Voltigieren Voltigieren: Alle Angst dieser Erde ...

SALZMÜNDE/MZ. - Gut sind sie geworden, die Fotos von meiner Mutprobe. So gut, dass selbst bei zig-facher Vergrößerung nicht zu erkennen ist, dass ich da reichlich blass um die Nase gewesen sein muss. Ist das nun der Kunst des Fotografen zu verdanken, der tief in die Trickkiste gegriffen und alle verräterischen Spuren beseitigt hat? Oder war ich an diesem winterlichen Dezemberabend in der bitterkalten Reithalle in Salzmünde wirklich so cool?
Die Wahrheit liegt wohl wie so oft im Leben auch hier in der Mitte. Auf jeden Fall war es hilfreich, dass Rio Grande, den neun Jahre alten Voltigierhengst, offenbar überhaupt nichts mehr schrecken kann. Nicht einmal ein übermütiger und unbedarfter Sportjournalist, der es sich in den Kopf gesetzt hat, sich erstmals in seinem Leben auf ein Pferd setzen zu wollen. Heißt es nicht: Alles Glück dieser Erde...?
Das also ist mein Beitrag zur Serie "Sportredaktion in Aktion". Meine Entscheidung ist einfach, es kann nur etwas mit Pferden in Frage kommen. Schließlich berichte ich seit drei Jahrzehnten von der Galopprennbahn, auch wenn ich um die dann doch einen großen Bogen gemacht habe. Das ist mindestens eine Nummer zu groß und zu waghalsig. Also entscheide ich mich für das Voltigieren, die Sportart für Artisten auf dem Pferd. Irgendwo hatte ich gelesen, das sei der ideale Einstieg in den Pferdesport. Speziell für Kinder. Klingt so, als könnte selbst ich das hinbekommen.
Ortstermin in Salzmünde, beim Reit-, Fahr- und Voltigierverein. Voltigierwart Cornelia Mauff begrüßt mich mit einem schelmischen Lächeln. Und ich bin reichlich kleinlaut. Heißt es nicht doch: "Alle Angst dieser Erde", frage ich mich auf einmal. Meine Gedanken überschlagen sich. Was hat mich da nur geritten? Doch die Rettung scheint nahe. In einer dunklen Ecke entdecke ich ein Holzpferd. Ob es nicht auch reicht, mich auf diesen Bock zu setzen und so zu tun als ob?
"Nichts da. Es gibt kein Zurück mehr", sagt Cornelia Mauff. Und sie klingt energisch dabei. Immerhin erspart sie mir, dass ich in ein hautenges Kostüm steigen muss. Dem Winter sei's gedankt.
Der Rest kommt ohne viel Aufhebens. Blitzartig haben zwei in dicke Jacken verpackte Voltigier-Kinder die Hände zur Räuberleiter geformt und mich in den Sattel gehievt. Jetzt bin ich ausgeliefert. Dem Geschick von Longenführerin Franziska Mauff und der guten Laune des hoffentlich etwas schläfrigen Rio Grande.
Es geht in die erste Runde. Ganz gemächlich, immer im Kreis herum, im Schneckentempo fast. Kein Problem, denke ich. Schließlich habe ich ja zwei Hände, um mich am Sattel festzuhalten. Dann plötzlich geht es im Trab weiter. Es wird ruckhaft und ungewohnt. Aber es geht noch zügiger. In der Geschwindigkeitsstufe drei. Im Galopp. Und plötzlich habe ich das Gefühl, als würde ich tatsächlich reiten. Der Oberkörper bewegt sich automatisch im Takt, den Rio Grande vorgibt. Hoch und runter geht es im Sattel. Schnell habe ich auch gelernt, die Beine eng um den Pferdekörper zu legen. Und ich bilde mir schon fast ein, dass Rio Grande auf mein Kommando hört. Und ich glaube sogar, ein anerkennendes Kopfnicken von Franziska Mauff gesehen zu haben.
Muss wohl auch so gewesen sein. Denn es folgt die nächste Schwierigkeit mit zwei ganz leichten Voltigierübungen. Fahne und Mühle. Fahne, das geht so: Knien auf dem Pferd, ein Bein nach hinten gestreckt, eine Hand gerade nach vorn. Kriege ich noch so gerade hin. Mühle, das ist einmal im Kreis auf dem Sattel herumdrehen. Funktioniert auch. Nur weiß ich nicht so recht, wie ich rückwärts auf dem Pferd sitzend eine Hand an den Sattel bekommen soll. Freihändig heißt das Zauberwort. Und weil ich auch das so halbwegs hinbekomme, darf (oder muss?) ich komplett auf den Sattel steigen. Ich stehe, die Arme weit ausgestreckt. Ohne Rückversicherung.
Vermutlich strahle ich in diesem Moment. Meine zweifelsfrei vorhandene Angst ist vergessen. Stattdessen empfinde ich einen ungeheuren Respekt für die Artisten auf dem Rücken der Pferde. Die Voltigierer, die viel vertracktere und kompliziertere Übungen zustande bringen als Fahne und Mühle.
"Für das erste Mal ganz brauchbar", sagt Franziska Mauff. Klingt bescheiden. Aber ich nehme es als dickes Lob. Ich habe den Anfängertest bestanden.