Feierabendheim in Jessen Feierabendheim in Jessen: Über 60 Jahre verjüngt

Jessen/MZ - Im April und Mai 1953 haben etwa 60 Senioren in Schweinitz das neu eröffnete Feierabendheim „Völkerfreundschaft“ bezogen. Es befand sich im einstigen Gutshaus im Dörfchen. Das 60-jährige Bestehen der Einrichtung feierten die Heimbewohner jetzt freilich an anderer Stelle, denn seit dem 18. November 2000 befindet sich der Neubau des Hauses in Jessens Albert-Schweitzer-Straße. In sechs Jahrzehnten hat sich die Einrichtung quasi verjüngt.
Zum Jubiläum herrscht Konzertatmosphäre im Speisesaal. Nach der Begeisterung, die der Paul-Gerhard-Instrumentalkreis im Vorjahr in Jessen ausgelöst hat, ist das Ensemble nun ein zweites Mal vor Ort – wenn auch in kleinerer Besetzung. Die Wittenberger Musiklehrerin Kristina Ackermann (Mezzosopran), Michael Marinov (Geige) und Wilfried Krüger (Keyboard) entführen auf eine blühende Frühlingswiese und besingen den Lenz als Monat der Liebe.
Start im früheren Gutshaus
Für Corinna Trebbin ist das Fest Anlass, Rückblick zu halten. Dazu hat sie in Aufzeichnungen früherer Mitarbeiter geblättert. Sie selbst ist seit 1994 als Heimleiterin tätig. Im „Brigadetagebuch“, das ab der Eröffnung des Schweinitzer Hauses am 30. April 1953 geführt wurde, findet Trebbin eine Fülle von Informationen: Vor der Eröffnung des Feierabendheims musste das frühere Gutshaus wieder bewohnbar gemacht werden. Corinna Trebbin hat dazu einen Beleg gefunden: „Am 30. März 1953 stellte Malermeister Gilbert aus Schweinitz für alle Arbeiten, einschließlich Tapeten, Rohre und für das Streichen der Fußböden eine Rechnung von 1 984,71 DM. Damals mag das viel Geld gewesen sein, heute träumen wir von solchen Summen“, kommentiert sie.
Vertreter des Landkreises vollzogen die Eröffnung. Anwesend waren der Rat der Stadt Schweinitz, Stadtverordnete, Lehrer sowie Parteien und Massenorganisationen. Die Feier fand im „würdig geschmückten großen Raume des Erdgeschosses“ statt. Einer der ersten Heimbewohner hieß Richard Lehmann. Schwarz-Weiß-Fotos zeigen, dass auch der Schulchor das Programm mitgestaltete. Der damalige Schulleiter, Direktor Böhme, versprach, „dafür einzutreten, daß die Insassen des Heims in Zeitabständen durch Musik, Gesang und Deklamationen erfreut werden.“ – „Kollegin Heimleiterin König“ habe zugesichert, dafür Sorge zu tragen, dass den Bewohnern ein „sonniger Lebensabend beschieden werde“. Ein Versprechen, das auch durch ihre Nachfolger sowohl in Schweinitz als auch in Jessen bis heute eingehalten wird.
Fotos von Faschingsfeiern, Ausflügen in den Spreewald, Weihnachts- und Geburtstagsfeiern aus den 50er und 60er Jahren erzählen von viel Gemütlichkeit. Aus Anlass des zehnten Jahrestages berichtet 1963 die Lausitzer Rundschau: „Vor zehn Jahren wurde das Heim mit 60 Plätzen eröffnet, heute sind es schon 85.“
Zwanzig Jahre später, am 30. April 1983, schreiben Walter Keller und ein weiterer Heimbewohner vom 30-jährigen Bestehen, dass die „vitalen Schwestern zuerst das Tanzbein schwangen“, nachdem Harald Donath flotte Melodien auf seiner Zimmerorgel angestimmt hatte. Dann aber „wurden auch die Alten angesteckt“ und wirbelten kräftig mit. Franz Seifert und „drei Chöre der hiesigen Schule“ erfreuten mit fröhlichen Liedern. Hausmeister Karl-Heinz Meinhardt („Charlie“) zeigte wiederholt sein Talent als Komiker, und Heimleiterin Geiersbach nutzte den Anlass, verdiente Mitarbeiter auszuzeichnen.
Balalaika im „Drushba“
Die letzten Aufzeichnungen des „Brigadetagebuches“ stammen aus dem Jahr 1988. Berichtet wird von einer Veranstaltung im Kreiskulturhaus „Drushba“. Dort erfreuten sich die Senioren am 12. April am Klang der Balalaika. Im Juni 1988 gab es während eines Betriebsausfluges ein Grillfest mit Preiskegeln für die Angestellten, und am 5. Juli 1988 begeisterte ein Diavortrag über die Hauptstadt Berlin. Schlusseintrag ist ein Bericht über einen Theaterausflug nach Dessau. Der Bus sei sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückreise im Stau stecken geblieben.
Die Wende bescherte Veränderungen. Die Trägerschaft wechselte vom Rat des Kreises am 1. Juli 1991 zur Feierabendheim Schweinitz-Dörfchen GmbH. Zum 40. Jahrestag wurde berichtet, dass am 3. Oktober 1993 der Grundstein für ein neues Haus gelegt werden solle. Das geschah jedoch erst am 2. August 1999 – und zwar in Jessen. Doch das Gebäude mit 40 Plätzen, am 18. November 2000 übergeben, erwies sich schnell als zu klein. „Bald gab es wieder Bauarbeiten, nach deren Abschluss weitere 32 Bewohner einziehen konnten“, erinnert Corinna Trebbin. Doch auch diese Vergrößerung reichte nicht. Der zweite Anbau wurde am 1. Juli 2011 zum 20. Jahrestag der GmbH-Gründung fertig. 92 Heimplätze stehen jetzt zur Verfügung – und diese sind, einschließlich Kurzzeitpflege, ausgebucht.
Unverändertes Motto
Die 60 Jahre waren sehr ereignisreich. Mitunter gab es auch Schattenseiten. Aber obwohl die Gegebenheiten zu Beginn andere waren, hat sich ein Ziel über sechs Jahrzehnte fortgesetzt: Aus dem Bericht über die Eröffnungsveranstaltung von 1953 zitiert Corinna Trebbin das seit damals unveränderte Motto: „Für unsere Alten ist das Beste gerade gut genug.“
