Reichspogromnacht 1938 Reichspogromnacht 1938: Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus in Mansfeld-Südharz
Eisleben/Hettstedt - Im November 1938, kurz nach dem 13. Geburtstag von Marietta Königsberger, änderte sich das Leben des Mädchens von einen Tag auf den anderen. Die Tochter des Eisleber Rechtsanwaltes Ludwig Königsberger musste ihr Zuhause am Markt 39 verlassen und kam mit ihren Eltern in einer Baracke unter.
Andere Juden wiederum mussten in das sogenannte „Judenhaus“ in der Rammtorstraße ziehen. Von dort habe man sie dann später zur Zwangsarbeit abgeholt, erzählt Rüdiger Seidel vom Verein Eisleber Synagoge. „Auch Marietta soll gesehen worden sein, wie sie unter Tränen die Straße kehren musste.“
Spießrutenlauf durch Eisleben
Doch es folgte noch weitaus Schlimmeres, weiß Peter Gerlinghoff von der Initiative „Erinnern und Gedenken“ in Sangerhausen. „Sie soll mit einem Schild um den Hals auf einem Wagen durch Eisleben geführt worden.“ Darauf sei zu lesen gewesen: „Ich bin eine Judensau.“
Der Leidensweg des Mädchens begann mit dem Abend von dem 9. auf den 10. November 1938, einem Datum, das auch als die Reichspogromnacht in die Geschichtsbücher einging.
Denn am späten Nachmittag und in der Nacht plünderten und zerstörten SA– und SS-Truppen jüdische Geschäfte und setzten Synagogen in Brand.
Als Vorwand nutzten die Nationalsozialisten die Ermordung eines deutschen Botschafters in Paris durch den Juden Herschel Grynszpan, der gegen die Deportierung von polnischen Juden nach Polen protestiert hatte.
„Genau 80 Jahre ist das nun her“, sagt die gebürtige Benndorferin Helga Langelüttich. „Doch vergessen konnte ich diesen Tag nie. Noch heute höre ich das Geschrei der Leute, als diese die Sangerhäuser Straße am Markt in Eisleben hochgingen, vorneweg ein paar Juden.“
Wenn aus Nachbarn Täter werden
Helga Langelüttich war sieben Jahre alt, als sie Zeugin dieser Taten wurde. „Meine Mutter hatte damals gesagt: ,Um Gottes Willen, die werfen Pferdeäpfel auf die Leute.’“
Auch Rüdiger Seidel hat sich mit den Ereignissen in Eisleben auseinandergesetzt. „Es soll eine Gruppe Leute durch die Straßen gezogen sein, es wurden Wohnhäuser und Geschäfte gestürmt und Sachen aus den Fenstern geworfen.“ Auch die Eisleber Synagoge war betroffen.
An einem Holzgeländer sind noch immer die Spuren der Einschläge eines Beils zu sehen. Feuer fiel sie aber nicht zum Opfer. „Sie war einfach zu dicht an den Wohnhäusern“, sagt Seidel.
Die gebürtige Breslauerin Friedel Hohnbaum-Hornschuch saß gerade über ihren Schularbeiten in der Hettstedter Wilhelmstraße. „Dann hörte ich plötzlich ein Krachen von draußen“, erinnert sie sich.
Von Eisleben ins Vernichtungslager Sobibor
Was die 13-Jährige dann sah, erschrak sie: „Die Fenster des Kaufhauses Rosenburg am Markt waren weit aufgerissen, das Inventar des Geschäftes landete auf der Straße.“
Auch Heinz Wick aus Klostermansfeld kann nicht vergessen, was er als Sechsjähriger an diesem Abend beobachtet hatte. „In dem Kaufhaus der Familie Bluhm wurden die Scheiben eingeschlagen.“
Nicht mal ganz vier Jahre konnte Marietta noch in ihrer Geburtsstadt bleiben. Im Juni 1942 wurde sie von Halle aus in einem Zug mit den letzten Eisleber Juden in das Vernichtungslager Sobibor gebracht. Dort starb sie zusammen mit ihren Eltern und vielen anderen am 3. Juni 1942. Sie wurde vergast.
(mz)