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Zeitungskiosk in Halle Zeitungskiosk in Halle: Zwei Künstlerinnen auf Fleischers Spuren

Von Sandy Schmied 02.07.2015, 11:13
Annegret Rouél (links) und Annekathrin Pohle sind freischaffende Künstlerinnen im Vorstand des Vereins „hr. fleischers“ und seit Beginn dabei.
Annegret Rouél (links) und Annekathrin Pohle sind freischaffende Künstlerinnen im Vorstand des Vereins „hr. fleischers“ und seit Beginn dabei. Silvio Kison Lizenz

Halle (Saale) - Es sind die wohl sonderbarsten vier Quadratmeter in den Straßen der Stadt. Mal wird die Umgebung von einer Menschentraube mit Radios bevölkert, später ein buntes Bällebad im Zaum gehalten. Und selbst notorische Luftpolsterfolien-Zerdrücker haben hier schon ausgiebig Beschäftigung gefunden. Wo bis vor sechs Jahren noch Zeitschriften, Süßigkeiten und die neuesten Klatschgeschichten ihren Weg durch Verkaufsfenster fanden, ist 2010 ein Kunstkiosk entstanden, der die Umgebung einbezieht und so immer wieder auch Interessierte anlockt, die mit Kunst eigentlich gar nichts am Hut haben.

Die Idee zu „hr. fleischers“ Kiosk kam damals neun Burg-Studenten, die das Häuschen am Reileck nach der Schließung erhalten und vor dem Abriss retten wollten. Wie Annekathrin Pohle war auch Annegret Rouél von Anfang an dabei und hatte schon damals einen ganz persönlichen Bezug zu dem Projekt. „Ich habe in einer WG in der Bernburger Straße unterhalb der Kreuzung gewohnt und bin jeden Tag am Kiosk vorbeigefahren.“ Und so konnte die heute 29-Jährige nicht nur ihr künstlerisches Talent anwenden, sondern auch gleich helfen, ihre Nachbarschaft mitzugestalten.

Und warum heißt der kleine Bau nun ausgerechnet Fleischers Kiosk? Dass der Name nicht etwa auf ein kreatives Hirngespinst zurückzuführen ist, erklärt Rouél gleich mit. „Herr Fleischer war der Besitzer des Zeitungskiosks. Wir haben ihn oft draußen beim Schachspielen gesehen.“ Wenn ihre Mitbewohner gebacken hatten, brachten sie auch am Kiosk ein Stück vorbei.

Öffentlicher Kunstraum

Der Entschluss, aus dem geschlossenen Kiosk einen öffentlichen Kunstraum zu schaffen, reifte innerhalb der Studentengruppe. Annegret Rouél kannte die Idee bereits aus Weimar und konnte sich deshalb für ein ähnliches Projekt am Reileck begeistern.

Als Verein haben sie den ehemaligen Verkaufsstand gekauft und pachten das Grundstück von der Stadt. Inzwischen sind fünf Jahre und viele Aktionen vergangen, von überdimensionierten flauschigen Tüllobjekten, die Passanten ausleihen und mit sich herumtragen konnten bis zu Aktionen wie „Hair Fleischer“, bei der Haare gelassen worden sind.

Das aktuelle Projekt „Kann ich mit Links“ lag der Gruppe besonders am Herzen. Es war die letzte Ausstellungsidee der beim Germanwings-Absturz verunglückten Künstlerin Juliane Noack, die ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern gehörte und den Kiosk immer wieder nach außen vertrat. Gedankenflüsse ihrer Freunde und Künstlerkollegen werden von innen mit der linken Hand in Spiegelschrift an die Scheiben geschrieben, fasst Annekathrin Pohle das Projekt zusammen. Von außen gibt es zu lesen, was von drinnen erdacht wird. Damals wurden Wetten geschlossen, ob das Projekt überhaupt durchführbar sei. In Gemeinschaft haben sie die Wette jetzt für die Künstlerin gewonnen, heißt es aus dem Kiosk.

Enges Netzwerk

Gemeinsamkeit ist eine der größten Stärken des Vereins und über die Jahre ist so ein enges Netzwerk entstanden, außerdem kommen immer wieder neue Interessenten hinzu, die neue Impulse mitbringen und außergewöhnliche Aktionen anstoßen. Etwa 50 Mitglieder zählt der Verein inzwischen.

Auch wenn Annegret Rouél und Annekathrin Pohle ihr Studium abgeschlossen haben und als freischaffende Künstlerinnen Fuß fassen und im Bildungshaus Riesenklein in Halles Süden Kurse geben, hängt ihr Herz auch weiter am Kiosk.

Ab Ende Dezember soll dort eine Aquarium-Landschaft entstehen. Bis Mitte November sucht der Verein deshalb selbstgehäkelte Wollobjekte wie Algen, Muscheln, Quallen oder versunkene Schätze. Jeden zweiten Samstag im Monat gibt es dazu einen Treff am Kiosk.

Wer vom Häkeln eine Pause braucht, kommt Dienstag nachmittags auf eine Runde Schach vorbei. Am besten lässt es sich da gegen einen alten Bekannten mit dem Namen Hans-Jürgen Fleischer spielen.?