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Atomwaffen in der DDR gelagert Atomwaffen in der DDR gelagert: Großes Interesse an den russischen Militärgeheimnissen

Von Detlef Mayer 31.03.2018, 07:01
Dr. Reiner Helling (vorn rechts) stellte im voll besetzten Saal vom Landhotel Hagen in Stolzenhain das ehemalige sowjetische Atomwaffenlager Linda/Stolzenhain vor. Begleitet wurde er von Dietmar Steinecker (links daneben), mit dem er die Broschüre „Das unbekannte Geheimnis - über das Atomwaffenlager Linda/Stolzenhain“ verfasst hat.
Dr. Reiner Helling (vorn rechts) stellte im voll besetzten Saal vom Landhotel Hagen in Stolzenhain das ehemalige sowjetische Atomwaffenlager Linda/Stolzenhain vor. Begleitet wurde er von Dietmar Steinecker (links daneben), mit dem er die Broschüre „Das unbekannte Geheimnis - über das Atomwaffenlager Linda/Stolzenhain“ verfasst hat. D. Mayer

Stolzenhain - „Ich bin geplättet“, sagte Dr. Reiner Helling angesichts des proppenvollen Saals im Landhotel Hagen in Stolzenhain. Am Mittwochabend war der Jessener gemeinsam mit Dietmar Steinecker aus Gentha - die beiden sind die Autoren der 160-seitigen Broschüre „Das unbekannte Geheimnis - über das Atomwaffenlager Linda/Stolzenhain“ - angetreten, um seinen ersten öffentlichen Vortrag über besagtes sowjetisches Militärobjekt zu halten. Rund 150 Interessierte wollten diese Veranstaltung - sie dauerte fast anderthalb Stunden - nicht verpassen.

Kleine Stadt mit Bunkern

In dem Komplex im Wald unweit von Bundesstraße 101 und Stolzenhain wurden zwischen 1968 und 1990, sorgsam verborgen vor den Augen der Bevölkerung, nukleare Sprengköpfe bereit gehalten, die man im „Ernstfall“ an die Nationale Volksarmee der DDR auszuhändigen und mit Raketen zu verschießen gedachte.

Kernstücke der Anlage waren zwei voll klimatisierte Hochsicherheitsbunker. Aber auch eine Kaserne mit allem, was dazu gehört, befand sich auf dem abgeschlossenen Areal. Dort lebten, wie Reiner Helling schätzte, über die gut 20 Jahre zwischen 2.000 und 2.500 Menschen (etwa 160 Soldaten in zweijährigem Wechsel und rund 80 Offiziere mit einer Rotationszeit von fünf Jahren) - eine richtige kleine Stadt also.

Beide Teile des Objekts stellte der Referent mit großer Sachkenntnis und entsprechend detailreich in seinen umfänglich per Beamer und Leinwand bebilderten Ausführungen vor. Auch auf die politische und die militärische Weltlage (Kalter Krieg), die zum Bau dieses Atomwaffenlagers führte, ging der 67-Jährige ein.

Wer das von Reiner Helling Vorgetragene konzentriert in Form der Broschüre „Das unbekannte Geheimnis“ für 15 Euro nach Hause tragen wollte, hatte eine Chance dazu nur vor Beginn der Veranstaltung. 80 Exemplare ihres Buches hatten Reiner Helling und Dietmar Steinecker mitgebracht. Die reichten aber bei weitem nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Daher musste eine Bestellliste für alle übrigen Interessenten angelegt werden.

Bei den nuklearen Gefechtsköpfen, die nahe Stolzenhain in Mengen von mehreren Dutzend deponiert waren, handelte es sich sozusagen „um Atombomben, mit denen Raketen bestückt werden konnten“. Wie Reiner Helling am Beispiel eines Typs für eine Scud-B-Rakete (300 Kilometer Reichweite) erläuterte, war solch ein Sprengkopf reichlich drei Meter lang, hatte einen Durchmesser von 90 Zentimetern und wog rund eine Tonne.

Dabei sei die eigentliche „Bombe aus Plutonium und angereichertem Uran“ nur fußballgroß und gerade mal elf Kilogramm schwer gewesen. Um die Zerstörungskraft derartiger Waffen zu verdeutlichen, wartete der 67-Jährige mit weiteren Zahlen auf: „Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen“, sagte er und gab zum Vergleich die Sprengkraftspanne der bei Stolzenhain gebunkerten Gefechtsköpfe mit zehn bis 100 Kilotonnen an.

Am Ende seiner Ausführungen bedankte sich Reiner Helling ausdrücklich bei den beiden Ukrainern Igor Gutsevich und Viktor Budsichowski als ehemals in Stolzenhain Stationierten für ihre fachliche Unterstützung, bei seinem Freund Dietmar Steinecker und bei Manfred van Heerde aus Schönewalde, dem heutigen Eigentümer der einstigen Atomlager-Immobilie.

„Wir haben mit dem Projekt Neuland betreten“, resümierte der Referent und brachte zum Ausdruck, dass die beiden Autoren der Broschüre „Das unbekannte Geheimnis“ erfreut wären, wenn sie von Leuten, die in irgendeiner Weise mit dem vormaligen Militärobjekt oder seinem Personal zu tun hatten, noch mehr Dokumente, Erlebnisberichte und Fotos bekommen könnten.

Tulpen gezüchtet

Als schönes Beispiel für solche fruchtbaren Kontakte schilderte der Jessener, dass erst dieser Tage jemand aus Döbrichau (bei Torgau) an ihn herangetreten sei und ihm mitgeteilt habe, dass er über einen längeren Zeitraum täglich Offiziersfrauen aus der sowjetischen Kaserne in Stolzenhain dorthin chauffiert und auch wieder abgeholt habe.

Die Frauen seien in Döbrichau bei einem Gartenbaubetrieb in der Zucht von Tulpen tätig gewesen, welche die DDR damals - man höre und staune! - nach Holland exportiert habe. Er, so der Informant, könne sich sehr gut daran erinnern und es existiere sogar noch das Brigadebuch aus jener Zeit - mit Fotos auch von den Offiziersfrauen. (mz)