Als Jessen noch ein Landkreis war Als Jessen noch ein Landkreis war: Ex-Landrat Ernst Meyer erinnert sich

Holzdorf - Gegen 14 Uhr stand es am 16. Juli 1990, vor 30 Jahren also, fest: Mit zwei Drittel Mehrheit hatten sich die Einwohner des damaligen Kreises Jessen im Bezirk Cottbus am Tag zuvor (der 15. Juli war ein Sonntag) für die Zuordnung zu Sachsen-Anhalt entschieden. Jessen war einer von 15 damaligen Kreisen, in denen die Bürger befragt wurden, zu welchem der neu zu bildenden Bundesländer ihre Kreise künftig gehören sollten.
Zur Wahl standen für den Kreis Jessen Sachen-Anhalt oder Brandenburg, Sachsen nicht. Wie er diese Zeit damals erlebte, welche Erinnerungen er daran hat und wie er das aus heutiger Sicht sieht, darüber sprach Klaus Adam mit dem ersten Jessener Landrat, Ernst Meyer (seinerzeit CDU).
Sie waren nach den ersten freien Wahlen in der DDR am 6. Mai 1990 der erste Landrat für den Kreis Jessen. Damit hatten Sie den Prozess der Bürgerbefragung mit zu gestalten. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ernst Meyer: Ich war seit 1. Juni 1990 Landrat. Es war so, dass der Ostteil des Kreises Jessen, der schwach bevölkerte, Verbindungen nach Herzberg und Jüterbog hatte - also heute Brandenburg. Es ging ja vor allem ums Einkaufen. Der bevölkerungsstarke war der Westteil, sprich Elster, Annaburg, Prettin, Jessen und Umland - die haben sich damals mehrheitlich für Sachsen-Anhalt entschieden.
Der Kreistag musste ja nach dem Ausgang der Bürgerbefragung ein Votum treffen, das als Antrag zur Länderbildung diente? Sie selber waren als Holzdorfer für Brandenburg. Mit welchen Emotionen haben Sie dann die Entscheidung im Kreistag mitgetragen?
Meine Emotionen musste ich da natürlich zu Hause lassen. Aber vor allem einige Betriebsleiter waren mit dem Entscheid sehr unzufrieden. Viele der Betriebe hatten ja traditionell ihre Wirtschaftsverbindungen innerhalb des Bezirkes Cottbus. Damit waren alle verflochten und wussten jetzt nicht mehr, wie neue Verbindungen zustande kommen sollten. Es war ja auch nicht abzusehen, dass alle auf einmal selbständig waren und nicht mehr gesagt bekamen, was sie zu tun und zu lassen haben. Das war noch ein bisschen Niemandsland. Aber es war ja der Mehrheitswille. Und so hat der Kreistag das Ergebnis der Befragung bestätigt. So kamen wir mit der Ländergründung zu Sachsen-Anhalt.
Die neuen Länder wurden mit dem Tag des Vollzuges der Einheit am 3. Oktober 1990 gebildet.
Ja, sie mussten ja bestehen, bevor zum ersten Mal der gesamtdeutsche Bundestag gewählt wurde. Das war dann am 2. Dezember 1990. Bis zum 3. Oktober, bis das dann alles entschieden war, war ich immer noch zu den Dienstberatungen in Cottbus.
Die Wirtschaftsstrukturen waren ja zum Teil in Auflösung geraten oder in Umwandlungsprozessen. Konnten Sie als Landrat da viel mit managen?
Nein, gar nicht. In wirtschaftlichen Fragen waren wir aus allem raus. Es gab keine Bezirksplankommission, keine Kreisplankommission mehr, das fiel alles weg. Alle waren sich selber überlassen.
Wie lief dann die „Einbürgerung“ nach Sachsen-Anhalt?
Wir mussten ja erstmal die Leute kennenlernen. Es gab viele Gespräche auch gemeinsam mit dem Kreistagspräsidenten Klaus Wolfslast. Ich hatte einen guten Kontakt zum Wittenberger Landrat Wulf Littke, aber auch zum Herzberger Kollegen Wilfried Schrey. Man ist sich näher gekommen.
1994 war dann Schluss mit dem Kreis Jessen...
Da war ich nicht mehr Landrat. Ich habe die „Kapitulationsurkunde“ nicht unterschreiben müssen. Aber es gab gar keine andere Wahl. Der Kreis Jessen war wirtschaftlich viel zu klein. Es gab ja nur noch die Landwirtschaft.
Ausgebildeter Lehrer
Der Kreis Jessen war ein Kunstgebilde, das 1952 im Zuge der Einführung der Kreise in der DDR zustande kam. Es flossen Teile der damaligen Kreise Herzberg, Torgau und Wittenberg ein. Bis zur Länderbildung 1990 gehörte der Kreis Jessen zum Bezirk Cottbus.
Ernst Meyer, Jahrgang 1949, ist im Bezirk Magdeburg geboren. In Halle studierte er vier Jahre und wurde Lehrer. Die Absolventen wurden seinerzeit Schulen zugeteilt. Meyer ging nach Lübben. Ab 1979 war er dort dann Leiter des Wohnungsamtes und begann berufsbegleitend ein Fernstudium in Potsdam im Fach Staat und Recht.
1985 kam er nach Jessen und wurde Stellvertreter für Handel und Versorgung der Vorsitzenden des Rates des Kreises. CDU-Mitglied war er seit 1971. Nach dem tödlichen Unfall seiner Frau 1991 trat er als Landrat zurück, um sich besser um die Kinder kümmern zu können. Er wurde Bürgermeister von Holzdorf. Das blieb er neuneinhalb Jahre. (mz)
