Tanzen im Kreis Wittenberg Deutscher Hip-Hop-Meister Colin Reina Hernández: Wie er vom Schüler zum Trainer wird
Der 20 Jahre alte Colin Reina Hernández ist Deutscher Meister im Hip-Hop. Der Elsteraner trainiert Jugendliche in der Tanzschule Harnisch. Warum er das Tanzen fast verloren hat.
Elster/Wittenberg/MZ. - Die Hip-Hop-Beats wummern durch das Studio der Tanzschule Harnisch. Noch hakt es bei dem neuen Schritt, den Colin Reina Hernández seinen jungen Schülern gezeigt hat. Mit einem Klopfzeichen auf sein Cap signalisiert er, ohne gegen die Musik anzuschreien, dass sie die gesamte Sequenz noch einmal tanzen werden. Wieder will der Schritt nicht funktionieren. Die Musik stoppt. Der 20-jährige Trainer hat gesehen, was nicht stimmt. Langsam geht die Gruppe jede Bewegung durch – und plötzlich ist es ganz einfach.
Erste Schritte als Lehrer
Die Klasse hat der Designstudent vor wenigen Wochen übernommen. Es ist sein erster Job als Trainer. „Es groovt sich ein“, so seine Einschätzung. Die Jugendlichen bringen eine gehörige Portion Tanzerfahrung mit. Sören Richter tanzt, seit er vier Jahre alt ist. „Ich habe mit Gardetanz beim Carnevalverein in Elster angefangen und dann mit Kindertanz bei Harnisch weitergemacht“, so der 14-Jährige, der über den klassischen Paartanz beim Hip-Hop angekommen ist. Dieser ist seiner Meinung nach „cooler“.
Den Unterricht von Colin findet er sehr gut, obwohl er hin und wieder den Musikgeschmack seines Trainers anzweifelt. Daran, dass er in den Tanzgruppen fast immer der einzige Junge ist, hat er sich bereits gewöhnt. Die elfjährige Maja Fiedler findet, dass ihr Trainer seine Sache gut macht. Ihre ersten Tanzschritte hat sie in Ballettschuhen gemacht. „Ich hatte Bock, etwas völlig Neues zu lernen. Mir hat die Bewegung beim Ballett gefehlt. Hip-Hop ist kraftvoller.“
Die Gruppe horcht auf, als sie durch die Reporterin der MZ erfährt, dass ihr Trainer Deutscher Meister ist. Dass er gut ist, war ihnen bewusst, aber nicht wie gut und dass er Pläne mit ihnen hat, ebenso wenig.
Colin Reina Hernández sagt von sich selbst: „Ich habe immer getanzt.“ Dass er „erst“ als Neunjähriger – für Tänzer ist das ein relativ später Einstieg – in eine professionelle Tanzschule gegangen ist, stand seinem Erfolg offensichtlich nicht im Weg. Vor dem Tanzen hat er sich in vielen Sportarten ausprobiert. Er zählt Karate, Hand- und selbstverständlich Fußball auf. Doch sein „Ding“ ist das Tanzen. „Kurz gesagt, Tanzen ist Freiheit! Wenn ich mich zur Musik bewege, hilft es mir, mich zu fokussieren, Dinge auch mal zu vergessen und ich kann mich darüber ausdrücken.“ Seine tänzerische Heimat ist das „Tanzhaus Gifhorn“ (Niedersachsen) von Streetdance-Weltmeister Noran Kaufmann. Diese Tanzschmiede ist seit vielen Jahren nicht nur ein Garant auf Titel. Einem größeren TV-Publikum ist die Vorzeige-Crew „Special Delivery“ aus der Tanzshow „Got to Dance“ ein Begriff.
„Ich habe viele Abstecher gemacht“, sagt der 20-Jährige und meint, dass er das vielfältige Angebot an Workshops wahrgenommen hat. Die Schule bietet viel im Bereich urbaner Tanzstile und lädt namhafte Coaches ein. „Im Tanzhaus waren Trainer wie die Choreografin Nikeata Thompson oder die Tanzlegende Buddha Stretch, der schon mit Michael Jackson gearbeitet hat.“ Sein Stil wurde von jedem einzelnen seiner Trainer geprägt, sie gaben ihm das Fundament, auf dem er seine Art zu tanzen aufbaut. „Alles, was ich cool finde, findet seinen Weg in meine Tänze, es geht alles ineinander über.“
Dass er den Deutschen-Meistertitel im Solowettbewerb gewinnen würde, war alles andere als geplant. 2019 wollte der damals 16-Jährige eigentlich „unbedingt“ in eine der Crew-Formationen kommen. Die sechsköpfige Jury des Tanzhauses schätzte beim internen Casting seinen Stil als noch „unreif“ ein. Doch sein größtes Problem ist seine Körpergröße. „Dadurch steche ich immer heraus. In einem Sport, in dem sich vieles um Optik dreht, ist das nicht gut“, erklärt der 1,94-Meter-Mann. Trotzdem sahen seine Trainer sein Potenzial. David White, Streetdance-Weltmeister und Fitnessexperte, trainierte mit Colin zwei Stunden an sechs Tagen die Woche in den zwei Monaten vor den Ostdeutschen Meisterschaften der UDO (United Dance Organisation) in Magdeburg. „Ich hatte in der Zeit superviel Spaß, auch wenn es krass war, habe ich viel gelernt.“
Weg zum Erfolg
In Magdeburg stand er erstmals auf einer großen Bühne vor tausend Zuschauern und der Jury. „Ich bin auf dem vierten Platz gelandet.“ Obwohl er sich nicht viel ausrechnete, trainierte er weiter, immerhin hatte er sich für die Deutsche Meisterschaft in Pforzheim qualifiziert. Dort spielte ihm alles in die Karten. Die Bühne war klein und abgedunkelt. Gute Bedingungen für einen Anfänger, der mit Lampenfieber kämpft. Er sagt: „Ich war von dem Sieg völlig verwirrt, der Zweitplatzierte hätte es genauso verdient.“
Und dann kam Corona. Von hundert auf null in wenigen Monaten – und das Ende all seiner tänzerischen Ambitionen. Für den 16-Jährigen eine Katastrophe. Er versuchte dranzubleiben, die wöchentlichen Online-Kurse der Tanzschule mitzunehmen, doch „das Gefühl ging flöten“. Hinzu kam der Umzug in die alte Heimat seiner Mutter nach Elster. Die pflegt Kontakt mit einem Freund aus Jugendtagen. Benjamin Harnisch, der Chef der Wittenberger Tanzschule, bot Colin an, in sein Haus zu kommen. Doch dieser konzentrierte sich auf die Schule, sein Praktikum bei der Wittenberg Marketing GmbH und seinen Kellnerjob.
Als vor wenigen Wochen die Tanzschule Harnisch dringend einen Trainer suchte, passte endlich wieder alles und Colin sagte zu. Diese Entscheidung hat er seitdem nicht eine Sekunde bereut. „Ich habe das Gefühl von Freiheit wieder zurück!“ Das, was er nur hat in einem Trainingsraum, wenn die Musik richtig dröhnt und Tanzen das Natürlichste der Welt wird. Was die Zukunft angeht, hat er gelernt, dass er die nie weitersehen kann als „ein Scheinwerfer im Dunkeln strahlt“. Trotzdem sieht er in seiner Tanzgruppe viel Potenzial, das er gerne ausschöpfen würde. Dazu zählt die Teilnahme an der UDO in Magdeburg.