Wirkstoff getestet Wirkstoff getestet: Probiodrug aus Halle will Alzheimer besiegen

Halle (Saale) - Ein Medikament gegen das Vergessen. Ein Wirkstoff, um die Folgen von Alzheimer, aber auch von Demenzerkrankungen zu lindern. Darauf warten sehnsüchtig jene, die mit ansehen müssen, wie der Partner, die Mutter oder der Vater nach und nach ihr Gedächtnis verlieren, wie sich deren Persönlichkeit dramatisch verändert.
Das in Halle ansässige Unternehmen Probiodrug forciert seit rund 15 Jahren die Entwicklung eines Wirkstoffs gegen Alzheimer - und hat nach eigenen Angaben jetzt einen wichtigen Schritt nach vorn getan.
Nach einer ersten kurzen Studie mit mehr als hundert Patienten verdichten sich die Hinweise, dass der von Probiodrug-Wissenschaftlern entwickelte Wirkstoff tatsächlich jenes Enzym blockiert, mit dessen Hilfe ein besonders schädliches Eiweiß im Gehirn entsteht. Also jene Sorte Eiweiße, das maßgeblich für die Entwicklung des Morbus Alzheimer verantwortlich ist.
„Die Parameter für die Wirksamkeit des Medikaments weisen alle in diese richtige Richtung“, ist sich Konrad Glund sicher. Er ist einer der beiden Gründer von Probiodrug und heute Vorstandsvorsitzender. „Ich bin begeistert“, sagt Hans-Ulrich Demuth, zweiter Probiodrug-Gründer. Er hat das Therapieprinzip erfunden und den Wirkstoff mit seinen Kollegen vor Jahren maßgeblich entwickelt.
Heute leitet Demuth die in Halle ansässige Außenstelle für „Molekulare Wirkstoffbiochemie und Therapieentwicklung (MWT)“ des Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig, ist aber emotional und als Berater und Anteilseigner noch eng mit der Entwicklung von Probiodrug verbunden.
Um zu verstehen, wo Probiodrug heute steht, wie das Unternehmen bis hierhin gekommen ist und wie lange es noch bis zur Marktreife eines Alzheimer-Medikaments dauern könnte, muss man verschiedene Felder beleuchten.
Alzheimer: Die Krankheit
An Alzheimer leiden nach Schätzungen weltweit etwa 35 Millionen Menschen - Tendenz steigend. Im Gehirn von Alzheimer-Patienten bilden sich Eiweißablagerungen. Diese Amyloid-Plaques vernichten zunehmend die Nervenzellen. Das führt zu Gedächtnis-, Sprach- und Orientierungsstörungen, Denkleistungen werden immer weniger, die Patienten brauchen zunehmend Hilfe und können ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen.
Als sicher gilt, dass die meisten Alzheimer-Fälle nicht vor dem 60. Lebensjahr beginnen, erste Hinweise auf einen späteren Ausbruch der Krankheit aber schon Jahre vorher möglich sind. Sicher ist auch, dass die durch die Eiweiß-Ablagerungen einmal entstandenen Schäden im Gehirn nicht mehr geheilt werden können. Es gibt zwar einige Medikamente. Aber einen Durchbruch bei der Alzheimer-Therapie mit dem Ziel, die Krankheit zu stoppen oder sogar eine Umkehr des Nervenzellenverlustes einzuleiten, ist bislang nicht erkennbar.
Das Unternehmen
Probiodrug begann als reines Pharmaforschungsunternehmen - und mauserte sich zur Jahrtausendwende zu einem Leuchtturm unter den innovativen Firmen Ostdeutschlands. Probiodrug entwickelte ein neuartiges Therapiekonzept für Diabetes, Demuth wurde damals in Veröffentlichungen schon mal als „Vater der Pille für Diabetiker“ bezeichnet. Heute werden in den Industrieländern mehr als 20 Prozent der Altersdiabetiker mit diesen Wirkstoffen behandelt.
