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Auf Spurensuche Tom Schwarz: Mit breiter Brust gegen Tyson Fury

Von Petra Szag 09.06.2019, 10:00
Die Jubelpose - wie hier  vergangenes Jahr in der Erdgasarena in Halle -  hat  Tom Schwarz als Profi  nach jedem seiner bisher 24 Kämpfe zeigen dürfen.
Die Jubelpose - wie hier  vergangenes Jahr in der Erdgasarena in Halle -  hat  Tom Schwarz als Profi  nach jedem seiner bisher 24 Kämpfe zeigen dürfen. Eckehard Schulz

Halle (Saale) - Sein Bart erinnert an einen stacheligen Maschendraht. Ganz so, als soll er Tom Schwarz abschirmen. Vor den allzu persönlichen Fragen der Journalisten. Oder den neugierigen Blicken der Leute. Als im März die Boxwelt mit der Neuigkeit überrascht wurde, dass der Profi aus Halle sich mit einem der aktuell Prominentesten der Branche messen darf, und das auch noch im Box-Mekka Las Vegas, gab sich der 25-Jährige erstmals zurückhaltend. Der Kampf mit dem großen Briten Tyson Fury am 15. Juni im legendären MGM Grand Garden hat vieles verändert. Auch Tom Schwarz, so scheint es. Seine Großspurigkeit? Abgelegt.

Er will als Meisterboxer wahrgenommen werden und nicht durch Sprücheklopfen auffallen. Deshalb geizte er vor seiner Abreise in die USA Ende Mai mit Informationen über sich und sein Innenleben.

Früher war das anders. Den Bart hatte er sich vor Monaten zulegt - damals, so hatte man den Eindruck, um erwachsener herüberzukommen. Kaum eine Gelegenheit hatte der Jungprofi ausgelassen, um Ansprüche anzumelden. Spätestens mit Mitte 20 wolle er auf den WM-Thron. In der Königsklasse wohlgemerkt, dem Schwergewicht, das zu der Zeit von Stars wie Wladimir Klitschko, Antony Joshua oder eben Tyson Fury beherrscht wurde. Die Metamorphose von einem, der nicht nur verbal um Anerkennung kämpft, sondern auch mit Nachdruck im Ring, ist nicht seine erste.

Tom Schwarz als Grundschüler klein und dick

Die Spurensuche beginnt in Nauendorf. Dort, im Saalekreis, hat der gebürtige Hallenser seine ersten Lebensjahre verbracht. Als Grundschüler war der heute 1,96 Meter große und 110 Kilo schwere Muskelberg klein und dick. Kleiner und dicker als die meisten in seinem Alter - was es für ihn in der Schule nicht gerade leicht machte. Seine Mutter Daniela hatte zu dieser Zeit eine Kollegin in der Altenpflege. Jener Edeltraud Dzemski vertraute sie an, dass ihr Sohn ein Stubenhocker sei. Und weil wiederum deren Mann Dittmar Dzemski vom Boxverein BC Fuhneland im benachbartem Görzig keinen wegschickt, landete Tom Schwarz mit neun Jahren bei den Faustkämpfern.

„Er war so unsportlich“, erinnert sich sein alter Trainer. „Der Junge lief schon rot an, wenn er nur 100 Meter gelaufen ist, konnte nicht mal eine Rolle vorwärts, Liegestütze oder Klimmzüge.“ Das hat sich schon im Laufe der ersten Trainingsmonate geändert - dank eines Charakterzuges, aus dem der Profi heute noch Kapital schlägt. „Tom war schon immer sehr ehrgeizig, er hat sich da durchgebissen, nicht nur im Training, auch zu Hause hat er immer seine Übungsaufgaben gemacht, die ihm aufgetragen worden sind“, weiß Dittmar Dzemski. Dieser Ehrgeiz machte die rasante Entwicklung des Boxers überhaupt erst möglich.

Und seine Familie. Oma Elli zum Beispiel. Die 66-Jährige ist Toms größter Fan. Bei fast allen seiner bisher 24 Profikämpfe hat sie am Ring mitgefiebert. Auch in Las Vegas wird sie das tun. Der Profi bezahlt ihr, sozusagen seinem ersten „Sponsor“, diese Reise. Bei der wird Oma Elli von Toms Lebensgefährtin Tessa begleitet.

