Tolle Schule in Neustadt Tolle Schule in Neustadt: Diese Schulleiterin kann sich vor Bewerbern kaum retten

Einmal hat Mandy Rauchfuß ihr Kollegium Schüler spielen lassen. Bei einer Dienstberatung wurden die Lehrer in Klassen eingeteilt und mussten Gruppenarbeit machen. Es ging um den Wechsel der Perspektive: Wie erleben Schüler den Unterricht?
Regelmäßig schnuppern die Pädagogen auch in Berufe hinein, für einen Tag lang. Auch das ein Perspektivwechsel. So sollen sie besser einschätzen können, was wichtig ist im Berufsleben und für die Berufswahl, über das Schulwissen hinaus. Um das den Schülern zu vermitteln. „Wir kommen ja sonst nicht raus aus unserer Bude hier“, sagt Mandy Rauchfuß.
Lehrermangel in Halle: Aus „Restschule“wurde eine Gemeinschaftsschule
Die Bude, das ist ihre Schule, die Heinrich-Heine-Gemeinschaftsschule im Westen Halles. Ein bunt angestrichener, verwinkelter Bau am Rande von Halle-Neustadt, dort wo die Plattenbauten allmählich in Einfamilienhäuser übergehen. Mandy Rauchfuß, 56, ist hier Schulleiterin.
Als sie vor vier Jahren anfing, war die „Heine“ noch eine Sekundarschule mit 324 Schülern, verschrien als „Restschule“ für diejenigen, die es nicht aufs Gymnasium oder auf die Gesamtschule schaffen. Mittlerweile ist sie eine Gemeinschaftsschule geworden. Bis zur achten Klasse wird gemeinsam gelernt, sowohl der Sekundarschulabschluss als auch das Abitur sind möglich. Die Oberstufe wird sukzessive aufgebaut. Die mittlerweile 800 Schüler kommen längst aus ganz Halle.
Gemeinschaftsschule in Halle: Sechs Stellen, 50 Bewerber
Und während landauf, landab händeringend Lehrer gesucht werden, kann sich Mandy Rauchfuß vor Bewerbern kaum retten. Im September hat sie sechs Stellen besetzt, zwei davon mit Seiteneinsteigern. Mehr als 50 Interessenten hatten sich beworben, aus Sachsen-Anhalt, aus benachbarten Bundesländern, „sogar jemand aus Rostock“, wie sie voller Stolz erzählt. Alle wollen an die „Heine“. Wie macht die Rektorin das nur?
Ein Teil der Antwort liegt im geschilderten Perspektivwechsel: An der Heinrich-Heine-Schule müssen auch die Lehrer lernen. Und die Chefin. In den Osterferien machte Rauchfuß ein Praktikum bei einem Bauunternehmen. Die Leitfrage auch da: Was ist, aus Sicht eines Arbeitgebers, eigentlich wichtig für die Berufswahl?
Gegen den Lehrermangel: Mit viel Wumms und guter Laune
Einen weiteren Teil der Antwort bekommt man am besten bei einem Schulrundgang. Raus aus dem Schulleiter-Büro, ein paar Treppen hoch, schon steht man im Tonstudio. Ein Tonstudio? In einer Schule? Genau. Professionell eingerichtet, mit großen Mischpulten und Mikrofonen. An der Fensterfront stehen ein paar Keyboards, gegenüber Gitarren. Im Nebenraum, schallgedämpft, kann die Schülerband „The Pens“ proben.
Es gibt auch eine Sprecherkabine. Jetzt, kurz vor Weihnachten, können Schüler dort Songs aufnehmen, als Geschenk. „Das machen die Schüler selber, die Großen helfen den Kleinen“, sagt Rauchfuß, „da brauchen wir Lehrer uns gar nicht reinhängen.“ Sie setzt sich ans Schlagzeug und trommelt drauflos für den Fotografen. Sie spielt wie sie auch sonst auftritt: mit viel Wumms und guter Laune.
Gemeinschaftsschule in Halle: „Wir haben viele Auftritte und Veranstaltungen, wir wollen uns doch präsentieren.“
Zwei Türen weiter, Musikunterricht: Torsten Hinze erklärt, wie die Mitglieder des Schulensembles eine vom ihm für Auftritte programmierte App nutze können. Zum Ensemble zählen neben der Band auch die Tanzgruppe „Smokin’ Feetz“ und Solisten. Hinze, 55, unterrichtet Musik, und er betreut den Youtube-Kanal der Schule, mit immerhin 160 Abonnenten. Selbstverständlich, findet er.
„Wir haben viele Auftritte und Veranstaltungen, wir wollen uns doch präsentieren.“ Die Heine-Schule ist auch bei Facebook, Twitter, Instagram und Vimeo. Über die sozialen Netzwerke ließen sich auch viele Eltern einbeziehen, sagt Rauchfuß.
