1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. 176. Schul- und Heimatfest in Jessen: 176. Schul- und Heimatfest in Jessen: Hauch Nostalgie bewahrt

176. Schul- und Heimatfest in Jessen 176. Schul- und Heimatfest in Jessen: Hauch Nostalgie bewahrt

Von Gabi Zahn 07.08.2014, 17:02
Bewegender Moment: Mit (v. l.) Schwiegertochter Frauke Sauerwald, Sohn Thomas, Enkel Antonio und Ehemann Bernd sind alle Generationen der Familie anwesend, als Dennis Weiner (r.), Autor des Heimatfestbuches, eine Ausgabe an Hannelore Bachmann überreicht. Darin wird die tiefe Verbundenheit der Bachmanns und Karbowskys mit dem Jessener Heimatfest geschildert.
Bewegender Moment: Mit (v. l.) Schwiegertochter Frauke Sauerwald, Sohn Thomas, Enkel Antonio und Ehemann Bernd sind alle Generationen der Familie anwesend, als Dennis Weiner (r.), Autor des Heimatfestbuches, eine Ausgabe an Hannelore Bachmann überreicht. Darin wird die tiefe Verbundenheit der Bachmanns und Karbowskys mit dem Jessener Heimatfest geschildert. G. Zahn/Privat Lizenz

Jessen/MZ - Hannelore Bachmann steht auf dem Elsterdamm. Vor ihr liegen Fluss und Stadt. Alles ist noch ruhig, bevor Freitag das Spektakel startet. Hinter ihr beginnt die Schulfestwiese, auf der Hannelore die Wohnwagen und den „Musikexpress“ – das familieneigene Fahrgeschäft – weiß. Der Anblick berührt die 66-Jährige zutiefst. Sie wird einen Moment ganz still. Dann sagt sie: „Vor etwa 45 Jahren war es ähnlich, und doch ganz anders. Damals war ich das letzte Mal hier, gerade Anfang Zwanzig. Schon zu jener Zeit war Jessen für mich ein besonderer Platz.“

Später auf der Terrasse ihres Wohnwagens: Ehemann Bernd Bachmann (73) setzt sich neben seine Frau, mit der er seit mehr als vier Jahrzehnten das Leben teilt. Beide entstammen Schaustellerdynastien. Sie ist eine geborene Karbowsky aus Dahme in Brandenburg. Er kommt aus der Sachsenmetropole Dresden. Die Urahnen waren teils noch mit Pferdefuhrwerken auf Reisen. Seit 2005 führt Sohn Thomas (42) das Unternehmen in sechster Generation. Das Ehepaar plaudert über vergangene und neue Zeiten. Meist spricht Hannelore. Die Worte scheinen ihr aus dem Herzen zu strömen, während ihr Mann ab und zu einen Satz einstreut und ansonsten seine Frau mit Blicken streichelt.

„Mein Vater Fritz Karbowsky hatte drei Geschwister. Alle waren Schausteller. Schon die Großeltern besaßen einen Wellenflieger. Das war damals eine Attraktion“, berichtet sie. Dennoch verkauften sie diesen nach Amerika und eröffneten mit dem Geld eine Gaststätte. „Sie wollten sesshaft werden, doch das ging schief. Das Reisefieber lag ihnen im Blut – und wir haben es alle geerbt“, so die Enkelin. In den 1930er Jahren starteten die Karbowskys in Dahme neu - mit einer Berg-und-Tal-Bahn. Doch der Krieg bremste die Volksfeste aus. Vater Fritz musste an die Front. Nach 1945 blieb von Karussell und Wagen nicht viel übrig. Aus den Resten baute Fritz Karbowsky eine Wellenbahn mit Schmetterlingsgondeln. Damit wurde die Familie auch Stammgast beim Jessener Heimatfest. „Nach den entbehrungsreichen Jahren wollte mein Vater Freude verbreiten und hat stets neue Attraktionen herbeigeholt: Opa Prinz aus Herzberg kam mit seiner 15 Meter langen Bude. Nebeneinander konnte man Bälle werfen, schießen und losen. Töpfers bauten ihr Kinderkarussell auf, die Ecksteins ihre Walzerfahrt. Plänert brachte die Schrägbahn mit, Schröder die Fahrt ins Blaue. Von Langes kam die Schlickerbahn, von Kühnes die Luftschaukel, auch Grabes Eismaschine und Kettenkarussell gehörten dazu.“

Hannelore Bachmann nennt die früheren Jessener Platzmeister: „Erst Herr Löwe, dann Herr Fritzsche. Reno Sperlich, den jetzigen, kenne ich noch als kleinen Buben. Wir Schaustellerkinder waren mit vielen Gleichaltrigen aus der Stadt befreundet. Die Begeisterung der Jessener für ihr Fest übertrug sich auch auf uns.“

Ab Klasse vier ging Hannelore in Dahme zum Unterricht. „Ich wohnte bei der Familie von Schulleiter Schulze und wurde zeitweilig ihr fünftes Kind. An den Wochenenden und in den Ferien holte mich mein Vater auf die Rummelplätze. In Jessen und Schweinitz fielen die Heimatfeste stets in die großen Ferien. Da war ich immer dabei.“ Als Ende der 60er Jahre Vater Fritz Karbowsky krank wurde, verkaufte die Familie die Schmetterlings-Wellenbahn. Mit Kinderkarussell und Schießbude ging es weiter – bis sich Hannelore und Bernd fanden. Wo? Auf dem Rummelplatz. Beide heirateten und verlegten ihr Tourengebiet nach Sachsen.

Vater Fritz starb 1973, die Mutter 1985. Die Geburt seines Enkels Thomas hatte der Großvater noch miterlebt. Sein Wunsch, dass er einst die Geschäfte übernehmen möge, hat sich erfüllt. Weil Thomas’ Lebenspartnerin Frauke Sauerwald auch aus einer Schaustellerfamilie stammt, ist den Bachmanns um die nächsten Jahrzehnte nicht bange. Ob die Enkel Antonio (fünf) und Isabella (elf) eines Tages die Firma weiterführen, bleibt ungewiss. „Heute ist alles überreichlich vorhanden. Das macht unseren Beruf nicht leichter. Jahr um Jahr sollen die Fahrgeschäfte ausgefallener werden“, zeigt die Senior-Chefin auf. „Unser Musikexpress ist eine gute Mischung. Er bewahrt jenen Hauch von Nostalgie, den schon die Wellenbahn umgab, ist aber mit Hightech ausgestattet. Am Nachmittag gibt es Familienfahrten, am Abend wird es rasanter. Vier Personen haben in jeder Gondel Platz. Täglich wird die Technik gecheckt und geputzt.“

Etwas nachdenklich bekundet sie: „Wir Älteren treten etwas kürzer, aber mein Mann hilft noch immer beim Auf- und Abbau. Jeder kann an mehreren Stellen eingreifen. Drei rumänische Angestellte sind uns fleißige Helfer. Es ist schwer, einheimische Arbeitssuchende zum Mitreisen zu bewegen. Wir wissen es ja selbst am besten: Schausteller kann nur sein, wer mit Lust und Liebe dabei ist.“

Die legendäre Wellenbahn der Karbowskys
Die legendäre Wellenbahn der Karbowskys
G. Zahn/Privat Lizenz