1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Warum Halles Stadtschreiber dankbar um das Amt ist

Eil

Von einer Jury aus 50 Bewerbern ausgewählt Warum Halles Stadtschreiber dankbar um das Amt ist

Stadtschreiber Massum Faryar hat das Amt bis Ende September inne. Der promovierte Germanist ist in Afghanistan geboren und lebt seit 1982 in Deutschland.

Von Katja Pausch 18.07.2021, 09:00
Ein Stadtschreiber-Stipendium bietet die Möglichkeit, als Autor eine Zeit lang an einem Werk zu arbeiten - ohne materielle Unsicherheit oder gar Existenzängste
Ein Stadtschreiber-Stipendium bietet die Möglichkeit, als Autor eine Zeit lang an einem Werk zu arbeiten - ohne materielle Unsicherheit oder gar Existenzängste (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Halle (Saale)/MZ - Ein Stadtschreiber, sagt Massum Faryar, habe früher ein Zimmer direkt neben des Königs Gemächern gehabt - er hatte die Funktion, die Stadtchronik fortzuschreiben. Der Titel sei geblieben, die Funktion habe sich geändert. „Heute bietet ein Stadtschreiber-Stipendium die Möglichkeit, als Autor eine Zeit lang an einem Werk zu arbeiten - ohne materielle Unsicherheit oder gar Existenzängste“, so Faryar.

Halles Stadtschreiber debütierte mit seinem Buch „Literatur im Garten“

1957 in Herat in Afghanistan geboren, ist Massum Faryar Halles aktueller und damit bereits der 19. Stadtschreiber der Saalestadt, von einer Jury aus 50 Bewerbern ausgewählt. Am Montag hatte Faryar, der seit 1982 in Deutschland lebt, Germanistik und Politikwissenschaft studiert und 2005 an der Freien Universität Berlin promoviert hat, in der Kleingartenanlage am Birkhahnweg seine Debüt-Lesung im Rahmen von „Literatur im Garten“.

Halles Stadtschreiber las vor zahlreichen Besuchern aus seinem 2015 erschienenen Roman „Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter“. Bus, übersetzt Faryar, bedeute Ziege, kaschi heiße ziehen. Sein Roman lehnt sich an ein afghanisches Nationalspiel: Außerhalb eines Kreises stehende Reiter versuchen, die geschlachtete Ziege im Kreis an sich zu reißen und davonzureiten - „ein Sinnbild für mein Land“, so Faryar, der aufmerksam und mit Sorge die Entwicklung in Afghanistan beobachtet.

„Ich habe Grimms Märchen mit dem Klang der persischen Poesie verbunden“

Er sei sehr dankbar, mit dem Stipendium diese Möglichkeit des Arbeitens zu haben, so der Dolmetscher, Übersetzer und freie Schriftsteller, der in Berlin lebt und derzeit in Halle wohnt - und hier die Saale liebt, jedoch als Fahrradfahrer auch ein wenig die „Berge in der Stadt“ und das tückische Straßenpflaster verflucht. Neben zahlreichen Essays und Gedichten hat Faryar unter anderem im Auftrag des Goethe-Instituts Märchen der Gebrüder Grimm in die persische Sprache übersetzt - ein nicht leichtes Unterfangen. Ein Autor und Freund habe einmal gesagt, die Übersetzung sei fast schöner als das Original.

„Ich habe Grimms Märchen mit dem Klang der persischen Poesie verbunden“, so der Autor, der derzeit an seinem nächsten Roman mit dem Titel „Der Dichter und der wundersame Gärtner“ arbeitet. Der Nachfolger von „Buskaschi“ entstehe aus Beobachtungen von und Begegnungen mit an den Rand gedrängten, aus der Gesellschaft ausgestoßenen Menschen in einem Berliner Park und thematisiere vieles: Migration, Kriminalität, Integration ... Das alles, sagt Faryar, sehe er mit anderen Augen - vergleichbar mit einem Spiegel.

Stadtschreiber-Stipendium

Die Stadt Halle vergibt bereits seit 1991 das jährlich ausgeschriebene Stadtschreiber-Stipendium. Bis 2015 rekrutierte sich der Personenkreis der Geförderten ausschließlich aus der Literaturszene Halles und Umgebung. Im Jahr 2016 wurde das Förderkonzept komplett überarbeitet, damit sich Halle als gewachsene Literaturstadt einer breiteren Öffentlichkeit zeigen kann. Ausgestattet mit attraktiveren Förderkonditionen, war das hallesche Stadtschreiber-Stipendium erstmals 2017 für Bewerber aus dem gesamten deutschen Sprachraum geöffnet.

Das Stipendium gilt jeweils vom 1. April bis 30. September und umfasst neben einem monatlichen Salär in Höhe von 1.250 Euro eine kostenfreie, möblierte Wohnung mit Internetanschluss sowie eine Monatskarte. Bei einer öffentlichen Lesung stellt sich der oder die jeweilige Stadtschreiber(in) vor und präsentiert das bisherige literarische Schaffen. Die während des Stipendiums entstehenden Arbeiten müssen thematisch nicht mit der Stadt verknüpft sein. Eine resümierende Nachlese zum Aufenthalt in Halle beschließt die aktive „Amtszeit“.