Streikende verzichten auf Protestmarsch Streik in Halle - 50 Kitas sind betroffen - Ärger unter Eltern
Am Freitag wird in Halle gestreikt. Betroffen sind Kitas und Horte des städtischen Eigenbetriebes. Was die Streikenden wollen und warum sie auf einen Protestmarsch verzichten.

Halle (Saale)/MZ. - Draußen scheint die Sonne, die Straßen in Halle sind ruhig – doch im Capitol brodelt es. In der historischen Veranstaltungshalle haben sich am Freitagvormittag über 100 Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes zum Streik versammelt. Aufgerufen hatte die Gewerkschaft GEW Sachsen-Anhalt. Auch im Volkspark am anderen Ende der Stadt sind die Stimmen laut. Dort versammelten sich parallel knapp 200 Streikende der Gewerkschaft Verdi. Aber wieso blieben die Trillerpfeifen und rot-weißen Flaggen am Freitag hinter verschlossenen Türen?
Hintergrund ist das Sicherheitsbedürfnis der Streikenden nach dem Anschlag in München. Dort ist am 13. Februar ein 24-Jähriger mit seinem Auto in eine Verdi-Demo gerast. Johannes Mielke, stellvertretender Bezirksgeschäftsführer Verdi-Süd, erklärt: „Wir sind natürlich sensibilisiert, was den Anschlag in München angeht, und verurteilen diese feige Tat – die Kollegen sind teilweise auch nervös – aber wir haben nicht die Wahrnehmung, dass sich die Beschäftigten davon jetzt abhalten lassen, für ihre Arbeitsbedingungen einzustehen. Und das ist auch gut so.“
Die Forderungen bleiben
Die Forderungen der Gewerkschaften Verdi und GEW sind: acht Prozent mehr Lohn, mindestens 350 Euro mehr pro Monat und bessere Arbeitsbedingungen. Viele der Anwesenden berichten von hoher Arbeitsbelastung, fehlendem Personal und einem ständig wachsenden Berg an Bürokratie. „Wir wollen endlich Wertschätzung für unsere Arbeit“, sagt eine Erzieherin aus Dessau.
Im Capitol ist es laut. Die Streikenden wirken entschlossen. Carsten Sievers, Gewerkschaftssekretär für Jugendhilfe und Sozialarbeit, ruft den Versammelten zu: „Ihr zeigt bitte auch hier im Saal, dass ihr alle dahintersteht und ihr hier genauso laut seid wie auf der Straße!“ Nach jeder Atempause vibriert der Saal, als würde der Protest die Wände des Capitols sprengen. Der Unmut ist groß, denn bislang gibt es von der Arbeitgeberseite kein Angebot. Bereits zwei Verhandlungsrunden blieben ohne Ergebnis. Dabei seien die Missstände gravierend: „3.000 Arbeitszeitverletzungen wurden innerhalb eines Jahres verzeichnet“, betont Sievers.
Die Beschäftigten sind sich in ihren Forderungen einig. „Ich stehe hier, weil Kinder unsere Zukunft sind“, sagt die stellvertretende Leiterin einer Kita in Wittenberg. Sie ist mit fast 20 anderen Kollegen der Kita angereist, um als „starkes Team“ aufzutreten. Eine Mitarbeiterin aus einem Hort in Halle-Nietleben bringt es auf den Punkt: „Kinder an die Macht.“
Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 14. März angesetzt. Ort des Geschehens: der Volkspark.
Am Freitag sind die Auswirkungen des Streiks überall in Halle spürbar. 50 Einrichtungen des städtischen Eigenbetriebs sind betroffen, viele davon bleiben den ganzen Tag über geschlossen. Mitunter hatte lediglich ein Aushang an der Eingangstür Eltern darüber informiert. Das sorgte für Unmut. „Ich finde es verwerflich, dass keine Notbetreuung zugesichert werden kann“, kritisiert CDU-Stadträtin Ulrike Wölfel am Donnerstag im Jugendhilfeausschuss. „Nur ein Aushang in der Kita kann es ja nicht sein.“
Halles Sozialdezernentin Katharina Brederlow (SPD) verwies auf das Streikrecht. Der Arbeitgeber dürfe gesetzlich nicht im Vorfeld abfragen, ob sich vielleicht einige Mitarbeiter nicht an dem Streik beteiligen wollen. „Und wir können niemandem verbieten, zum Streik zu gehen.“ Es sei schließlich das Ziel der Gewerkschaften, möglichst viele Menschen zu treffen, um Druck aufzubauen. „Ich finde das auch nicht gut“, sagte Brederlow. Es treffe zwar die Falschen, aber eine andere Regelung sei nicht möglich.
Der stellvertretende Verdi-Bezirksleiter Johannes Mielke sagt auf MZ-Nachfrage: „Wir haben den Trägern der Eigenbetriebe den Streikaufruf eine Woche vorher zugestellt, das machen wir immer so. Eben mit Blick darauf, dass sich Eltern auch darauf einstellen können.“
Der Frust wächst
Die Enttäuschung über die bisherigen Verhandlungen ist groß. Sollte auch in der nächsten Runde keine Einigung erzielt werden, könnte sich der Protest ausweiten. Die Streikenden machten deutlich, dass sie bereit sind, ihren Forderungen weiter Nachdruck zu verleihen – sei es auf der Straße oder in Versammlungsräumen. „Wenn die Blockadehaltung der Arbeitgeberseite weiterhin aufrechterhalten wird, sind wir gezwungen, die Arbeitskämpfe zu eskalieren. Das wollen wir nicht, aber das ist dann nun mal notwendig“, sagt Mielke.