Max, der Staatenlose Norwegen: Wie ein Ex-Hettstedter um einen Pass für seinen Sohn kämpft

Halle (Saale) - Ein Pass ist für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit. Um ihn zu bekommen, muss man nur geboren werden und den Ausweis später beantragen. Er ist ein Recht, das jedem durch seine Existenz zukommt - fast jedem. Max hat keinen Pass. Er ist vier Jahre alt, lebt in Norwegen und mag Rennautos.
„Gerade ist er ganz begeistert von Zahlen und Buchstaben“, erzählt Roman Wagner. Er ist Max’ Vater, kommt ursprünglich aus Hettstedt (Mansfeld-Südharz), lebt aber seit sechs Jahren in Norwegen. „Max hat eine kleine Schultafel, auf der er immer mit Kreide rumkritzelt“, erzählt Wagner. Er ist stolz auf seinen Jungen.
„Max hat keine Adresse, keine Nationalität, nichts“
Doch der fehlende Pass für Max trübt das Familienglück. „Seit er auf der Welt ist, müssen wir uns bei jedem Arztbesuch und bei jedem Behördengang erklären“, sagt Roman Wagner. In Norwegen werden Kinder zentral in einem Computer-System erfasst. Das ist wichtig für Kindergartenplätze, die Vorschule und Routine-Untersuchungen.
Max ist zwar registriert, allerdings steht in dem Verzeichnis nur, dass er 2013 geboren wurde. „Er hat keine Adresse, keine Nationalität, nichts“, sagt Wagner. Max ist staatenlos.
Und das bedeutet auch, dass er nicht Reisen darf. Nicht nach Deutschland, wo die Familie von Wagner lebt. Und auch nicht nach Albanien, wo seine Mutter herkommt. „Die Situation ist schon belastend“, sagt der 38-Jährige. Zumal sie für ihn mittlerweile fast unauflösbar erschein. Gesetze und Bürokratie blockieren den Weg zum Ausweis. „Wir haben bestimmt schon 20.000 Euro für Anwälte, Notare und Reisen ausgegeben, aber Max bekommt einfach keinen Pass.“
Probleme mit dem Ex-Ehemann
Um zu verstehen, warum Max keinen Pass bekommt, muss man die Geschichte seiner Eltern erzählen. Roman Wagner verlässt Hettstedt nach Zimmermanns-Lehre und Bundeswehr. Er geht auf Wanderschaft: Niederlande, Österreich und Norwegen. Ein Jahr ist er in dem skandinavischen Land. „Ich habe mich gleich in diese Weite und die Natur verliebt“, sagt er. 2003 war das. Wagner wusste, dass er wiederkommen wird.
Neun Jahre später ist es soweit. Er kündigt 2012 seinen Job bei einer Fensterbaufirma in Österreich und geht nach Rostock, um einen Sprachkurs zu machen. Noch bevor der vorbei ist, bietet ihm eine norwegische Firma einen Job auf einer Insel an. Wagner sagt sofort zu.
Sein neues Zuhause heißt Tysnesøy. Die Insel liegt im Südwesten von Norwegen, ist doppelt so groß wie Sylt, hat aber nicht einmal 3 000 Einwohner. „Jeder kennt dort jeden“, sagt Wagner. Bei einem Sprachkurs lernt er seine heutige Partnerin kennen. Sie ist Friseurin, hat eine Tochter und kommt aus Albanien. „Doch dann war sie plötzlich weg - von einem auf den anderen Tag.“
Was damals genau passierte, darüber möchte Wagner nur ungern sprechen. Seine Partnerin, die Mutter von Max, habe Probleme mit ihrem damaligen Ehemann gehabt. Der lebte mit ihr auf der Insel und sei gewalttätig geworden. Allerdings reagieren die Behörden schnell. Der Albaner wird aus Norwegen ausgewiesen. Wo er jetzt lebt, ist unbekannt - auch das ist eines der Probleme, die zu Max’ heutiger Situation führen.
