MZ-SERIE „LEBENSWEGE“ Was eine Lehrerin in der DDR besser als heute fand
Petra Luther hat 45 Jahre als Pädagogin gearbeitet. Warum sie vor der Wende nie in die Partei wollte und sich von Eltern damals dennoch geachteter fühlte.
Halle (Saale)/MZ - „Hallo Frau Luther“ ruft ein Mädchen auf dem Flur der Grundschule „Am Ludwigsfeld“ und winkt herüber. Auch der Hausmeister grüßt freundlich. Petra Luther lächelt. Seit August 2021 ist sie im Ruhestand. Und doch ist die ehemalige Schulleiterin in dem schlichten Plattenbau noch allgegenwärtig. „Ich war als Lehrerin streng, ja, aber auch gerecht. Ein Drachen bin ich nie gewesen. Sonst würden sich die Kinder und die Kollegen doch vor mir wegdrehen“, sagt die 66-Jährige. 45 Jahre hat Petra Luther als Lehrerin gearbeitet, in und mit den Bildungssystemen in Ost und West. „Es gab hüben wie drüben Vor- und Nachteile“, sagt sie.
Sie war kein Arbeiterkind: Studium stand auf der Kippe
Petra Luther ist ein Kind der Stadt, eine „Hallorin“. Halle hat sie nie verlassen. „Ich liebe meine Heimat“, erzählt sie. So wie ihren Beruf, zu dem sie fast nicht gekommen wäre. Als Kind wollte sie Geflügelzüchterin werden. „Aber irgendwie habe ich schnell mitbekommen, dass mir der Kontakt zu Menschen mehr liegt.“ Doch die Zulassung für das Studium am Institut für Lehrerbildung (IFL) hängt am seidenen Faden.
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- Teil 7 - Was eine Lehrerin in der DDR besser als heute fand
- Teil 8 - Wie eine Goldschmiedin aus Halle in der DDR mit nur 30 Gramm Gold pro Jahr arbeiten musste
- Teil 9 - Wie ein junger Soldat aus Halle dem Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ den Rücken kehrte
- Teil 10 - Wie ein Buchhändler aus Halle die Wende als Soldat in einer NVA-Kaserne erlebte
- Teil 11 - Wie ein Punk aus Halle in der DDR mit den Repressionen des Staates zu kämpfen hatte
- Teil 12 - Wie ein Denkmalschützer aus Halle mit der Abriss-Politik der DDR zu kämpfen hatte
- Teil 13 - Wie eine junge Frau in den 1980er Jahren mit der Kamera gegen Abrissbagger in Halles Altstadt antrat
Die Mutter der damals 16-Jährigen ist Kindergärtnerin, zählt in der DDR zur Intelligenz. Für das Studium sollen aber Arbeiterkinder bevorzugt werden. Doch die junge Frau hat Glück, darf doch ans ILF und ist vier Jahre später Lehrerin. Sie will in der Unterstufe arbeiten, der heutigen Grundschule. Warum eigentlich? „Die Lehrer der ersten bis vierten Klasse werden nicht richtig gewürdigt, das hat sich bis heute nicht verändert. Dabei bereiten wir die Mädchen und Jungen auf das spätere Leben vor. Ohne uns wären Gymnasien und Sekundarschulen aufgeschmissen“, erzählt sie.
Den Job an einer Schule in Magdeburg, den man ihr anbietet, lehnt sie ab. Daraufhin kommt es zu einer kuriosen Situation. Die 20-Jährige wird an die Polytechnische Oberschule (POS) in der Frohen Zukunft versetzt - dort hatte sie die Schulbank bis zur zehnten Klasse selbst gedrückt. „Mich hat das angepiept, denn ich hatte plötzlich Kollegen, die noch meine Lehrer waren.“ Doch eine Klasse ist für sie nicht frei. Und so unterrichtet sie am Vormittag sechs Stunden Mathe und arbeitet nachmittags als Hortnerin. Erst ein Jahr später wird sie Klassenlehrerin. Zu mehr – zur Direktorin – reicht es vorerst nicht, weil der Pädagogin die politische Einstellung fehlt. Als die SED bei ihr anklopft, schüttelt sie den Kopf. „Die Partei erzählte immer etwas von 102 Prozent Planerfüllung, doch die Lebenswirklichkeit war eine andere. Ich wollte bei diesem Lügen nicht mitmachen.“
Die Silberhöhe blieb ihr fremd
Als ihr erstes Kind geboren wird, braucht die junge Familie – ihr Mann arbeitet als Sicherheitstechniker bei der Bahn – eine neue Wohnung. Doch Wohnraum ist Mangelware. Und wo man in der Stadt leben möchte, kann man sich in den seltensten Fällen aussuchen. „Uns wurde eine Wohnung in einem Hochhaus auf der Silberhöhe angeboten. Doch da wollte ich nicht hin.“ Die Behörden toben, doch die Luthers bleiben hart. Letztlich dürfen sie in einen Sechsgeschosser ziehen, werden mit der Satellitenstadt im Süden Halles aber nie warm. „Ich habe den ganzen Beton nie gemocht“, sagt sie.
Beruflich fühlt sie sich hingegen wohl - auch in ihrer neuen Schule auf der Silberhöhe. Das liegt zum Teil auch am System. „Als Lehrer hatte man damals einen guten Stand. Wenn heute ein Schüler schlechte Leistungen bringt, ist zuerst der Lehrer schuld. In der DDR war das nicht so.“ Auch sei das längere gemeinsame Lernen in einer Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse damals ein Vorteil gewesen – so wie der einheitliche Lehrstoff. „Mittlerweile gibt es 15 unterschiedliche Fibeln zum Lesen lernen und über 20 Mathebücher. Jede Schule hat heute ihr eigenes Konzept. Wenn Kinder etwa durch einen Umzug die Schule wechseln müssen, ist das ein Riesenproblem“, sagt sie.
In den letzten Jahren doch noch Schulleiterin
Als die Mauer fällt, ist Petra Luther 32 und hat den Großteil ihres Berufslebens noch vor sich. Doch zunächst wird mit einem eisernen Besen gekehrt. Die Pionierleiter fliegen raus, ebenso die ganz „roten Socken“, wie sie erzählt. Petra Luther hingegen darf wählen, ob sie sich auch eine Tätigkeit in einer Schulleitung vorstellen könne. „Ich habe mich damals aber nicht getraut, das Kreuz zu setzen.“ Das macht dafür ihre vorgesetzte Direktorin, quasi ohne Erlaubnis, was zu einem Zerwürfnis zwischen ihnen führt. „Im Nachgang gesehen, hat mich diese Episode aber weitergebracht.“ Petra Luther wird zunächst stellvertretende Schulleiterin. Ab 2013 steht sie dann an der Spitze der Grundschule „Am Ludwigsfeld“.
Sie blickt zufrieden zurück. „Manche fallen in ein Loch, wenn sie ihren geliebten Job aufgeben. Ich bin mit mir im Reinen.“ Das mag auch daran liegen, dass die 66-Jährige eben doch nicht endgültig losgelassen hat. Als Schulleiterin hatte sie einen Lesewettbewerb an ihrer Schule ins Leben gerufen. Den Wettbewerb gibt es weiter, und Petra Luther sitzt in der Jury. „Mir macht das Spaß, auch wenn ich die Kinder bald nicht mehr kenne.“