Nach dem Verkauf der Patente für dieses Medikament richtete die hallesche Firma ihr Hauptaugenmerk auf die Bekämpfung von Alzheimer. Demuth und Glund sind überzeugt, den richtigen Wirkstoff gefunden zu haben. Bis aus der Entdeckung freilich ein Medikament werden kann, müssen umfangreiche Studien an Tieren und am Menschen erfolgreich abgeschlossen werden. Die kosten Millionen und dauern jetzt schon mehrere Jahre.
Der Strategiewechsel
An diesem Punkt trennten sich die Wege der Firmengründer. Glund führt heute mit Probiodrug eine Firma, die vor allem ein Alzheimer-Medikament zur Marktreife führen will. Dafür ging das Unternehmen an die Börse, holte sich finanzstarke Kapitalgeber ins Boot und setzt darauf, dass in absehbarer Zeit ein großer Pharmakonzern einsteigt. Bislang wurden nach Firmenangaben etwa 130 Millionen Euro in die Entwicklung des Präparats gesteckt.
Demuth - ein exzellenter Forscher, der mehr als 40 Alzheimer-Patente mit seinen Kollegen verfasst hat - setzt seit vier Jahren seine wissenschaftliche Arbeit bei dem Fraunhofer-Ableger fort. Zusammen mit einer Reihe von Fachleuten, für die es bei Probiodrug nichts mehr zu forschen gab, entwickeln sie weitere molekulare Strategien zur Behandlung von Entzündungserkrankungen unter anderem gegen Parkinson und Alzheimer.
Die Testergebnisse
Nach erfolgreich abgeschlossenen Versuchen an Tieren und einer klinischen Studie an gesunden jüngeren und älteren Testpersonen gab Probiodrug im Jahr 2015 die erste klinische Studie an Patienten in Auftrag: 120 Erkrankte in 21 europäischen Alzheimer-Zentren erhielten für drei Monate das Probiodrug-Präparat.
„Eigentlich sollte nur herausgefunden werden, ob der Wirkstoff das fragliche Enzym wirklich blockiert“, sagt Demuth. Das habe ohne große Nebenwirkungen funktioniert - und offenbar noch einiges mehr. Es gebe klare Hinweise, dass die Hemmung des Enzyms wirke: Falsch gefaltete Eiweiße im Gehirn würden reduziert, der Krankheitsverlauf werde zumindest abgemildert, versichert Glund.
So habe sich unter anderem das Entzündungsgeschehen im Gehirn der Patienten nach der Behandlung verringert. Bei kognitiven Tests habe man außerdem festgestellt, dass behandelte Menschen verbesserte Konzentrationsfähigkeit und ein verbessertes Kurzzeitgedächtnis zeigten als unbehandelte.
Die Reaktionen
Dirk Montag, Hirnforscher vom Leibnizinstitut für Neurobiologie in Magdeburg, bewertete die Testergebnisse von Probiodrug im Grundsatz positiv. Es habe sich gezeigt, dass die Idee, die hinter der Entwicklung des Wirkstoffs steckt, - also das Blockieren des Enzyms - auch beim Menschen funktioniere. „Das ist ein wichtiger Schritt“, sagt er.
Grundsätzlich warnt der Hirnforscher allerdings Alzheimer-Patienten und Angehörige vor übertriebenen Hoffnungen. Derzeit gehe es vor allem darum, den Krankheitsverlauf abzumildern.
Der nächste Schritt
„Drei Monate sind ein kurzer Behandlungszeitraum“, sagt Probiodrug-Chef Glund. Nun müsse der Wirkstoff in einer größer angelegten klinischen Langzeitstudie geprüft werden. Dabei geht es darum, die optimale Dosierung herauszufinden.
Die Zulassung
Am Ende weiterer Studien wird sich endgültig zeigen, ob der Alzheimer-Wirkstoff hält, was er derzeit zu versprechen scheint. „In frühestens sieben Jahren könnte das Medikament auf dem Markt sein“, hofft Glund.