Ärger nach Unfall Unfall mit unbegleitetem Flüchtling: Wie sind die Minderjährigen versichert?

Halle (Saale) - Sie haben sich allein, ohne Eltern, auf die beschwerliche Reise nach Europa aufgemacht: In Sachsen-Anhalt werden derzeit mehr als 1.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut. Ein Fall aus Halle wirft jetzt die Frage auf, wie sie eigentlich versichert sind, etwa bei Unfällen.
Der Fall
Es ist ein sonniger Frühlingstag, an dem Volkmar Großmann in seinem braunen Mercedes C-Klasse vor einer roten Ampel in der halleschen Rudolf-Ernst-Weise-Straße wartet.
Es wird grün, Großmann fährt an - da passiert es: Ein Junge auf einem Fahrrad rast ihm von rechts ins Auto, fliegt quer über die Motorhaube. Glück im Unglück: Der Radfahrer, ein 14-Jähriger aus Afghanistan, wird nur leicht verletzt.
An Großmanns Auto entsteht ein Schaden von rund 3.500 Euro. Sein Unfallgegner wird im halleschen Schirm-Projekt betreut, das ist eine Jugendhilfe-Einrichtung. Dort lebt der Junge gemeinsam mit anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in einer Wohngruppe - wie viele andere dieser Kinder und Jugendlichen im Land auch.
Wer kommt für den Schaden auf?
Großmann macht sich zunächst keine Gedanken. Er holt für die Reparatur einen Kostenvoranschlag ein und wendet sich an das Schirm-Projekt mit der Frage, wo er die Unterlagen hinschicken soll.
Zunächst bekommt er eine Antwort, die ihn verärgert: Der Junge, heißt es, sei außerhalb des Hauses gar nicht versichert. Wolle Großmann seine Ansprüche geltend machen, müsse er zivilrechtlich gegen Schirm vorgehen.
Ein Missverständnis, wie sich später herausstellt. Tatsächlich ist der Junge abgesichert: Wenn er von Betreuern begleitet wird, über die sogenannten Betriebshaftpflicht des Trägers; dabei geht es um die Frage, ob der Betreuer im Falle eines Falles seine Aufsichtspflicht verletzt hat.
Ist der Junge, wie es bei dem Unfall der Fall war, ohne Betreuer unterwegs ist, ist er über die Stadt Halle abgesichert. Die kreisfreien Städte und Landkreise, genauer: deren Jugendämter, sind zuständig für die Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge, die ohne Eltern eingereist sind.
Halle hat für diese Gruppe Unfall- und Haftpflichtversicherungen abgeschlossen. Sie werden damit genauso behandelt wie deutsche Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen und für die das Jugendamt zuständig ist. Großmann hat den Schaden mittlerweile der Stadt Halle gemeldet, die hat ihre Versicherung eingeschaltet.
Das Problem
Die Kommunen sind nicht verpflichtet, solche Versicherungen abzuschließen, weder für Migranten noch für Deutsche. Eine Regelungslücke? Nein, findet Ulrike Schwarz, Referentin beim „Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge“. Schließlich gebe es auch kein Gesetz, das Eltern zwinge, für ihre Kinder eine private Haftpflichtversicherung abzuschließen.
Dennoch rät der Verband Kommunen dazu, ihre jugendlichen Schützlinge unbedingt zu versichern: „Teenager sind viel unterwegs, da ist schnell etwas passiert“, sagt Schwarz. Das gelte im übrigen für alle Kinder und Jugendlichen, um die sich die Jugendämter kümmerten.
Wer aber haftet, wenn es keine Versicherung gibt?
Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der Landkreistag Sachsen-Anhalt steht auf dem Standpunkt: Die Kreise müssen nicht haften. „Sie sind nicht verantwortlich, wenn ein Jugendlicher etwas angestellt hat“, sagt Vize-Geschäftsführer Michael Struckmeier.
Vielmehr seien die Jugendlichen selber haftbar. Die aber, vor allem wenn es Flüchtlinge sind, haben in der Regel kein Geld - Geschädigte würden dann auf ihren Kosten sitzen bleiben.
Das Sozialministerium sieht das anders: „Nach unserer Lesart sind die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Jugendhilfe sehr wohl schadenersatzpflichtig“, sagt Sprecherin Ute Albersmann.
Es sei denn, es könne doch Betreuern eine Verletzung der Aufsichtspflicht nachgewiesen werden. In einem solchen Fall, so Albersmann, könnten Ansprüche gegen den Träger der jeweiligen Einrichtung geltend gemacht werden. In der Praxis bedeutet das: Im Falle eines Falles werden am Ende wohl Gerichte entscheiden müssen.
Wie ist die Versicherungsfrage in Sachsen-Anhalt geregelt?
Halle hat entsprechende Versicherungen abgeschlossen, Dessau ebenso. Nach Angaben des Landkreistages sind auch die meisten Kreise für solche Fälle versichert, oder es springen die Träger der Einrichtungen ein und rechnen die Kosten mit den Jugendämtern ab. Einzelne Kreise prüfen laut Struckmeier derzeit, wo noch nachgebessert werden kann. (mz)