Trinkspruch auf altes Haus
Halle/MZ. - Damen in feinen Kleidern und mit Hüten, Herren in Frack und Zylinder - so mag es ausgesehen haben, wenn die Herrschaften der Richard-Wagner-Stra-
ße 27 b Anfang des 20. Jahrhunderts Gäste empfingen. Platz genug war in den Sechs-Raum-Wohnungen mit Salon und Musikzimmer. Das Jugendstil-Haus machte auch von außen etwas her, war gerade gebaut worden und das erste, das eine Putzfassade hatte neben all den Backstein-Nachbarn. Zudem überragte es die anderen in der Straße im Giebichensteinviertel.
Auch am Samstag konnte man eine illustre Gesellschaft vor dem Haus bewundern. Denn die Bewohner hatten nicht vergessen, dass ihr Zuhause 1906 erbaut worden war. Das feierten sie am Abend - in historischen Kostümen an einer langen, weiß gedeckten und mit Blumen geschmückten Tafel im Vorgarten. Ein Trompetensolo erklang, ein Trinkspruch folgte, dann wurde gegessen; jede der vier Familien hatte einen Gang des Menüs zubereitet. Im Fackelschein wurde Hausmusik gemacht, alte Bilder des Hauses gezeigt. Ein Stummfilm aus den 20er Jahren lief, und mit einem kleinen Feuerwerk endete die Feier, die schon am Nachmittag in der Pauluskirche begonnen hatte - mit einem Mozart-Konzert.
"Wir haben das Fest aus Liebe zu unserem Haus gefeiert und auch, weil wir uns alle gut verstehen", sagte Burghard Aust. Der Maler hat sich ganz oben unterm Dach in den ehemaligen Dienstmädchenkammern Atelier und Wohnung eingerichtet. Gleichzeitig sollte gezeigt werden, was man aus einem alten Haus machen kann, wenn man es liebevoll und nicht brachial saniert.
Denn als Lutz Rademacher mit seiner Familie 1988 dort einzog, war es in einem jämmerlichen Zustand: "Es regnete durch, war vom Schwamm befallen." Einiges setzte er schon damals instand, dann kam die Wende, und 1996 kaufte er es von der betagten Tochter des ersten und einzigen Besitzers. Dann konnte die Sanierung richtig losgehen - Fassade, Dach, Hof, das Treppenhaus hat noch bunte Original-Jugendstilfenster. Es gibt Eigentums- und Mietwohnungen, erzählt Rademacher. Er ist als Immobilien-Verwalter tätig, andere Bewohner arbeiten zum Beispiel als Lehrerin, Biochemikerin, sind Sozialpädagoge oder Sprechwissenschaftler. Insgesamt 13 Kinder wohnen dort.
Als nächstes soll der Vorgarten wieder einen schmiedeeisernen Zaun bekommen und die gemauerten Pfeiler Türmchen. Und Burghard Aust will das Treppenhaus mit Jugendstil-Ornamenten schmücken. Vielleicht ist das ja ein Anlass für das nächste Fest.