Albanien, Norwegen, Deutschland: Drei Nationen, doch keine davon will Max haben
Der Junge kommt Ende 2013 zur Welt. Er ist das Kind einer Albanerin und eines Deutschen, geboren in Norwegen. Drei Nationen, doch keine davon will Max bisher haben. Das er Norweger wird, ist ausgeschlossen. In dem skandinavischen Land gilt das Abstammungsprinzip. Kinder, die in Norwegen geboren werden, bekommen die Nationalität ihrer Eltern. Auch in Deutschland ist das vorrangig so. Dem entgegen steht das Territorialprinzip, das etwa in den USA gilt.
Für Max verbleiben somit nur Deutschland oder Albanien. Roman Wagner probiert es zuerst in seinem Heimatland - auch weil es in Norwegen keine albanische Botschaft gibt. Zur Beantragung eines Passes braucht man eine Handvoll Dokumente, die die Botschaft dann an das Standesamt I nach Berlin schickt. Die Behörde in der Hauptstadt ist für die Pässe deutscher Kinder, die im Ausland geboren wurden, zuständig.
Doch schon das Zusammentragen aller Unterlagen ist schwierig. „Die albanischen und norwegischen Dokumente müssen erst übersetzt werden“, erklärt Wagner. Hinzu kommen Beglaubigungen, für die man immer ins nächstgelegene Konsulat müsse. Das alles von einer Insel aus zu organisieren, sei zeitlich und auch finanziell aufwendig gewesen. Doch die Familie nimmt diese erste bürokratische Hürde - und sofort baut sich das nächste Hindernis auf: Die Ehe der Mutter.
Die sollte sofort geschieden werden, nachdem der Ex-Ehemann aus Norwegen ausgewiesen worden war. „Wir hatten ihm dazu Geld nach Albanien geschickt, damit er die Trennung dort amtlich einreicht“, erzählt Wagner. „Wir dachten, dass das schon funktionieren wird.“ Eine blauäugige Annahme. Der Albaner reicht die Scheidung nicht ein. Erst über eine Anwältin setzen sie die Trennung durch. Zeit verstreicht. Wichtige Zeit.
Roman Wagner hofft auf einen Weg aus diesem Labyrinth
Denn auf dem offiziellen Scheidungsdokument aus Albanien steht nun ein Datum im Frühjahr 2014. Max wurde allerdings Ende 2013 geboren. Welche Folge das hat, macht die deutsche Botschaft in Oslo in einer Mail an Wagner deutlich: „Damit gilt Max weiterhin als eheliches Kind seiner Mutter und deren Ex-Mann“, schreibt der Sachbearbeiter. Und das obwohl auf der norwegischen Geburtsurkunde Roman Wagner als Vater aufgeführt ist.
In diesem Fall gilt aber das Bürgerliche Gesetzbuch - also deutsches Recht. Darin steht, dass der Vater eines Kindes der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet war. „So blöd das klingt: Ich bin darauf angewiesen, dass der Ex-Mann meiner Partnerin sagt, dass ich Max’ Vater bin“, erklärt Wagner. Doch der Albaner ist abgetaucht. „Und wir wissen nicht, wo er sich aufhält.“
Was folgt, sind unzählige Mails, Telefonate und Vorsprechen bei Behörden. Doch bisher blieb jeglicher Ansatz folgenlos. „Vielleicht gibt es irgendwo einen Weg aus diesem Labyrinth“, sagt Wagner. „Gefunden haben wir ihn bisher nicht.“
Unerreichbare Behörde in Berlin
Fragt man in Deutschland Anwälte für Familienrecht nach dem Fall, wehren die zumeist gleich ab: Das sei internationales Familienrecht, was ein Synonym für kompliziertes Familienrecht zu sein scheint. Eine Anwältin aus Halle sagt, dass Roman Wagner seine Vaterschaft einklagen müsste. Denn diese Möglichkeit sieht das Gesetz auch vor. Wagner meint: „Ich weiß ja noch nicht einmal, bei welchem Gericht ich meine Klage einreichen müsste.“
Einmal probierte er, solche Fragen vor Ort zu klären. Er flog nach Berlin, zum Standesamt I - jener Behörde, von der Max seinen Pass bekommen müsste. Zuvor hatte er dort zig mal angerufen - ohne jemals jemanden zu erreichen. Und auch vor Ort läuft es nicht viel besser. „Ich saß einen Tag auf der Behörde.“ Drangekommen sei er jedoch nicht.
