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Hallescher Anwalt gewinnt gegen Wordpress Wordpress verliert gegen Anwalt aus Halle

Von Steffen Könau 26.02.2017, 07:00
Wordpress-Gründer Matt Mullenweg könnte festgenommen werden, beträte er Deutschland.
Wordpress-Gründer Matt Mullenweg könnte festgenommen werden, beträte er Deutschland. Automattic

Halle (Saale) - Erst in letzter Sekunde beugte sich der Internetriese. Fast war der hallesche Anwalt Peter Kehl schon unterwegs nach Österreich, um den Giganten aus Übersee mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers in die Knie zu zwingen.

Da ging die Überweisung ein, etwas über 5.000 Euro, Absender die Automattic Inc. in San Francisco, Betreiber der Blogsoftware Wordpress und damit ein eher unbekannter Gigant im Netz. „Das ersparte uns dann die Taschenpfändung bei Matt Mullenweg, dem Firmenchef“, schmunzelt Peter Kehl.

Der Anwalt aus Halle und der Multimillionär aus Texas, sie streiten schon seit Jahren miteinander. Dabei geht es nicht um einen persönlichen Zwist, sondern um Grundsätzliches: Wordpress bietet jedermann die Möglichkeit, in fünf Minuten eine eigene Internetseite aufzubauen. Der Besitzer kann einfach losschreiben, der Welt Bilder zeigen oder Videos präsentieren.

Hallescher Anwalt gegen Internetgigant: Peter Kehl streitet mit Wordpress

Wer genau er ist, was ihn treibt und warum er schreibt, bleibt geheim. Mullenwegs Unternehmen Automattic, das die Software kostenlos anbietet, legt keinen Wert darauf, zu wissen, wer seine Nutzer sind. „Wir fühlen uns der Redefreiheit verpflichtet“, heißt es dazu offiziell, „wir wollen jedem erlauben, auszudrücken, welche Ansichten er hat, unabhängig davon, ob wir seiner Meinung sind.“

Die Firma TrustedWatch, in deren Auftrag Peter Kehl gegen Automattic vorgeht, habe die Möglichkeit gehabt, die von ihr kritisierten Beiträge nach einem von seiner Firma vorgesehenen Meldeverfahren löschen zu lassen, betont Paul Sieminski von Automattic. „Aber sie haben das nicht getan.“ Deswegen weise Automattic alle vor deutschen Gerichten gemachten Vorwürfe zurück.

Bisher erfolglos. Schon vor zwei Jahren erzwang Peter Kehl vor dem Landgericht in Halle ein Urteil gegen Automattic, das die Firma verpflichtete, „diffamierendes und persönlichkeitsrechtsverletzendes Material“ über Kehls Mandanten auf Wordpress-Blogs zu löschen.

Nur drei Handvoll Internetseiten sind erfolgreicher als die Seite wordpress.com, die der Texaner Matt Mullenweg als Heimat für seine Software Wordpress gründete. Eigentlich aber liegen auch Riesen wie Google, Amazon oder Ebay hinter Mullenwegs Baby: Wordpress ist eine Redaktionssoftware, also ein Programm, mit dem sich Internetseiten gestalten und betreiben lassen. Texte können eingestellt, Bilder hochgeladen werden, Filme lassen sich einbinden - alles ist so, wie bei professionellen Nachrichtenseiten auch. Nur dass Wordpress in der Basisversion völlig kostenlos ist und deshalb auf zig Millionen Internetseiten läuft. Nach einer Untersuchung von W3Techs greifen bis zu 60 Prozent aller Internetseiten auf die Wordpress-Software zurück, die damit weltweit für etwa ein Viertel des gesamten Verkehrs im Internet sorgt. Auf Wordpress-Seiten erscheint aller 17 Sekunden ein neuer Beitrag, 61 391 Beiträge in der Stunde und knapp 1,5 Millionen Artikel am Tag.  stK

Ein Urteil, das hätte klarmachen sollen, dass in Deutschland andere Regeln gelten als in den USA. Doch der Internetriese ignoriert es. Und der deutschen Justiz sind die Hände gebunden. „Wenn eine Firma in Deutschland keinen Sitz hat, lassen sich hiesige Urteile kaum durchsetzen“, beschreibt Kehl.

