Zirkus Probst Zirkus Probst: Heute hier morgen dort

Halle (Saale)/MZ - Geraldine ist sechs Jahre alt, im September kam sie in die 1. Klasse - aber fragt man sie, an wie vielen Schulen sie schon war, muss sie nachdenken. „Sechs oder sieben“, sagt das Mädchen nach kurzem Zögern fröhlich. Geraldine ist ein Zirkuskind, ihr Vater heißt Rüdiger Probst. Der Zirkus Probst - 1945 von Rudolf Probst in Großkühnau bei Dessau gegründet - nennt sich selbst und wohl auch zu Recht die „Nr. 1 in Ostdeutschland“. Nebeneffekt: Die meiste Zeit des Jahres reist die Truppe kreuz und quer durchs Land.
Und Geraldine reist mit, aber seit sie in der Schule ist, bekommt sie eine Begleiterscheinung zu spüren: den häufigen Schulwechsel. In Halle gastiert der Zirkus zwei Wochen, das ist fast schon Luxus für Geraldine, denn mitunter verbringt sie nur ein paar Tage an einer Schule. Noch macht es ihr Spaß, noch ist das alles ein „großes Abenteuer“, wie Geraldines Mutter, Christina Clasen, sagt. Heute und morgen geht Geraldine noch mal in die 1 b der Kröllwitzer Grundschule, danach reist der Zirkus weiter nach Magdeburg. Über ihre derzeitige Lehrerin, Petra Rammelt, urteilt sie: „Das ist bis jetzt die Beste.“
Aber wie ist das, alle paar Tage neue Klassenkameraden zu haben? „Eigentlich ganz schön“, sagt Geraldine. Sie freut sich dennoch wieder auf ihre Stammschule in Staßfurt, wo der Zirkus bald sein Winterquartier bezieht. Geraldines Mutter weiß, dass es nicht so leicht bleiben wird. Geraldines älterer Bruder ist inzwischen in der sechsten Klasse - er wohnt bei der Oma in Dessau und geht dort zur Schule. „Irgendwann werden die Freunde einfach wichtiger“, weiß Christina Clasen.
Zirkus hat Imageproblem
Zirkuskindern vernünftige Bildungschancen zu bieten, das wird umso wichtiger in Zeiten, da es längst nicht mehr selbstverständlich ist, dass die Kinder ihr ganzes Leben in der Zirkusfamilie verbringen werden. Ältere Generationen blieben ganz selbstverständlich in der Zirkuswelt, doch das ist nicht mehr so. Das Geschäft ist härter geworden - und unsicherer. Kritiker gibt es auch genug: „Der Zirkus hat ein Imageproblem, dessen sind wir uns bewusst“, sagt Christina Clasen.
Mit Romantik hat das moderne Zirkusleben ohnehin kaum mehr was zu tun. „Wir singen nicht abends am Lagerfeuer Lieder“, sagt Christina Clasen. In den streng durchorganisierten Alltag müssen nun auch noch Geraldines Schulwechsel koordiniert werden. Indes sei sie inzwischen regelrecht „tiefenentspannt“, sagt die Mutter. Die 33-Jährige hat die Prozedur ja mit ihrem ersten Sohn schon einmal durch. „Ich könnte einen Ratgeber schreiben über Schulen und deren Konzepte.“ In der Regel ruft sie einige Zeit vor den Gastspielen in den jeweiligen Städten direkt bei den Schulen dort an - meist sind es die, an denen auch Geraldines älterer Bruder schon war.
Hauptproblem bleibt der ständig wechselnde Schulstoff. Als Hilfsmittel gibt es ein Schultagebuch, in dem eingetragen wird, welche Themen gerade behandelt wurden - damit die neuen Lehrer Geraldines Wissensstand kennen. „Trotzdem muss ich hinterher sein, damit keine großen Lücken entstehen“, sagt Christina Clasen. Hausaufgaben macht sie mit ihrer Tochter in der ersten Pause der 15-Uhr-Vorstellung - da hat sie eine Stunde Zeit, bevor sie zum großen Finale wieder in der Manege sein muss.
Eigene Schule für Zirkuskinder?
Sogenannte Bereichslehrer sollen bei Problemen helfen. Dennoch kritisieren Experten etwa vom „Bundesverband für die Bildung der Kinder beruflich Reisender“ die fehlende Chancengleichheit. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es eine eigene Schule für Zirkuskinder; in Hessen gibt es ein Angebot, bei dem die Schule quasi „mitreist“.
Für Geraldine stellt sich derzeit alles sehr unkompliziert dar: Sie möchte später Artistin werden, auf dem Balancebrett Rola Bola macht sie eine gute Figur, außerdem „probiere ich Kopfstand“, und auf einem der Pferde hat sie natürlich auch schon gesessen. Ob es wirklich so kommt? Christina Clasen ist skeptisch. Geraldines älterer Bruder jedenfalls sieht seine Zukunft aktuell nicht in der Manege. Sondern im Fußballtor.