Wein-Experte Hans-Jürgen Pietsch aus Halle Wein-Experte Hans-Jürgen Pietsch aus Halle: So soff der Osten

Halle (Saale) - Wahrheit im Wein, das durfte hierzulande jahrzehntelang nicht sein: Nein, sollte nicht. Oder besser konnte nicht, denn die Probleme, die es im Arbeiter- und Bauernparadies fast überall in der Wirtschaft gab, machten natürlich auch vor der Versorgung mit den potenziell edlen Tropfen des Winzergewerbes nicht Halt. Und führten dazu, dass Wein, Weib und Gesang die Leute in 40 Jahren DDR zwar leidlich bei Laune hielten - was aber sicher nur in allerletzter Linie am Wein lag. Denn dass wir Ossis den Wein, den es damals hier gegeben hat, vertragen haben, spreche eher von unserer robusten Gesundheit als von der Qualität der Rebensäfte. Das meint zumindest einer von Halles derzeit bekanntesten Weinkennern - Hans-Jürgen Pietsch, Gründer und Chef der „Villa del Vino“ in der Ankerstraße 15.
Alkohol made in DDR
Im nun schon zwölften Jahr betreibt er gemeinsam mit seiner Tochter Claudia Bächler dieses hinsichtlich Konzeption und Ambiente weit und breit ziemlich einzigartige Haus, das Weinhandlung, Gastronomie und Kleinkunstbühne ist - bekanntermaßen. Doch was wohl nur regelmäßige Besucher der „Villa“ wissen, ist, dass es in dem urgemütlichen Raum auch noch quasi ein kleines Museum gibt: Eine Sammlung von Weinen und anderen Alkohol-Getränken, die entweder aus DDR-Produktion stammen oder die es im Osten zumindest zeitweise zu kaufen gab. Damit ist Ortskundigen von „uns damals“ schon mal klar, dass es hier um durchaus überschaubare Mengen gehen muss.
Denn allzu große Sortenvielfalt war natürlich auch beim Wein Fehlanzeige: Im Großen und Ganzen gab es neben dem Wenigen aus den sehr begrenzten Weinanbaugebieten von Freyburg, Meißen und Höhnstedt vor allem Importe aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien. In Pietschs Regalen stehen sie nun als museale Anschauungsstücke - und allein schon beim Anblick mancher der mit Keller-Patina versehenen Flaschen von Marken wie Stierblut, Feuertanz oder Rosenthaler Kadarka werden den Betrachtern die Augen feucht. So hat es Pietsch, der zu jeder dieser Flaschen lange Geschichten zu erzählen weiß, oft genug erlebt.
Und seine Geschichte zum Kadarka? „Eine Sechs-Flaschen-Kiste davon galt als Goldstaub: Dafür hat man beim Klempner einen damals hochmodernen Druckspüler fürs Klosett gekriegt.“ Aber schmeckte der denn wirklich so gut? Pietsch lächelt nun sehr spöttisch und will nicht über einzelne Sorten reden, die man zum Teil ja immer noch irgendwo zu kaufen kriegt.
Die bittere Wahrheit des Weins
Im Osten habe es etliche Weine gegeben, bei denen „alle Sünden in einer Flasche vereint“ waren, meint der Experte. Auf mancher Flasche sei sogar andeutungsweise die bittere - sprich sehr süße - Wahrheit, über das, was da im Wein war, zu lesen gewesen: Kurz und bündig mit dem Vermerk „Mit Restzucker“. Oder etwas blumiger mit dem Satz: „Angenehme Restsüße verleiht die vom Kenner geschätzten Vorzüge“. Vorzüge, die sich nicht selten in heftigem morgendlichen Kopfweh manifestierten, das den „Weinkenner“ des Ostens nach ausführlicheren abendliche Weinproben gelegentlich auch halbe Tage lang bei seinem sonst so unermüdlichen „Ringen um die maximale Steigerung der Arbeitsproduktivität“ geradezu ausgebremst hat.
Dennoch haben viele, die sich von den Ostweinen letztlich nicht unterkriegen ließen, nun ihren Frieden damit gemacht. Gerade mancher männliche Besucher der Villa weiß aus seiner Jugend sogar noch, wie einige süße Balkan-Weine - etwa Cotnari oder Murfatlar im Volksmund liebevoll genannt wurden. „Schlüpferstürmer“ nämlich. Da schwinge dann meist Dankbarkeit für eine Eroberung mit - bei derlei Erzählungen.
Weinexpeditionen ins In- und Ausland
Ein bisschen dankbar können freilich auch Hans-Jürgen Pietsch und sein Team sein - darüber, dass der Wein im Osten zum Teil so eine Plörre war. Denn genau das habe die Neugier der Hiesigen auf die große Welt des Weins und die zugehörige Kultur erst mal richtig geweckt. Wie, das merkt die „Villa del Vino“-Mannschaft bei all ihren Veranstaltung und vor allem bei ihren „immer ausverkauften Weinexpeditionen“ ins In- und Ausland. Und, dass das Gefühl für Wein als Inbegriff von Lebenskultur wieder zunehme - was die Villa mit ihrer Kleinkunstbühne nun zu einem Musenort eigener Art macht.
Ach ja, und eins will der Weinmuseologe Pietsch dann doch noch sagen: Es war auch beim Wein nicht alles schlecht! Der ungarische Wein „Stierblut“ zum Beispiel sei damals - auch mit Blick auf seinen erschwinglichen Preis von sechs Ost-Mark - ein ordentlicher Wein gewesen. Na dann noch mal zum Wohl, im Nachhinein! (mz)