Schicksal in Hettstedt Schicksal in Hettstedt: Syrische Familie wird zusammengeführt

Hettstedt - Kerstin Müller muss sich die Tränen verdrücken. Als die Schulleiterin der Evangelischen Grundschule in Hettstedt den Schülern der 4. Klasse die Geschichte über deren Klassenkameradin Alaa Hajusef erzählt und dabei die Eltern und Geschwister des elf Jahre alten syrischen Mädchens mit im Raum sitzen, ist sie ergriffen. Die Lehrerin und das Mädchen, das seit etwa acht Monaten die Schule in der Kupferstadt besucht, haben erreicht, dass die Familie wieder zusammengeführt wurde.
Familie blieb in Syrien
„Acht Monate, fünf Tage, neun Stunden“, sagt Alaa Hajusef. Genau solange war das Mädchen von ihrer Mutter Leila sowie Schwester Thoraia (10) und Bruder Ahmed (5) getrennt. Mit ihrem Vater ist sie im September 2015 vor dem Krieg in Syrien geflüchtet. „Es war schwierig dort zu leben, zu gefährlich. Wir hatten kein Wasser und kein Strom“, erzählt sie der MZ.
Ihre Mutter habe sie und ihren Vater losgeschickt. Dass der Rest der Familie in Syrien blieb, sei den Strapazen geschuldet gewesen. Schwester Thoraia hat eine Behinderung, ist mit Laufen eingeschränkt. Dass sie irgendwann nachkommen können, war ihre Hoffnung.
Schulleiterin hat sich für Familie eingesetzt
Doch je länger Alaa von ihrer Mutter getrennt war, umso schlechter sei es ihr gegangen, erzählt Kerstin Müller, die sich vom ersten Schultag an um das Mädchen kümmerte. Zudem seien Eltern und Mitschüler eifrig dabei gewesen, Möbel für die Wohnung, in der Alaa mit ihrem Vater lebte, und Kleidung zu besorgen. Aber: Dem Mädchen fehlte ihre Mutter. „Sie war oft traurig, wir haben oft zusammen geweint“, erzählt Kerstin Müller. Im März dieses Jahres habe Alaa ihr gesagt, dass sie sich in der Schule nicht mehr konzentrieren könne, wenn ihre Mutti nicht nach Deutschland kommen kann. Müller, der Alaa ans Herz gewachsen und die für das Mädchen zu einer Bezugsperson geworden ist, setzte daraufhin alle Hebel in Bewegung.
Ausreise wurde verweigert
Mit Behörden, Bundestagsabgeordneten und Botschaften habe sie Kontakt gehabt, so Müller. Bis es das ersehnte Okay für die Ausreise der Mutter und der beiden Kinder gab. Den Weg von Syrien in die Türkei hatten sie bereits zurückgelegt. Mit einem Flieger sollten die Drei von Izmir nach Leipzig kommen. Kerstin Müller hatte mit Unterstützung einen Kleinbus organisiert, damit die Familie vom Flughafen abgeholt werden konnte. Doch die Ausreise an diesem Tag wurde in der Türkei verweigert. Wie Müller sagt, weil Zwischenstopps auf dem Flug vorgesehen waren. Einen Tag später war es aber soweit. Mit einem Direktflug nach Frankfurt/Main.
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Elfjährige hat gedolmetscht
Die Lehrerin, die an dem Tag frei hatte, wurde von ihrer Schülerin informiert, doch konnte sie dem Mädchen und ihrem Vater, der im Gegensatz zu Alaa kaum deutsch spricht, bei der Reise nach Frankfurt nicht helfen. So organisierte die Elfjährige sie selbst: Sie besorgte Zugtickets, um von Hettstedt nach Frankfurt zu kommen, dolmetschte für ihren Vater und beide kamen nach ein paar Stunden in der Metropole an. Dort war die Familie wieder vereint. „Und ich habe das erste Foto per Handy bekommen“, erzählt Kerstin Müller.
Offener Umgang mit Religion
Die Schulleiterin verschweigt nicht, dass sie, als es um die Aufnahme des syrischen Mädchens ging, Bedenken hatte. Zum einen: „Als wir das Thema Zuwanderung im Religionsunterricht behandelt haben, war es für mich erschreckend, welche Position Kinder dazu hatten.“ Als Alaa an die Schule kam, habe sich das ins ganze Gegenteil gewandelt, sagt sie heute froh. „Sie ist akzeptiert, hilfsbereit, freundlich.“ Zum anderen: Die unterschiedlichen Religionen. Alaa ist Muslime. „Ich wusste nicht, wie sie es aufnimmt, wenn wir Andachten, Gottesdienste und Religionsunterricht machen“, so Müller. Für das Mädchen war es kein Problem. Als der Islam im Unterricht behandelt wurde, erzählt die Lehrerin, habe die Elfjährige viel berichten und ergänzen können. „Das war sehr interessant für die Klasse.“ Das syrische Mädchen sei ein Glücksfall für die Evangelische Grundschule, meint Müller.
Gute Fortschritte
Eigentlich müsste Alaa in die 6. Klasse gehen, wie sie sagt. Weil sie bei ihrer „Einschulung“ im November in die Evangelische Grundschule nicht so gut deutsch konnte, kam sie in die 3. Klasse. Doch Alaa lernte schnell, konnte im März in Klassenstufe vier wechseln. „Sie schreibt zentrale Klassenarbeiten mit und erzielt tolle Leistungen. Sie kann jeden Text lesen und schreibt perfekt in Schreibschrift. Und Mathe ist ihr von Anfang an nicht schwergefallen“, so die Schulleiterin, die sich dafür einsetzen will, dass das Mädchen ab dem kommenden Schuljahr das Gymnasium besuchen kann.
Hilfe, um die Sprache zu lernen
Außerdem ist sie in Gesprächen mit einer Kita, die der fünfjährige Ahmed besuchen könnte. Auch für Thoraia soll eine ihrer Behinderung angemessene Schule gefunden werden. „Es ist wichtig, dass sie alle deutsch lernen“, sagt Kerstin Müller, die dafür ihre Hilfe anbietet. Eine große Unterstützung ist sie schon dabei gewesen, dass die Familie wieder vereint ist. Nun kann ihr Schülerin Alaa wieder lachen. (mz)