MZ-Serie „Lebenswege“ Wie ein Punk aus Halle in der DDR mit den Repressionen des Staates zu kämpfen hatte
In der DDR wurde Geralf Pochop zum Punk. Er blieb es auch, als er die Repression des Staates zu spüren bekam – bis hin zu Haftstrafe. Und er hat es bis heute nicht bereut.
Halle/MZ - Punk war immer schon Gegenkultur. Machte es da überhaupt einen Unterschied, ob man Punk in der DDR oder einem anderen Land war? „Natürlich“, sagt Geralf Pochop. „Sobald man in einer Diktatur Punk ist, hat man auch die gesamte Wucht der Repression und des Staates zu erwarten.“ Pochop, geboren 1964 in Halle, sagt: „Damals war das eine Entscheidung fürs Leben. Du warst Staatsfeind, und das bist du auch geblieben.“
Dabei will er anfangs nur coole Musik hören und zu Konzerten gehen. Und wie ein Punk aussehen, das will Pochop auch, nachdem er 1977 als 13-Jähriger erstmals die Sex Pistols gehört hat. Die DDR-Punkszene sei anfangs auch gar nicht politisch gewesen – und er kein rebellisches Kind. Als Fahnenträger bei der FDJ steckt er einmal sein Hemd nicht in die Hose. Das sei auch schon die rebellischste Sache gewesen, die er gemacht habe.
Natürlich sei da auch der Spaß als Punk in der DDR gewesen
Dass Punks in der DDR nicht gern gesehen sind, bekommt Pochop als Jugendlicher schnell zu spüren. „Ich weiß nicht, wie oft ich verhaftet wurde nur wegen des Aussehens. Je nachdem wie sie drauf waren, gab es auch körperliche Übergriffe.“ Gemeint ist die Volkspolizei. Einmal schlagen ihn Polizisten zusammen wegen seines Schwerter-zu-Pflugscharen-Aufnähers. „Die staatsfeindliche Haltung, die irgendwann dazukam, war natürlich eine Reaktion auf die Repression, die man tagtäglich erlebt hat.“ Sich vom Punk abzuwenden, ist für Pochop allerdings keine Option. „Ich habe nicht eingesehen, dass irgendjemand mir vorschreibt, welches Aussehen und welchen Haarschnitt und welche Musik ich zu hören habe. Vor allem war die Musik, die die Alternative war, für mich eine Katastrophe.“ Er lacht.
Natürlich sei da auch der Spaß als Punk in der DDR gewesen, man wollte als Punk auffallen, stellt Pochop klar. Wenn sie nicht in Clubs gelassen werden, dann stellen die Punks sich vor den Eingang und lassen ihrerseits die nach ihnen kommenden Gäste nicht durch mit dem Hinweis, drinnen sei es voll. Verhöre durch die Polizei werden zur Routine. Irgendwann hat Geralf Pochop davor keine Angst mehr. Zumal wenn Verhöroffiziere sich dort über sein Aussehen beschweren. Schließlich waren es die Offiziere und Stasimitarbeiter, „die total hässlich aussahen in ihren blöden grauen Klamotten.“ Pochop sagt: „Wir haben geguckt, wie wir trotzdem unser Leben leben können.“
Ein wichtiger Rückzugsraum für Punks in Halle war die Christusgemeinde
Zusammen mit Freunden besetzt er eine leerstehende Wohnung im Paulusviertel, die eine Zeit lang als WG fungiert. Zwar macht er eine Ausbildung zum Funkmechaniker, ist als solcher aber nicht lange tätig, sondern hält sich mit Gelegenheitsjobs etwa als Tellerwäscher, als Galerieaufsicht in der Moritzburg oder als Anzünder und Löscher der öffentlichen Gaslaternen über Wasser. Und er streckt Ungarnaufenthalte, die ihm für zwei Wochen genehmigt werden, indem er einfach mehrere Monate bleibt.
