von Musik nur noch eine weitere Freude im Leben: Mit einem so genannten Rollfiets, einer Rollstuhl-Fahrrad-Kombination, die Gegend um Prettin zu erkunden. Zumeist ist es seine Mutter, die ausgedehnte Fahrten über die zahlreichen Wanderwege mit ihm unternimmt. Früher, so erinnert sie sich, habe ihr Sohn viel gespielt, ist auch spazieren gegangen. Aber seit bei ihm die Wirbelsäule operativ stabilisiert wurde, hat er an all dem keinen Spaß mehr, schafft es auch körperlich nicht. Schon das Warten auf einen Bus wird für ihn zu einer großen Qual. "Das alles ist sofort vergessen, wenn er nach Hause kommt und im Flur sein liebstes Fortbewegungsmittel sieht."
Aber die Sache hat einen Haken. Das Rollfiets gehört nicht der Familie Mietzsch, sondern der Stadt Prettin, kann also nur ausgeliehen werden. Und das auch nur, wenn es keine anderen, zumeist auswärtige Nutzer gibt. Deshalb hatte Monika Mietzsch versucht, ein solches Gefährt über die für ihren Sohn zuständige Krankenkasse, die AOK Sachsen-Anhalt, zu bekommen. Bislang waren diese Bemühungen jedoch erfolglos. Selbst die Übernahme der Mietkosten (das Ehepaar Mietzsch bekommt nur Hartz IV) sei abgelehnt worden. Entmutigen will sich Monika Mietzsch jedoch nicht lassen. Auf jede Ablehnung gab es prompt einen Widerspruch, doch auch diese wurden bislang immer abschlägig beschieden. Dabei, so erinnert sich die Frau, sei erst kürzlich ein Gutachter da gewesen, und er habe gesehen, welche Freude das Rollfiets bei ihrem Sohn Carsten auslöst. Ein solches Fahrzeug stehe nicht in der Finanzierungsverantwortung der gesetzlichen Krankenkassen, hieß es laut Monika Mietzsch in den Ablehnungsschreiben.
Der Gutachter hatte übrigens festgestellt, dass der derzeitige Rollstuhl für Carsten eigentlich schon zu alt sei, ein elektrisch betriebener empfohlen werden müsste. Doch einen solchen, so Frau Mietzsch, könne ihr Sohn gar nicht betätigen. Außerdem, so argumentierte sie, sei ein Rollfiets sicherlich billiger. Er könne nicht nur für längere Touren genutzt werden. Das Rollstuhlteil könne auch schnell abmontiert werden und ganz normal als ein solcher funktionieren.
Auf der Homepage des Herstellers heißt es, dass eigentlich die Angelegenheit klar wäre. "Das Rollfiets ist in der Produktgruppe 18 (Krankenfahrstühle) unter der HMV-Nr. 18.51.03.0001 bzw. 0002 (Rollfiets ohne Sitzschale) im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgeführt." Aus dem Hilfsmittelverzeichnis gehe hervor, dass das Rollfiets in denjenigen Fällen zu verordnen und von den gesetzlichen Krankenkassen zu bezahlen sei, in denen einerseits ein Elektro-Rollstuhl nicht eingesetzt werden könne und andererseits die behinderte Person - egal ob jung oder alt - auf ständige Begleitung angewiesen sei. Trotzdem, so die Erfahrungen des Herstellers, kommen im Zuge der Kosteneinsparungen einige Sachbearbeiter bei den Krankenversicherungen oder dem Medizinischen Dienst immer wieder auf neue Ideen, wie ein abschlägiger Kostenübernahmebescheid begründet werden kann. Im Übrigen, so heißt es weiter, gebe es ein Urteil des Bundessozialgerichtes (AZ 3 / 1 RK 13 / 93), in dem gesagt wird, dass eine Rollstuhl-Fahrrad-Kombination (hier Rollstuhlboy genannt) die Nutzungsmöglichkeiten eines Rollstuhls wesentlich erweitert. "Der dadurch gewonnene Freiraum zählt zu den Grundbedürfnissen."
Aus der für Carsten Mietzsch zuständigen AOK hieß es zuerst: "Laut Unterlagen der AOK Sachsen-Anhalt ist der Sohn Carsten Mietzsch seit 1999 mit einem Rollstuhl versorgt. Ein aktueller Antrag der Familie Mietzsch zur Versorgung mit einem Rollstuhl liegt nicht vor." Nach einer erneuten Rückfrage der MZ und dem Hinweis darauf, dass es nicht um einen neuen Rollstuhl, sondern ein Rollfiets gehe, hieß es in der Antwort vom 30. Juli: "Der Fall wird derzeit im Widerspruchsausschuss der AOK Sachsen-Anhalt geprüft. Sobald ein abschließender Entscheid vorliegt, erhält Familie Mietzsch einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Bitte haben sie Verständnis, wenn wir im konkreten Fall zu dem laufenden Verfahren keine weiteren Auskünfte erteilen." Frau Mietzsch wurde erst am 13. August informiert, dass sich der Widerspruchsausschuss mit ihrem Anliegen befassen werde. Dies ist geschehen und führte wieder zur Ablehnung.
Bürgermeisterin Helga Welz wird sich nun der Sache annehmen und gemeinsam mit dem Stadtrat eine Lösung finden, um der Familie Mietzsch die Miete zu erlassen.