Energienetz im Landkreis Wittenberg Energienetz im Landkreis Wittenberg: Stromleitung der Zukunft?

Jessen - Der Netzbetreiber 50 Hertz will im nächsten Jahr bei Jessen eine zwei Kilometer lange 380-Kilovolt-Versuchs-Stromleitung mit einem neuartigen Masttyp bauen. Im Unterschied zu den herkömmlichen Stahlgittermasten handelt es sich um Vollmasten. Diese sind niedriger, haben einen geringeren Umfang, können aber die gleichen Kräfte aushalten. „compactLine“ hat 50 Hertz sein Zukunftsprojekt genannt.
Der Vormarsch der erneuerbaren Energien erfordert den Netzausbau. 50 Hertz ist als Betreiber des Übertragungsnetzes Höchstspannung für die so genannten Stromautobahnen verantwortlich. Die haben Akzeptanzprobleme - insbesondere der Freistaat Bayern wehrt sich dagegen, dass eine „Monstertrasse“ mit bis zu 75 Meter hohen Masten die Landschaft durchschneiden soll. Die Akzeptanzstudie, die 50 Hertz im Zusammenhang mit dem Projekt durchgeführt hat, zeigt, dass auch in Ostdeutschland ein hoher Anteil der Bevölkerung negative Auswirkungen auf das Natur- und Landschaftsbild durch den Ausbau von Stromtrassen befürchtet. Dabei spiele die Höhe der Masten eine größere Rolle als die Trassenbreite.
Aus Autobahn mach Bundesstraße
„Ausgangspunkt für die ,compactLine’ war die Idee, Trassen, die so groß sind wie eine Autobahn, so klein zu machen wie eine Bundesstraße“, erklärte Bastian Bohm vom Forschungsteam von 50 Hertz bei der Projektvorstellung jüngst im Wittenberger Stadthaus.
An den technischen Anforderungen an eine 380-Kilovolt-Stromleitung durfte es aber keine Abstriche geben: Maximal 420 Meter Spannfeldlänge, 12,5 Meter Bodenabstand am tiefsten Punkt des Leiterseils und Begehbarkeit der Masten. Um bei geringerer Masthöhe den Bodenabstand zu halten, muss der Durchhang der Leiterseile reduziert werden. „Sie einfach nur straff zu ziehen, geht aber nicht“, so Bohm.
Das Vorbild für die Lösung fanden die Forscher in der Seilbahn: Die Leiterseile werden wie eine Girlande an straffen Stahlseilen aufgehängt. Zwar ist der horizontale Ausleger beim neuen Mast etwas breiter als beim so genannten Donaumast, weil aber die Leiterseile anders gespannt werden, schwingen sie bei Wind weniger. Deshalb brauchen diese Stromleitungen trotzdem eine geringere Trassenbreite.
Workshops und Befragungen
50 Hertz hat im vergangenen Jahr in drei Bundesländern untersuchen lassen, ob ein neues Freileitungsdesign zu einer höheren Akzeptanz des Netzausbaus führen kann, und zwar in Mecklenburg- Vorpommern (Seenlandschaft), im sächsischen Zwickau (Gebirge) und in Sachsen-Anhalt, auf dem flachen Land - in Jessen und Umgebung. Zu dieser Akzeptanzstudie gehörten Workshops mit Vertretern der Wirtschaft und Bürgern der jeweiligen Region, eine Online-Umfrage und Vor-Ort-Befragungen.
„Jessen ist einer der Orte, in dem der Netzausbau am stärksten zu sehen ist“, so Bohm. Im Norden der Stadt wurden ein neues Umspannwerk gebaut sowie ein Abschnitt der 380-Kilovolt-Leitung erneuert (die MZ berichtete). Das erkläre den Unterschied, dass von einem größeren Anteil der Befragten in Jessen selbst (30,4 Prozent) die Eingriffsintensität von Stromtrassen in Natur und Landschaft stärker empfunden wird als in Sachsen-Anhalt insgesamt (17,4 Prozent). „Die unmittelbare Betroffenheit ist ein ausschlaggebender Faktor“, so Bohm.
Bei der Visualisierung beider Leitungsvarianten auf verschiedene Entfernungen wurde die „compactLine“ von den Testpersonen optisch viel später wahrgenommen als die herkömmliche Leitung. Am größten ist der Vorteil für das neue Design im hügeligen, bewaldeten Gelände. Die Simulation zeigte aber auch, dass es auf dem flachen Land ebenfalls Möglichkeiten gibt, das Auge von der Stromleitung wegzulenken, zum Beispiel durch Anpflanzen von Baumgruppen.
Die Pilottrasse soll, vom Jessener Umspannwerk aus kommend, bei Kleinkorga an die 380-Kilovolt-Leitung in Richtung Förderstedt angebunden werden (siehe Grafik). „Sie nimmt im Umspannwerk Strom aus Windenergie auf und speist ihn dort ein“, erklärt Dirk Manthey, Pressesprecher für das Gesamtprojekt. „Sie wird nicht in die Stromversorgung eingebunden.“
In der Pilotphase, die ein bis zwei Jahre dauern soll, wird geprüft, ob das System allen technischen und sicherheitsrelevanten Anforderungen genügt. „Erst wenn wir das Okay geben, kann sie überall auf der Welt gebaut werden“, so Bohm. (mz)