Kann das sein? Eine wichtige Behörde, die unerreichbar ist? Kontaktaufnahme mit dem Standesamt I in Berlin: Dort kommt der Anruf allerdings nicht an. An das Telefon geht ein Call-Center-Agent des Labo. Die Abkürzung steht für Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin, die übergeordnete Behörde.
„Eigentlich haben wir hier mit Führerscheinen und so zu tun“, sagt der Mitarbeiter. Er scheint überfordert, probiert aber einige Nummern durch. Doch alle Angerufenen fühlen sich nicht zuständig. „Vielleicht müssen sie sich an die Labo-Pressestelle wenden“, schlägt der Agent dann vor. Er durchsucht das interne Telefonbuch nach einer Nummer, um dann festzustellen: „Das Labo hat keine Pressestelle, probieren sie es bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport.“ - die ministerielle Ebene also.
„Dabei wollen wir ja nichts außergewöhnliches für unser Kind“
Die Nummer, die er durchgibt, führt ins Anschluss-Nirwana. Die Recherche auf der Website der Senatsverwaltung ist hilfreicher. Anruf beim Pressesprecher Martin Pallgen. Der geht zwar ans Telefon, kann jedoch auch nicht helfen. „Aktuell ist die Personaldecke bei den Behörden sehr dünn und der Krankenstand hoch“, probiert er die Unerreichbarkeit des Standesamtes I zu erklären. Pallgen empfiehlt einen erneuten Anrufversuch. Doch auch der landet wieder beim Labo-Callcenter - also im Nichts.
Nach diesem Kurzausflug in den Behörden-Irrsinn der Bundesrepublik versteht man gut, wie sich Roman Wagner nach seiner Bürokratie-Odyssee fühlen muss. Den deutschen Pass für Max hat der Auswanderer mittlerweile aufgegeben. „Ich sehe einfach keinen Weg, den ich noch gehen könnte“, sagt der Auswanderer. Seine Hoffnung ruhen nun auf den albanischen Behörden.
Um in dem südosteuropäischen Land einen Pass für Max zu bekommen, müssen Wagner und seine Familie erst nach Schweden. „Nur dort gibt es eine albanische Botschaft.“ Die könnte Max eine einmalige Einreisegenehmigung erteilen. Dann müssten sie gemeinsam nach Albanien fliegen, um dort den Pass zu beantragen. „Eine Anwältin haben wir schon, nun müssen wir noch das Geld für die Flüge zusammenbekommen“, sagt Wagner. Dabei hofft er auch auf etwas Unterstützung aus Deutschland.
Die letzten Jahre seien zermürbend gewesen, meint der gebürtige Hettstedter. „Dabei wollen wir ja nichts außergewöhnliches für unser Kind.“ Einen Trost habe es dieser Zeit aber für die Familie gegeben: „Max ist es zum Glück ziemlich egal, ob er einen Pass hat oder nicht.“
Hilfe für Max
Das Stundenhonorar eines Fachanwalts liegt in Norwegen bei 1.250 Kronen (130 Euro), die Übersetzung eines Dokumentes kann bis zu 1.000 Kronen kosten. „Und wenn man wie wir mehrere davon braucht, dann wird es schnell sehr teuer“, sagt Roman Wagner. Die Versuche, einen Pass für seinen Sohn Max (Foto links) zu bekommen, haben ihn und seine Familie bisher geschätzte 20.000 Euro gekostet. „Wir mussten die Versuche oft stoppen, weil das Geld alle war.“
Die letzte Chance sieht Wagner nun in einer Reise nach Albanien, wo Max’ Mutter herkommt. Dafür müsste die Familie zuerst zur albanischen Botschaft nach Schweden, um eine einmalige Einreisegenehmigung für den Jungen zu bekommen. Dann können sie nach Albanien, um dort den Pass mit einer Anwältin zusammen zu beantragen. Die beiden Reisen werden wohl mehrere tausend Euro kosten.
Wer Max’ Familie unterstützen will, kann das auf der Spenden-Plattform „Leetchi“ tun.