Gemeinschaftsschule in Halle: Fahrradwerkstatt, Hauswirtschaftsraum, Töpferei, Schülercafé
Weiter geht es ins Erdgeschoss. Fahrradwerkstatt, Hauswirtschaftsraum, Töpferei, Schülercafé. Die Heine-Schule bietet außerhalb des Unterrichts 48 Arbeitsgemeinschaften an. Soweit normal für eine Ganztagsschule. Doch Rauchfuß hat durchgesetzt, dass diese Arbeitsgemeinschaften am Vormittag stattfinden, nicht mehr nachmittags. Ihre Erfahrung: „Nach sieben Stunden verkopftem Unterricht wollen die meisten nur noch nach Hause.“
Im Kollegium waren sie anfangs skeptisch. Der Knoten platzte, als ein Lehrer klagte, er bekomme für ein bestimmtes Angebot nicht genügend Teilnehmer zusammen, weil alle nachmittags unterschiedlich Schulschluss haben. „Dann lass uns das doch in der 5. Stunde probieren“, hat Rauchfuß geantwortet, „dann sind alle da.“
Schulleiterin Halle-Neustadt: Klinken putzen im Stadtteil
Später ging sie Klinken putzen im Stadtteil: Wohnungsgesellschaften, Vereine, Geschäfte - die Schule will sich nicht abschotten. Ergebnis: Regelmäßig besuchen Schüler eine Kita, spielen und basteln mit den Kindern oder bringen ihnen Englisch bei. Als eine Wohnungsgesellschaft ein Haus abriss, legte die Schule dort einen Stadtgarten an. Mandy Rauchfuß spricht gern von einer „Quartiersschule“.
So viel Engagement spricht sich rum. Bei Eltern, die nach der passenden weiterführenden Schule suchen. Und bei Lehrern auf Stellensuche. „Da läuft viel über Mundpropaganda“, sagt die Schulleiterin. Bei ihrem alteingesessenen Kollegium musste sie anfangs allerdings Widerstände überwinden. Arbeitsgemeinschaften vormittags? Zweifel. Dienstberatungen außerhalb der Schule, etwa bei schönem Wetter am nahen Heidesee? Geht gar nicht, hieß es erst. Rauchfuß spricht allerdings nicht von Widerständen oder davon, dass sie die Kollegen überzeugt hat. Sie sagt über Skeptiker lieber: „Ich musste die an die Wand lieben.“
Mandy Rauchfuß weiß, dass ihre Schule im Vergleich zu vielen anderen gut dasteht
Dieser Satz sagt viel aus über Mandy Rauchfuß, über ihre burschikos-freundlich-bestimmte Art, mit der sie Kollegen und Schülern gleichermaßen begegnet. Beim Gespräch in ihrem Büro steht die Tür zum Flur auf. Ein Mädchen, das schüchtern hereinlugt, ermuntert sie mit den Worten: „Komm rein, Schatz!“ Ein anderes verabschiedet sie mit „Tschüss, Süße!“ Dann stehen vier Schülerinnen im Flur, siebte Klasse. Sie wollen per Durchsage im Schulhaus um Spenden für ein Tierschutz-Projekt bitten, trauen sich aber nicht. Rauchfuß seufzt und übernimmt die Durchsage. Aber nicht, ohne zu frotzeln, die Mädchen seien wohl zu feige. Die Schülerinnen gickern verlegen, Abgang.
Mandy Rauchfuß weiß, dass ihre Schule im Vergleich zu vielen anderen gut dasteht. Schon wegen der Ausstattung. Da sind nicht nur das Tonstudio und die Werkstätten. Da sind auch die 240 Tablet-Computer, die die „Heine“ über ein städtisches Pilotprojekt erhalten hat. Regelmäßig werden die Geräte im Unterricht eingesetzt. Aus Sicht der Schulleiterin ist das nicht bloß eine Erleichterung des Schulalltags, sondern auch eine Wertschätzung: „Gute Ausstattung bedeutet auch Anerkennung.“
Gemeinschaftsschule in Halle: Bloß kein Stillstand
Doch der Digitalpakt zwischen Bund und Ländern, mit dem die Schulen digital aufgerüstet werden sollen? Ist vorerst gescheitert. Darauf angesprochen, schüttelt Rauchfuß den Kopf: „Enttäuschend“, sagt sie. „Viele Schulen hätten die Digitalisierung bitter nötig.“
Sie denkt aber erst einmal über etwas anderes nach: Wie kann sie ihre Schüler noch zu mehr ehrenamtlichem Engagement motivieren? „Wir müssen wieder mehr in die Senioren-Einrichtungen. Das ist etwas eingeschlafen.“
Bloß kein Stillstand. „Langeweile“, hat sie mal gesagt, „ist Höchststrafe.“
