Themenabend in Halle Themenabend in Halle: Zeitzeugen berichten über Freikauf politischer Häftlinge
Halle/MZ - „Dass einer an mich gedacht hat...“, das habe der erste von der BRD freigekaufte politische Häftling fassungslos gesagt - bevor er buchstäblich zusammenbrach. Eindringlich schilderte Ludwig A. Rehlinger, diese Szene, die sich vor 50 Jahren in einem Westberliner Anwaltsbüro abspielte. Der heute fast 86-Jährige war einer der Akteure des Themenabends „Die Geschäfte der DDR mit politisch Verfolgten“ in der Thalia-Buchhandlung.
Freikäufe eingefädelt
Rehlinger ist ein besonderer Zeitzeuge. Als hoher Regierungsbeamter hatte er diesen ersten und auch alle späteren „Freikäufe“ eingefädelt. Der erste Fall aber blieb ihm besonders in Erinnerung. „Erst in der Kanzlei begriff der Mann richtig, dass es vorbei war. Nach 15 Jahren DDR-Strafvollzug, rund zehn Jahre davon in Einzelhaft“, so Rehlinger. „Dass einer an mich gedacht hat - dieser Satz bewegt mich bis heute immer noch tief.“ Und er sei ihm stets neue Motivation gewesen.
Gut 50 Hallenser waren zu der Geschichtsstunde in die Buchhandlung gekommen, zu der unter anderem der Verein Deutsche Gesellschaft eingeladen hatte. Unter den Gästen waren einige, die selbst in der DDR verhaftet und freigekauft worden waren. So wie Karl Bohley, der 1977 im Zuge der Biermann-Ausweisung in Halle inhaftiert - und abgeschoben wurde. „Der Freikauf war das gleiche, wie wenn die Feudalfürsten ihre Landeskinder als Soldaten verkauft haben.“ Tatsächlich, immerhin rund 3,5 Milliarden D-Mark hat die BRD bei diesem Handel zwischen 1963 und 1989 gezahlt, am Ende lag der Kurs bei 94 000 D-Mark pro Kopf.
Acht von 12 000
Zeitzeuge Rehlinger bot die ungewohnte westdeutsche Perspektive auf diesen Handel. Und gleich dessen Beginn bescherte ihm schwere Stunden, wie er bekannte. Rehlinger und DDR-Unterhändler Rechtsanwalt Wolfgang Vogel hatten sich 1963 auf eine Liste mit 1 000 Namen politischer Gefangener geeinigt. „Ich hatte die schlimme Aufgabe, aus 12 000 Akten diejenigen Menschen heraussuchen, denen wir die Freiheit schenken konnten.“ Was für eine schwere Entscheidung. Doch es sollte schlimmer kommen. Die DDR genehmigte plötzlich nur noch 500, es musste aussortiert werden. Und später ging die Stasi auf 150, dann auf 100 runter. „Am Ende durften wir nur acht DDR-Häftlinge freikaufen.“ Acht von 12 000!
Später jedoch verkaufte die DDR dann im großen Stil für Westgeld ihre Verurteilten - eine moralische Bankrotterklärung. Rehlinger: „Ich glaube, die DDR hat trotz des Geldes deshalb viel mehr verloren als gewonnen.“