Oma erinnert sich: Tom Schwarz war schon immer ein Einzelkämpfer

„Wenn meine Tochter nicht konnte“, erinnert sich die Großmutter, „dann habe ich den Jungen immer zum Training gefahren.“ Erst die etwa zehn Kilometer von Nauendorf nach Görzig zur Boxhalle, später dann die 25 nach Halle, zur Sportschule. Und sie erzählt, dass ihr Enkel, des Akkordeon-Spielens überdrüssig, im Sport schnell seine wahre Berufung gefunden hatte. Natürlich hatte er es auch bei den Fußballern versucht, „aber ihm hat nicht gefallen, dass alle hinter einem Ball herrennen“, erinnert sie sich.

Er war eben schon immer mehr der Einzelkämpfer. Längst kann ihm die sportliche Versuchung nicht verrückt genug sein. „Es gibt nichts, was ich nicht kann“, hatte er einmal gesagt, als er sich noch großspurig gab. Im Urlaub geht es nicht ohne Skaten, Tauchen oder Wasserskifahren.

Doch an Boxen kam und kommt nichts heran. Sicher auch, weil sich schnell der Erfolg einstellte. Als er 2009 für gut genug befunden wurde, um vom Verband gefördert zu werden, wechselte der Achtklässler an den Stützpunkt nach Halle. Dort hat Amateurtrainer Siegfried Vogelreuter den Sportschüler auf zwei internationale Höhepunkte vorbereitet: eine Europa- (2011) und eine Weltmeisterschaft (2012) im Nachwuchsbereich.

Beide Male, so erzählt Vogelreuter, war sein Schützling vorab in der Qualifikation nur knapp an den späteren Turniersiegern gescheitert. Auch Halles früherem Stützpunkttrainer ist gerade die Zielstrebigkeit von Tom Schwarz in Erinnerung geblieben. „Er lässt nicht locker“, sagt Vogelreuter und meint damit seinen hitzigen Tatendrang im Ring und das bedingungslose Nachsetzen, aber auch das Verfolgen einer Vision, der er alles unterordnet.

„Tom ist immer pünktlich zur Schule und später dann zur Lehre gegangen“

In Halle wohnte Tom Schwarz zwischenzeitlich im Internat der Sportschule. Dessen Chefin Helma Teuscher ist der Boxer als nicht gerade pflegeleicht in Erinnerung geblieben. Also war Tom Schwarz ein besonders wilder Bursche? Wie sie das „Ja“ ausspricht, verrät, dass er wohl eine ihrer größten beruflichen Herausforderungen war. Rauflustig? Helma Teuscher nickt. Im gleichen Atemzug lobt sie aber auch seine Zuverlässigkeit. „Tom ist immer pünktlich zur Schule und später dann zur Lehre gegangen“, sagt sie - selbstverständlich ist das offenbar nicht.

Und zum Zapfenstreich war er in seinem Bett. Noch heute hat sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Ex-Schützling, plaudert mit ihm selbst über Privates, wenn man sich mal sieht. Das gilt erst recht für die Küchenfrauen. Mit denen, so erzählt Helma Teuscher, habe Tom sich immer besonders gut verstanden. Schließlich brauchte er als Schwergewichtler doch viel größere Portionen als zum Beispiel die Turner, mit denen er zusammen die Schulbank drückte.

Zu seinen Klassenkameraden gehörte Michael Sawatzky. Auffällig, das sagt der Ex-Turner über seinen Kumpel aus der Sturm- und Drangzeit, war damals seine Unauffälligkeit. „Er hat meistens ganz vorn gesessen“, sagt Sawatzky. Vielleicht, weil die Lehrer über einen dort gern mal hinwegsehen und mehr die hinteren Reihen im Blick haben. „Insgesamt war er in der Schule sehr ruhig und zurückhaltend“, so die verblüffende Aussage des Schulfreundes über den heute so souveränen Sportler. „Ich hätte nie gedacht, dass Tom einmal ein solches Selbstbewusstsein entwickelt.“ Die breite Brust hat er nun nicht mehr nur im wahrsten Sinne des Wortes.

