Wladimir Kaminer Wladimir Kaminer: Totes Wildschwein für die Frau Gemahlin
Halle/MZ. - Seine Geschichten - so sagt Kaminer jedenfalls - habe er alle selbst erlebt. Nur eben ein klein bisschen anders, weil ein Happy-End im normalen Leben ausbleibe, wie er meint.
Kaminer, Jahrgang 1967, kommt aus Moskau und lebt seit 1990 am Prenzlauer Berg, und zwar in der Schönhauser Allee. Dort findet er seine Geschichten: auf der Straße, im Nachbarhaus, im Gemüseladen oder in seiner "Russendisko" - einer legendären Tanzveranstaltung, die er einmal im Monat im "Kaffee Burger" organisiert. Was Kaminer da an wahnwitzigen Episoden auftut oder zu ihnen stilisiert, ist bemerkenswert: Der distanzierte Blick eines fast Fremden, der jeden Vorgang hinterfragt, mag dafür verantwortlich sein. Kaminer erzählt zum Beispiel von einem Bundestagsabgeordneten, der aus "Liebe zu den Völkern" eine Radtour nach Sibirien unternehmen will. Für Kaminer ein seltsamer Vorgang, den er lapidar mit einem Satz als Idiotie entlarvt: "In Russland gibt es keine Radwege, die nach Sibirien führen."
Klare und deutliche Sätze schreibt der Autor - keine Schnörkel umranken das Wesentliche, hintergründige Ironie dominiert den scheinbar leicht dahingesagten Satz. Dabei hat Kaminer erst in Berlin Deutsch gelernt - eine Tatsache, die auch die Frage nach dem Schreibprozess provoziert: Ob er denn erst auf Russisch schreibe und dann das Geschriebene übersetze, wollte das Turmpublikum wissen. Kaminer stutzt nur kurz, überlegt und antwortet mit Bravour: "Aber das wäre doch doppelte Arbeit."
In der Tat, die Zeit dazu hat er wahrscheinlich nicht. Bereits im Herbst soll "Die Reise nach Trulala", aus der auch die Geschichte vom engagierten Radfahrer stammt, in den Buchhandlungen stehen. Doch Kaminer las im Turm nicht nur aus seinem unveröffentlichten Manuskript.
Der bereits erschienene Erzählband "Schönhauser Allee" sorgte für ein fast hysterisch lachendes Publikum: Da schleppt ein russischer Nachbar Kaminers ein überfahrenes Wildschwein von der Autobahn in seine Wohnung - als Geschenk für die Frau Gemahlin. Da wird Silvester mit Vietnamesen gefeiert, die Böller, im Gegensatz zu den Deutschen, noch "ernst nehmen" - und fast das Viertel in die Luft sprengen. Oder es kommen russische Verwandte zu Besuch, die so "sensibel" sind, das sie im Wodka-Rausch die Wohnungseinrichtung zerlegen.
Die Triliterale geht weiter: Kommenden Montag, 11. Februar, liest Benjamin von Stuckrad-Barre 20 Uhr im Steintor-Varieté.