Stichwahl um Oberbürgermeisteramt Stichwahl um Oberbürgermeisteramt: Kommt der Wechsel im Ratshof?

Halle (Saale) - Die Hallenser haben am Sonntag die Qual der Stichwahl: Soll Amtsinhaber Bernd Wiegand (parteilos) weitere sieben Jahre die Stadt führen oder ist Herausforderer Hendrik Lange (Linke) der bessere OB? Vor allem Wähler, die sich im ersten Wahlgang hinter den CDU/FDP-Kandidaten Andreas Silbersack gestellt haben, müssen sich neu orientieren. Die Parteien haben bisher keine Wahlempfehlung abgegeben. Während Wiegand von der Wählergruppe Hauptsache Halle unterstützt wird, ist Lange der gemeinsame Kandidat von SPD, Grünen und Linken. Die MZ stellt die Ziele der Kandidaten gegenüber.
Erfahrung in der Politik
Wiegand spielt seit 2008 eine wichtige Rolle in der halleschen Stadtpolitik. Zunächst war er Beigeordneter für Sicherheit, Gesundheit und Sport. 2012 wurde er zum Oberbürgermeister gewählt. Der 62-Jährige war kurzzeitig Mitglied der SPD, seit 2010 ist er parteilos. Aber auch Herausforderer Lange ist in der Stadtpolitik kein unbeschriebenes Blatt. Seit 2004 sitzt der 42-Jährige im halleschen Stadtrat und war in der vergangenen Wahlperiode der Stadtratsvorsitzende. Außerdem ist er seit 2006 Landtagsabgeordneter.
Ziele für Halle
In einer zweiten Amtszeit will Wiegand Schwerpunkte auf einen ausgeglichenen Haushalt, den Klimaschutz und ein neues Tourismuskonzept setzen. Halle soll beispielsweise mehr Kongresse ausrichten. „Außerdem muss es eine Diskussion um neue Gewerbegebiete geben“, sagte der gebürtige Braunschweiger im MZ-Wahlforum. Lange will als Oberbürgermeister eine Verkehrswende in der Stadt herbeiführen. „Ich will zunächst ein kostenfreies Schülerticket durchsetzen“, kündigte er beim Wahlforum an. Ihm schwebt perspektivisch ein komplett kostenloser Nahverkehr, eine autofreie Innenstadt und ein Radfahreranteil im Straßenverkehr von 25 Prozent vor - aktuell liegt der bei 13 Prozent.
Thema Finanzen
Halle muss sparen. Nach einer Änderung im Kommunalverfassungsgesetz sollen in den nächsten Jahren Schulden in Höhe von 335 Millionen Euro abgebaut werden. Laut Wiegand sind 70 Prozent des städtischen Defizits vor seiner Amtszeit entstanden. Gemeinsam mit Kämmerer Egbert Geier (SPD) hat er dem Stadtrat bereits ein Konzept vorgelegt, wie die Schulden zunächst umgeschichtet und dann langfristig abgebaut werden könnten.
Die Problematik „Schulden“ taucht in Langes Wahlprogramm nicht auf. Auf Nachfrage sagte er, dass er das Land und den Bund in der Pflicht sieht, Halle beim Schuldenabbau unter die Arme zu greifen. „Ich möchte die Haushaltsdebatte aber nicht mit dem Wahlkampf vermischen“, sagte Lange. Nur so viel stehe für ihn fest: An freiwilligen Leistungen der Stadt dürfe nicht gespart werden.
Neue Wege
Beim Thema Verkehr verfolgen Lange und Wiegand ähnliche Ziele. Lange strebt perspektivisch eine autofreie Altstadt, ein neues Geh-und Radwegprogramm sowie günstigere Ticketpreise im öffentlichen Nahverkehr an. Schüler sollen bis zur zwölften Klasse kostenfrei Bus und Tram fahren können. Wiegand will ebenfalls prüfen, ob ein kostenfreies Schülerticket, ein 365-Euro-Ticket oder verkürzte Taktzeiten den Nahverkehr aufwerten würden. Innerstädtisch schlägt der Amtsinhaber eine umfangreiche Tempo-30-Zone vor. Er will zudem prüfen, wie die Altstadt autofrei werden kann - für Anwohner, Taxis und Lieferfahrzeuge müssten jedoch Ausnahmen gemacht werden, meint Wiegand.