Während all dieser Entwicklungsjahre hat Dirk Dzemski eine wichtige Rolle im Leben von Tom Schwarz gespielt. Bei der Vermittlung einer Lehrstelle ließ der Trainer des Magdeburger SES-Boxstalls und Sohn von Dittmar Dzemski seine persönlichen Beziehungen spielen. Für den Nachbarjungen, dessen Vater früh gestorben ist, nahm er sich immer Zeit. Als die Amateurkarriere nicht so recht vorangehen wollte und der ausgebildete Lagerist nach der Lehre in den Vollzeitjob wechseln sollte, da half Dirk Dzemski dem Talent beim Einstieg ins Profigeschäft bei SES, betreute ihn lange selbst. Und obgleich nunmehr Rene Friese in der Ringecke steht, so hat der Görziger doch großen Anteil an der Entwicklung des Fury-Herausforderers.

Liaison mit Schlagsternchen Annemarie Eilfeld

Mit der Vergangenheit - zu der auch 2014/15 eine Liaison mit Schlagsternchen Annemarie Eilfeld gehört, die ihn bis in die Klatschspalten brachte - tut sich Tom Schwarz offenbar schwer. Auf die Frage, was seine alten Weggefährten wohl denken über ihn als den Herausforderer des Klitschko-Bezwingers, verblüfft er mit dem Satz: „Ich kann mir vorstellen, dass sie mich hassen.“ Erfolg soll ja neidisch machen.

Damit aber liegt er falsch. „Ich bin einfach nur stolz auf ihn“, sagt Michael Sawatzky. Wer hätte gedacht, dass es einer aus ihren Reihen einmal so weit bringt und sich aus dem Schatten der Anonymität ins Rampenlicht boxt. Auch Helma Teuscher und Siegfried Vogelreuter sagen, dass sie in der der Stunde der Wahrheit vorm Fernseher sitzen und Tom Schwarz die Daumen drücken werden. Die Fuhneland-Amateure wollen in ihrer Görziger Trainingsstätte die Nacht zum Tag machen und den Arbeitseinsatz ihres Vereinsmitgliedes - ja, er ist es nach wie vor - über die Videowand kollektiv mitverfolgen. Dafür verzichten sie auf die Reise am nächsten Morgen zum Turnier nach Chemnitz.

Tom Schwarz in sportlicher Mission gegen einen Exweltmeister - alle sind sich darin einig, diese Aufgabe ist gewaltig. Die Wetten stehen auf Niederlage. Und doch kann der nun in Magdeburg lebende Hallenser dabei gewinnen. „Verkauft er sich gut, selbst wenn er nicht als Sieger aus diesem Kampf hervorgeht“, sagt der Experte Dzemski Senior, „könnte das der Türöffner sein zu weiteren großen Kämpfen.“ Nur provozieren lassen dürfe er sich nicht von dem für seine Eskapaden bekannten Fury.

Schafft er das und besteht die Prüfung, darf er danach ruhig wieder die große Klappe haben.

Gewandeltes Ambiente: vom kleinen Heimatturnier bis hin zu einem Millionenpublikum

Vor elf Jahren berichtete die MZ zum ersten Mal über Tom Schwarz: Als Amateur-Knirps des BC Görzig Fuhneland boxte er beim Nachwuchsturnier zu Hause. Die Kulisse hat sich längst gewandelt. Heute kämpft der Schwergewichtsprofi des Magdeburger SES-Boxstalls vor Tausenden Zuschauern in großen Hallen und vor laufenden Fernsehkameras.

Seinen ersten Fight im bezahlten Sport bestritt er mit 19 Jahren in seiner Geburtsstadt Halle: Bereits in der ersten Runde knockte er seinen Gegner Mario Schmidt aus. Nur zwei Jahre später holte Schwarz sich den Titel, der ihm als Amateur versagt geblieben war: Am 14. November 2015 schlug er in Dessau den Deutsch-Russen Ilja Mezencev und stieg zum Juniorenweltmeister des Verbandes WBC auf. Ein Jahr später kam der des WBO-Juniorenchampions dazu. Mittlerweile hat Schwarz 24 Kämpfe bestritten, die er allesamt gewann.

Fast immer boxte Schwarz bisher im Osten Deutschlands, dazu kamen Auftritte in München sowie im tschechischen Pilsen und Prag. Die ganz großen Namen fehlen bisher in seiner Gegnerschaft. Dennoch ist Schwarz in den Weltranglisten der vier führenden Verbände sehr weit vorn gelistet, was ihm jetzt den Kampf gegen den britischen Ex-Weltmeister Tyson Fury bescherte. Am 15. Juni kommt es in Las Vegas zum Showdown mit dem skandalumwitterten Klitschko-Bezwinger - und die Aufmerksamkeit der gesamten Boxwelt ist ihm gewiss. (mz)