Zachow Stadtteilserie 15 Zachow Stadtteilserie 15: Heide-Nord und Blumenau

Halle (Saale)/MZ. - Gebe es nicht dann und wann einige Wege in der Heideringpassage zu erledigen, die Bewohner würden sich wohl nie begegnen.
Historisch gesehen ist die Benennung „Blumenau“ nicht ganz korrekt. Vielmehr entstand der nord-westliche Teil Halles unter dem Namen Heiderandsiedlung und gehörte bis zu dessen Eingemeindung 1950 zu Lettin. Das eigentliche Blumenau ist lediglich der grüne Streifen nördlich der Heiderandsiedlung. Ab Ende der 20er Jahre begannen Mitglieder des Stahlhelmbundes, eines paramilitärischen Wehrverbandes zur Zeit der Weimarer Republik, mit dem Bau von Einfamilienhäusern rund um den heutigen Rotbuchenweg, weshalb das Viertel bis zum Krieg Stahlhelmsiedlung genannt wurde. An diesen Namen oder sogar an die Kampfbahn, welche auf einer Luftbildaufnahme von 1936 noch gut erkennbar ist, kann sich heute kaum noch jemand erinnern. Heute sind den Einwohnern vor allem Ruhe und Entspannung wichtig. Diese schätzt auch Lothar Beyer, der Inhaber des gleichnamigen Blumenladens am Ulmenweg – übrigens, dem einzigen in Halle mit einem rund um die Uhr verfügbaren Blumenautomaten. Der 61-Jährige ist hier aufgewachsen und kann sich unter anderem noch an die Glanzzeiten des Biergartens „Knoll's Hütte“ erinnern. „Es gab Rutschen, Lorenbahnen, Luftschaukeln – ein Wahnsinn, was da los war. Das Bier kostete gerade mal 43 Pfennig“, schwärmt Beyer. Für den „größten Spielplatz Deutschlands“ (laut Ansichtskarte) legte Otto Knoll 1904 den Grundstein. Seither sorgt der Biergarten an der Waldstraße ununterbrochen für das leibliche Wohl der Hallenser. Seit 1991 leitet Harald Geilert die Schenke. Doch die Situation sei schwierig. „Heutzutage ist kaum noch was zulässig“, erklärt er den fehlenden Spielplatz auf dem großen Areal. Zudem seien seine Bestände an Schaukeln und Gerüsten von „schlechten Menschen“ angesägt worden. „Womöglich haben die anschließend noch zugeguckt, wie sich ein Kind verletzt.“ Auch wegen der unsicheren Versicherungslage bietet der Geschäftsführer den Kinder-Freizeitspaß heute nicht mehr an und konzentriert sich stattdessen auf sein Restaurant und das Ausrichten von Hochzeiten und Familienfeiern.
Mit der Köhlerhütte im Rotbuchenweg bietet Blumenau eine weitere Besonderheit. Der Imkermeister Günter Köhler führt hier das einzige Bienenfachgeschäft in Sachsen-Anhalt. Neben angebotenem Honig, Likören und allerlei Bienenzuchtbedarf ist der 72-Jährige auch Vater von Bienen- und Hummelvölkern. Zwei zeigt er uns direkt an seinem Haus: Dort stehen ein historischer Bienenkorb, die sogenannte Bienenbeute (Foto, links), und eine Schaubeute, durch deren Glas man das emsige Treiben der Insekten beobachten kann. „Früher hatte ich mehr als 150 Bienenvölker, doch aufgrund meines Alters habe ich mich eingeschränkt“, erzählt der Imker, dessen Frau Margareta gern mit anpackt. Zum Stolz des Paares gehört auch der Garten hinterm Haus des 650 Quadratmeter großen Grundstücks, in dem ähnlich wie bei den Nachbarn, Gemüse und Obst zur eigenen Ernte heranwachsen. „Es ist eine schöne Ecke hier“, erzählt die Frau. „Täglich gehen wir mit unserem Hund in der Heide spazieren.“ Zehn Minuten braucht sie mit dem Auto ins Stadtzentrum.
