Wormsleben Wormsleben: Am «Arsch der Welt»
wormsleben/MZ. - Die Bienen haben es Gerhard Goßrau angetan. Früher zu DDR-Zeiten hat sich das Geschäft mit dem Honig freilich noch richtig gelohnt. Heute hält der Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik auf seinem Grundstück in Wormsleben nur noch sieben Bienenvölker. "Der Natur wegen", sagt der 67-jährige Hobby-Imker.
Er sitzt unterm Sonnenschirm vor dem elterlichen Haus und genießt die Ruhe. "Es ist herrlich hier", schwärmt der gebürtige Sachse, der früher 30 Jahre lang in Halle-Neustadt gewohnt hat. Der Arbeit wegen. Gerhard Goßrau war dort seit 1969 im Datenverarbeitungszentrum (DVZ) beschäftigt. "Ich habe von der Pike auf alles miterlebt", sagt er. Selbst ein Fernstudium an der Universität in Halle hat er noch gemacht. Unzählige Geschichten aus dieser Zeit und über Wormsleben kann er erzählen.
Im Jahre 1992 war Schluss beim DVZ. Seither verfällt der mehrgeschossige Plattenbau an der Magistrale. Gerhard Goßrau musste sich notgedrungen nach einem anderen Job umschauen. Er landete in einer Poolfirma in Zscherben. Als vor fünf Jahren seine Eltern in Wormsleben starben, kehrte er in den Ort seiner Kinder- und Jugendzeit zurück und machte sich selbständig.
"Es ist allerhand passiert, auch im Ort", sagt Goßrau und zeigt auf die neu gedeckten Dächer gegenüber. Er hatte den Kontakt in sein Heimatdorf nie verloren, denn wegen seiner Bienen war er fast jedes Wochenende hier. Das Gebäude, in dem schon sein Großvater wohnte, hatte der frühere Seeburger Schlossbesitzer Wendenburg für einen Buchhalter gebaut. In Wormsleben besaßen die Wendenburgs seit dem 19. Jahrhundert ein Gut mit einer Schäferei.
In dem früheren Inspektorhaus hatte sich zeitweise eine Kneipe etabliert, die sich "Am Arsch der Welt" nannte. Freunde der Countrymusik trafen sich in dem Western-Landhaus, wie es noch heute an der Wand zu lesen ist. Westernklänge sind dort aber schon lange nicht mehr zu hören. Alles ist dicht. Nur ein Kneipenschild hängt noch über der Eingangstür.
"Früher war hier mehr los", beklagt Erna Schulze. Da habe es noch eine Schule im Ort gegeben, auch einen Konsumladen, und einen Bäcker. Heute sei man auf die Verkaufswagen angewiesen oder müsse nach Eisleben zum Einkaufen fahren, erzählt sie. Vor allem Arbeit habe es gegeben, fügt ihr Mann Heinz an. Der gelernte Maurer, der aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf später aufgeben musste, stand beim Volksgut "Walter Schneider" in Lohn und Brot, so wie viele andere aus Wormsleben. Erst beim Feldbau, später auf den Obstplantagen.
1992 kam dann das Aus. Das vormals volkseigene Gut machte dicht. Den heute 74-jährigen Heinz Schulze hat das alles sehr mitgenommen. Zwei Herzinfarkte hat er erlitten. "Er hat die Arbeitslosigkeit schwer verkraftet", sagt seine Frau und ihr Mann nickt.
Wenigstens das Haus, in dem die Schmiede des Gutes untergebracht war, konnten sie 1996 kaufen. Wenn das Wetter es zulässt, sitzen sie auf der Bank davor und beobachten das Treiben in der alten Schäferei. Ein Stück weiter steht eine Reithalle im Rohbau. Vor zwei Jahren sei dort jemand abgestürzt. Wie es mit dem Bauwerk nun weitergeht, wissen sie nicht.
Hin und wieder rollt die Tschutschubahn eines Reiseunternehmens, dessen Depot sich in dem Gemäuer befindet, mit Ausflüglern von hier aus los, um den nahe gelegenen Süßen See zu erkunden. Dort erstrecken sich noch immer die Obstplantagen, die heutzutage von verschiedenen Landwirten bewirtschaftet werden. Die Arbeit machen zumeist polnische Erntehelfer, die auf dem früheren Gut in Wormsleben untergebracht sind. Manche in festen Steinhäusern, andere in Groß-Containern.
An diesem Nachmittag ruhen sich gerade ein paar junge Männer vor ihrer Unterkunft aus. Er sei das erste Mal in Deutschland, erzählt Tomek, ein 23-jähriger Student aus Tschenstochau. An der Technischen Hochschule des bekannten Wallfahrtsortes will er Bauingenieur werden. Um sein schmales Salär aufzubessern, habe er sich als Saisonarbeiter verdingt. "Doch es gibt zu wenig zu tun für uns, wir hätten gern mehr verdient", sagt der junge Mann in gebrochenem, aber gut verständlichem Deutsch. Er hat die deutsche Sprache in der Schule gelernt, so wie viele polnische Schüler. Aus den Reaktionen seiner Nachbarn, meist junge Leute, ist zu erahnen, dass auch sie unsere Sprache verstehen.
Anfang September geht der 23-Jährige zurück nach Polen. Von Wormsleben und der Region hat er nicht viel gesehen. Mit den Einwohnern komme man ohnehin kaum ins Gespräch, räumt er ein.
In der nächsten Woche schauen wir uns in Blumerode um.