Der Umwelt zuliebe
Sachsen-Anhalt ist das trockenste Bundesland in Deutschland. Beide OB-Kandidaten gehen darauf ein und setzen in ihrem Wahlkampf einen Schwerpunkt auf Umweltthemen. Wiegand will jährlich 1000 Straßenbäume pflanzen und ein Bewässerungssystem installieren. Außerdem soll der Marktplatz weiter begrünt werden. Er hat zugesagt, alle Forderungen der Umweltbewegung „Fridays For Future“ umzusetzen.
Lange kündigt an, dem „Menschen gemachten Klimawandel“ urbanes Gärtnern entgegenzusetzen. Zudem sollen Trinkbrunnen aufgestellt und Sonnensegel über öffentliche Plätze gespannt werden, um das Stadtklima zu verbessern. Weiterhin hat er angekündigt, dem städtischen Wald mehr Aufmerksamkeit zu schenken und ihn zukünftig besser zu bewirtschaften.
Soziale Projekte
Der Linken-Politiker Lange will soziale Dienste stärken, Schulen besser ausstatten und bezahlbaren Wohnraum in allen Stadtteilen schaffen. Amtsinhaber Wiegand kündigt an, sich für kostenfreie Kita-Plätze einzusetzen. Außerdem schließt er sich dem Vorstoß der Stadtratsfraktionen an, einen Mietspiegel erstellen zu lassen.
Die OB-Kandidaten haben auch im sozialen Bereich ein gemeinsames Ziel: Lange und Wiegand geben beide an, ein Jugendparlament aufbauen zu wollen. Bisher ist das Projekt jedoch nicht zustande gekommen, da laut OB Wiegand immer noch Unklarheiten bestehen, welche Rechte die Jugendlichen gemäß der Kommunalverfassung im Stadtrat haben dürfen.
Sicher in Halle
Wenn Wiegand erneut OB wird, will er für das Ordnungsamt einen 24-Stunden-Dienst einführen und die Zivilstreifen erhöhen. Außerdem sollen illegale Müllablagerungen härter bestraft werden. Auch Lange möchte die Zusammenarbeit von Ordnungsamt und Polizei erweitern und gemeinsame Bürgersprechstunden mit Quartiersmanagern und Streetworkern initiieren. Er schlägt vor, dunkle Plätze und Straßen besser zu beleuchten sowie verwahrloste Brachen zu beleben.
Neue Ideen, mehr Arbeit
Für Lange hängt die Wirtschaftsentwicklung in Halle maßgeblich von guten Arbeitsbedingungen ab. Deshalb will er ein Grundeinkommen für Unternehmensgründer einführen. Leerstehende Läden sollen vorübergehend von Künstlern gestaltet werden. Amtsinhaber Wiegand plant, innerstädtische Gewerbeflächen wie das ehemalige RAW-Gelände zu entwickeln. Zudem soll unter seiner Führung die geplante Bebauung des Riebeckplatzes abgeschlossen werden und zum attraktiven Eingangstor der Stadt werden.
Kreative Szene
Nach dem Theaterstreit will Wiegand nun einen kulturpolitischen Beirat gründen, in dem die Intendanten und der Geschäftsführer der TOOH vertreten sind. Außerdem will er jährlich einen städtischen Literaturpreis vergeben. Lange spricht sich für mehr kulturelle Freiräume abseits der etablierten Kultureinrichtungen aus und will zum Beispiel soziokulturelle Zentren aufbauen.
Politisches Klima
Die Stimmung zwischen den Stadtratsfraktionen und OB-Wiegand hat sich im Laufe der Jahre immer weiter verschlechtert. Wiegand selbst relativiert die Situation: Es würden „demokratische Streitigkeiten“ geführt, zugleich habe der Stadtrat viele gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht. Lange wirbt für ein besseres Miteinander im Stadtrat und eine wertschätzende Zusammenarbeit mit den Beigeordneten. (mz)