Recht haben und Recht bekommen - Im Internet schwierig?

Rechtsgültig oder nicht, was bei Unterhaltssachen klappt, ist beim Thema Meinungsfreiheit Streitsache. „Bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts besteht kaum eine Möglichkeit, die Urteile von einem Gericht in den USA anerkennen zu lassen“, beschreibt Kehl die Misere, vor der Mandanten stehen, die von Unbekannten im Netz mit aus ihrer Sicht falschen Beschuldigungen überzogen werden.

Recht haben und Recht bekommen - im Internet, in dem die chinesische, die deutsche und die US-amerikanische Vorstellung von Redefreiheit kollidieren, sind das sehr verschiedene Angelegenheiten. Gerade das Grundrecht auf Meinungsfreiheit legen US-Gerichte regelmäßig weiter aus als deutsche. „Das sind zwei verschiedene Rechtskreise.“

Der Anwalt aus Halle, der sich schon einige Jahre lang um Opfer von Beleidigungen im Netz kümmert, will sich damit allerdings nicht abfinden. „Wer in Europa Geschäfte macht, der muss sich auch an europäisches Recht halten“, sagt er. Automattic verdiene viel Geld mit Werbung, die auf deutschen Wordpress-Seiten laufe. „Dann sollen sie sich auch an deutsches Recht halten.“ Weil sie das aber nicht tun, geht Kehl die Firmenchefs direkt an. „Gerade die Chefetage von Wordpress kommt oft nach Europa, um hier bei Konferenzen aufzutreten“, hat der 40-Jährige bemerkt. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen und gegen Automattic-Präsident Mullenweg und dessen Geschäftsführer Toni Schneider vorgehen, wenn die den US-Rechtskreis verlassen und Europa betreten?

Die Taschenpfändung über Gerichtsgebühren in Höhe von mehr als 5000 Euro war ein erster Versuch, ein Einlenken zu erzwingen.

„Dass sie gezahlt haben, war ein Sieg“, denkt Peter Kehl, „aber jetzt geht es weiter.“ Inzwischen hat das Landgericht in Halle auf Antrag des Juristen ein Ordnungsgeld gegen Mullenweg und Schneider verhängt. 10.000 Euro sollen beide zahlen, weil Automattic sich beharrlich weigert, die umstrittenen Vorwürfe über angeblich gekaufte Facebook-Follower zu löschen.

Sobald einer der beiden Firmenchefs europäischen Boden betritt, kann Kehl den Betrag pfänden lassen. Und sollte er dann nicht zahlen können, sieht der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichtes ersatzweise Ordnungshaft von zehn Tagen vor.

Paul Sieminski sieht im Vorgehen des halleschen Anwalts einen Versuch, „Mitarbeiter von Automattic einzuschüchtern“, wie er formuliert. Sein Unternehmen sei überzeugt, dass die Klägerseite gegen deutsche Datenschutzgesetze dabei auch verstoßen hätten. „Wir beobachten ihre Aktionen genau und werden unsere Ansprüche gegen sie geltend machen.“

Peter Kehl weiß, dass er hier nicht gegen irgendwen kämpft. Aber er würde nicht zögern, Matt Mullenweg, einen der laut „PC World“ „50 wichtigsten Leute im Web“, wirklich einsperren zu lassen. „Ich habe so viele Mandanten, die wirklich unter Sachen leiden, die anonyme Nutzer per Wordpress über sie im Netz verbreiten“, sagt der Hallenser, „da kann man nur etwas ausrichten, wenn man den Druck auf die Verantwortlichen erhöht.“ Peter Kehl ist bereit dazu. „Wäre doch lustig, so einen Internetmillionär mal für zehn Tage im Roten Ochsen zu haben“, lacht er. (mz)