- Teil 1 - Das verspricht sich Halle vom neuen Zukunftszentrum
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- Teil 4 - Warum Wolfgang Tischer 1965 als Wessi in die DDR übersiedelte
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- Teil 6 - Warum ein stadtbekannter Politiker in Halle die Wende als großen Gewinn bezeichnet
- Teil 7 - Was eine Lehrerin in der DDR besser als heute fand
- Teil 8 - Wie eine Goldschmiedin aus Halle in der DDR mit nur 30 Gramm Gold pro Jahr arbeiten musste
- Teil 9 - Wie ein junger Soldat aus Halle dem Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ den Rücken kehrte
- Teil 10 - Wie ein Buchhändler aus Halle die Wende als Soldat in einer NVA-Kaserne erlebte
- Teil 11 - Wie ein Punk aus Halle in der DDR mit den Repressionen des Staates zu kämpfen hatte
- Teil 12 - Wie ein Denkmalschützer aus Halle mit der Abriss-Politik der DDR zu kämpfen hatte
- Teil 13 - Wie eine junge Frau in den 1980er Jahren mit der Kamera gegen Abrissbagger in Halles Altstadt antrat
Ein wichtiger Rückzugsraum für Punks in Halle ist die Christusgemeinde. In seinem Buch „Untergrund war Strategie“ über Punks in der DDR nennt Geralf Pochop die Christuskirche die Punkkirche und den verstorbenen Pfarrer Siegfried Neher den Punkpfarrer. Er sagt: „Die Geschichte der Punkszene in Halle und der ganzen DDR wäre nicht dieselbe gewesen, wenn es die Christusgemeinde nicht gegeben hätte.“ Dort findet 1983 das erste DDR- weite Punkfestival statt.
Spätestens nach der Haft wird der Punk zum Totalverweigerer
Eine Zäsur für DDR-Punks ist das Jahr 1983 auch deshalb, weil Erich Mielke, Chef der Staatssicherheit, ein Punkverbot ausspricht. Von da an, so Pochop, sollte die Punkszene in der DDR zersetzt werden. Zweimal versucht die Stasi, ihn als IM zu rekrutieren. Einmal entführt sie ihn dafür in den Wald, das andere Mal schleppt sie ihn in einen geheimen Verhörraum in einem Abrisshaus in Halle. Geralf Pochop hat bei diesen Treffen Angst um sein Leben. Die Arbeit als IM lehnt er dennoch ab. Nach dem zweiten Mal stellt er einen Ausreiseantrag. Statt das Land verlassen zu dürfen, wird er für sechs Monate eingesperrt – vom 7. Oktober 1987, dem Republikgeburtstag, bis zum 8. April 1988.
Spätestens nach der Haft wird der Punk zum Totalverweigerer, „nicht nur was die NVA betrifft. Ich habe nirgendwo mehr mitgemacht.“ Dem Staat will er zu nichts mehr nütze sein. Vor den letzten Wahlen in der DDR, die im Mai 1989 stattfinden, wird Geralf Pochop die Staatsbürgerschaft aberkannt. Er verlässt die DDR. Den Mauerfall erlebt er in Westberlin.
2011 wird er rehabilitiert, das DDR-Urteil wird aufgehoben
Von da an hat er ständig Gäste in seiner Kreuzberger Wohnung. Und alle Besucher kaufen in Berlin massenhaft Punkschallplatten. So kommt es, dass Pochop im Mai 1991 gemeinsam mit einem Partner einen Plattenladen in Halle in der Lessingstraße eröffnet: Schlemihl Records. Erst pendelt er von Berlin aus, doch bald zieht er selbst wieder nach Halle. Etwa zehn Jahre gibt es den Laden. „Das hat sich als gute Idee erwiesen. Der Nachholbedarf war enorm.“ Zumal in den frühen 90ern die Punk- und überhaupt die Subkulturszene im Osten immer größer wird. Was neben Schallplatten im Laden auch verkauft wird: Haarfarben. Pochop weiß aus eigener Erfahrung, dass die Punks in der DDR alles Mögliche ausprobiert haben, um sich die Haare zu färben, und sich schließlich ein Arzneimittel gegen Hautkrankheiten durchgesetzt hatte, dessen Nebenwirkung lila Verfärbungen waren. Die Farben finden reißenden Absatz. „Wir haben den gesamten Osten abgedeckt mit Haarfarben“, sagt er. Vom Vertrieb erfährt er irgendwann, dass sie zu den führenden Haarfarbenverkaufsläden in ganz Deutschland gehören.
Es folgen Jahre, in denen Geralf Pochop die Welt bereist. 2011 wird er rehabilitiert, das DDR-Urteil wird aufgehoben. Der 58-Jährige lebt inzwischen mit seiner Frau und drei Kindern im sächsischen Torgau, tritt als Zeitzeuge und Bildungsreferent auf. Was Punk ihm heute bedeutet? „Seine Träume umzusetzen, egal wie widrig die Umstände sind.“