Entbehrliche Plattenbauten
Das Plattenviertel Heide-Nord ist die zuletzt in Halle gebaute Großwohnsiedlung der DDR. Wobei von den Anfang der 80er Jahre geplanten fünf Wohnkomplexen (WK) nur zwei realisiert wurden. Glücklicherweise, denn der Bewohnerrückgang ist hier enorm. Erreichte das Viertel 1989 mit 12 000 seine größte Einwohnerzahl, sind es heute nur noch knapp 5 000. Vor allem im zweiten WK macht sich der Leerstand bemerkbar. LEOS, die Lettiner Einkaufsoase, erinnert an eine Geisterstadt. Neben Bino's Kebab, wo wir zur Mittagszeit fünf Gäste bei Bier und laufendem Fernseher entdecken, sind nur noch ein Kiosk und eine Kaufhalle geblieben. Alle anderen Läden stehen leer. Hier treffen wir Gisela Pfeifer. 1988 zog sie vom Paulusviertel in den Drei-Zimmer-Neubau mit Heizung und sonstigem Komfort. Heute kann sie die Gegend nicht mehr empfehlen. „Es ist trostlos, und seit Jahren wird es immer schlimmer.“ Gern würde sie in die Südstadt ziehen, doch dafür reicht die Rente und das Geld, das Lothar Gruner verbringt gern Zeit mit seiner Tochter. In ihrer oenen Küche haben wir den Rentner getroen. (Foto: Qui) Blumenauweg Blumenauweg Heidering Nordstraße Nordstraße Heidering Kolkturmring Lunzbergring Waldmeisterstraße Reusenweg Karpfenweg Lachsweg Rüsternweg Rotbuchenweg Waldstraße Waldstraße Karpfe eg Waldst Lachs Blum sie sich beim Putzen bei Oberbürgermeisterin Szabados dazu verdient, nicht aus. Wegen des Bevölkerungsrückgangs wurden auf Vorschlag der Stadtplanung schon einige Blöcke von den Wohnungsgesellschaften zurückgebaut. Entstanden ist viel Freifläche, die zum Teil für Spielplätze neu genutzt wird. Erst Ende Juli wurde von der Halleschen Wohnungsgesellschaft (HWG) eine „Öko-Kinder-Spieloase“ eingeweiht. Heide-Nord verfügt über die höchste Spielplatzdichte in Halle, jedoch fehlt hier bis auf einige Angebote der HWG und der Halleschen Behindertenwerkstätten im Blumenauweg kulturelle Infrastruktur. Nach dem soziokulturellen Zentrum „Sonnenblume“ wurde auch der Jugendclub geschlossen. In Zukunft werde weiter rückgebaut, aber der 2. WK soll entgegen Gerüchten bestehen bleiben, sagt Ressortleiter des Stadtplanungsamtes Falko Wendler.
In der Heideringpassage im 1. WK herrscht im Vergleich regelrechter Trubel. Ein Discounter wird gerade neu eröffnet. Der dritte in der Passage. Waldemar Paetzold vom Hähnchenstand gegenüber ist wenig begeistert: „Was nützen drei Billigläden, wenn man für notwendige Besorgungen doch in die Stadt muss.“ Von der Lage her sei das Viertel super. Aber seit Jahren könne Paetzold eine schleichende Ver schlechterung beobachten: „Die besser situierten Familien ziehen weg“, meint der Verkäufer.
Während im Plattenviertel abgebaut wird, beginnt wenige hundert Meter entfernt der Aufbau: Das „Waldstraßenviertel“ entsteht. Auf dem Gelände der 1969 übergebenen Kaserne sind die Abrissbagger am Arbeiten. Im Spätherbst will die Firma Siewert mit dem Bau von Eigenheimen beginnen.