1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Wie ein Denkmalschützer aus Halle mit der Abriss-Politik der DDR zu kämpfen hatte

EIL

MZ-Serie „Lebenswege“ Wie ein Denkmalschützer aus Halle mit der Abriss-Politik der DDR zu kämpfen hatte

Gotthard Voß hat vor und nach der Wende für den Denkmalschutz gearbeitet. Was war damals anders? Welchen Spielraum gab es in einem Land, das unter einem Mangel an Baustoffen litt?

Von Silvia Zöller 12.11.2022, 07:00
Gotthard Voss vor dem "Kühlen Brunnen" in Halle
Gotthard Voss vor dem "Kühlen Brunnen" in Halle (Foto: Silvia Zöller)

Halle (Saale)/MZ - Für Gotthard Voß steht fest: „Die DDR war in einem baulichen Zustand, dass man sie am liebsten als Ganzes unter Denkmalschutz gestellt hätte.“ Der heute 84-Jährige muss es wissen: Seit 1965 war der gebürtige Rostocker als Architekt im „Institut für Denkmalpflege in der DDR“ beschäftigt mit Sitz in Halle. Der Bereich der damaligen Bezirke Halle und Magdeburg fiel in den Zuständigkeitsbereich des Denkmalschützers, der zahlreiche marode Bauten mit seinen etwa zehn Kollegen zumindest in einen wieder brauchbaren Zustand versetzte – so nennt er es selbst.

1989 brachen andere Zeiten an, die Voß als kommissarischer Leiter und ab 1991 als Leiter des Landesamtes, als Landeskonservator für Sachsen-Anhalt, begleitete. Nun war es möglich, mit Fördermitteln die Altstädte wieder aufblühen zu lassen. „Ohne die Deutsche Einheit wäre es schlimmer geworden. Wir konnten nicht ganze Städte retten“, ist er sich sicher.

Gotthard Voß war für den Wiederaufbau des Merseburger Schlosses verantwortlich

Auf die Arbeit in seinem Metier in den Jahren bis 1989 schaut Voß zwiegespalten zurück. „Es gab einen großen Widerspruch: Die DDR hatte gute Denkmalschutzgesetze, aber die Umsetzung war unzureichend“, sagt Voß. Der im Krieg zerstörte Ostflügel des Merseburger Schlosses oder die zerbombte Turmspitze des Roten Turms in Halle, die Klöster Hamersleben und Jerichow – diese Denkmale konnte Voss weitgehend sanieren, ebenso in ehrenamtlicher Arbeit mit Helfern die 1984 abgebrannte Laurentiuskirche. Jedoch in vielen Fällen nicht so wie heute in Form einer Komplettsanierung. „Wir konnten meist die Dächer in Ordnung bringen, aber nicht durchgreifend sanieren.“

Am schlimmsten seien die Abrisse für ihn gewesen. Ohne Dokumentation wurden sie aus dem Stadtbild ausgelöscht. „Der Denkmalschutz wurde bei Abrissen nicht immer gefragt.“ Zudem habe es bei Privathäusern keine Möglichkeit einer Förderung wie heute gegeben. Mieteinnahmen waren so gering, dass sich eine Sanierung niemals gerechnet hätte.

Gotthard Voß als ehrenamtlicher Bauleiter beim Wiederaufbau der Laurentiuskirche in Halle 1986
Gotthard Voß als ehrenamtlicher Bauleiter beim Wiederaufbau der Laurentiuskirche in Halle 1986
(Foto: Archiv Gotthard Voß)

Aufgrund der Materialknappheit und weniger Denkmal-Fachleute unter den Handwerkern blieb so auch der Plan von neuen Büros für den Denkmalschutz im „Kühlen Brunnen“ ein Traum. In den 1980er Jahren wurden die Gewölbe, in denen heute Bier ausgeschenkt wird, teilweise von der Behörde saniert. „Es ist heute noch eines der bedeutendsten Häuser in der Stadt“, charakterisiert Voß das Renaissancehaus aus dem Jahr 1531, das Kardinal Albrechts Kämmerer Hans von Schönitz erbauen ließ. Damals sei es zu Wohnzwecken genutzt worden, aber der Zustand sei immer schlimmer geworden, so dass es leer gezogen werden musste. Hier wollten die Denkmalschützer ein historisches Gebäude retten, aber auch für eine neue Unterkunft des Instituts sorgen, das seinerzeit beengt in Räumen des Landesmuseums untergebracht war.

„Es gab es dann eine Begehung des ’Kühlen Brunnens’ mit der Partei-Bezirksleitung und dem Rat der Stadt. Das hier ist zu schade als Bürohaus, hieß es danach“, erinnert sich Voß noch genau. Deshalb zog dann der Verband bildender Künstler in das Haus, das auch einen öffentlich zugänglichen Saal hatte. Die Mitarbeiter des Denkmalschutzes bemühten sich zwar weiter um die Sanierung, doch die kam immer mehr ins Stocken. Die Denkmalbehörde zog unterdessen nach 1989 in das sanierte Schleiermacherhaus in der Großen Märkerstraße. Auch hier wurde ein besonderes Bauwerk gerettet, das um 1561/62 vermutlich vom Ratsbaumeister und Bauherrn der Marktkirche, Nickel Hoffmann, errichtet wurde.

1989 wurde erstmals eine Denkmalliste für Sachsen-Anhalt erstellt

Was war der Unterschied im Denkmalschutz vor und nach der Wende? „Es war in der DDR eine ganz andere Situation. Da ging es nicht nur um die Frage von Genehmigungen, sondern um die Frage, was machbar ist“, sagt Gotthard Voß. Zunächst habe man so weiter gearbeitet wie vor 1989, denn es gab noch keine neuen Gesetze. Wohl aber finanzielle Unterstützung aus dem Westen in Form der Deutschen Stiftung Denkmalschutz oder der Bundesumweltstiftung. „Viele Aufgaben kamen dann dazu. 1989 wurde erstmals eine Denkmalliste für Sachsen-Anhalt aufgestellt“, erinnert er sich. Er habe den Kontakt zu allen Landräten gesucht, denn „ich wollte den Boden für Denkmalpflege bereiten.“

Konnten Voß und seine Kollegen vor 1989 durch das Land fahren und bestimmen, welche Schlösser oder Kirchen saniert werden sollten und hatten sie auch die Bauplanung unter sich, so änderte sich das mit der Einheit. Die Aufgaben seien immer mehr in Richtung Gutachten gegangen, die Praxis sei weniger geworden. Statt der festangestellten Architekten der Denkmalschutzbehörde seien immer mehr freie Architekten mit den Ausführungen betraut worden. Und das nicht unbedingt immer zum Vorteil der Gebäude, ist die Meinung von Voß. „Wir wollten uns als Architekten nicht präsentieren, uns war der Erhalt der Denkmale wichtig“, sagt er. 2003 ist Gotthard Voß in den Ruhestand verabschiedet worden.

Wenn sich der Landeskonservator außer Dienst nun, 33 Jahre nach der Wende, in Halle umschaut: Was ist sein Wunsch? „Wenn der ’Kühle Brunnen’ zu Ende saniert würde, das wäre toll“, räumt er ein. Und wenn die imposante Neuen Residenz endlich einer guten Nutzung zugeführt werden könnte. „Ein Baudenkmal verträgt keine Kompromisse, nur Lösungen“, sagt er.