Stefan Rosinski im Interview Stefan Rosinski im Interview: "Mir gefällt diese Stadt"

Halle (Saale) - Der Theaterleiter und Betriebswirt Stefan Rosinski ist ab September neuer Chef der halleschen Theater, Oper und Orchester GmbH. Der 1961 in Flensburg Geborene hat in Hamburg Musiktheaterregie bei Götz Friedrich studiert. Zurzeit ist er am Volkstheater Rostock tätig. Mit Rosinski sprachen Kai Agthe und Andreas Montag.
Herr Rosinski, willkommen in Halle! Sie sind ja viel herumgekommen - Berlin, Rostock…
Rosinski: … Hannover, Hamburg …
Ist Halle nun ein Ort zum Bleiben?
Rosinski: (lacht) Ich muss vorausschicken, Halle überrascht mich. Rostock, wo ich zurzeit noch bin, hat diesen wunderbaren Strand, diese frische Luft – aber Halle hat, was ich vermisst habe: Urbanität.
Vermisst, weil Theater sehr viel mit dieser Urbanität zu tun hat, mit städtischem Raum. Mir gefällt diese Stadt, mir gefällt die Atmosphäre. Eine junge Stadt mit großer Geschichte. Womit Ihre Frage positiv beantwortet wäre: Halle hat die Chance, kenntlich und sichtbar zu werden über ihre Grenzen hinaus.
Das heißt also, Sie wollen eine Weile bleiben?
Rosinski: Ja, ich habe die Absicht, eine Weile zu bleiben.
Sie haben sowohl eine künstlerische als auch eine kaufmännische Karriere vorzuweisen – das ist eher ungewöhnlich.
Rosinski: Das hat sich aus meiner Arbeit ergeben. Nach dem Studium war ich zunächst an großen Häusern engagiert, an der Deutschen Oper in Berlin, dann am Aalto-Theater in Essen. Danach war ich zehn Jahre in der freien Szene tätig. Da muss man alles selbst organisieren: inszenieren, haushalten, Verträge machen. Damals habe ich gelernt, Theater ganzheitlich zu denken.
Diese Erfahrung nützt mir heute: Wie sind Stadttheater organisiert, was steuert sie? Welche Interessen greifen auf sie zu, wer sind ihre Hauptakteure? Und was muss gesichert sein, damit ein Theater ein Theater sein kann?
Und wer sind die Hauptakteure für Sie?
Rosinski: Maßgeblich sind wohl vier: Das Publikum. Der Geldgeber, also die Politik. Der Künstler. Und die Betriebsverwaltung. Diese unterschiedlichen Akteure dazu zu bringen, dass sie am gleichen Strang ziehen, darum geht es. Das ist eine faszinierende Aufgabe.
Kommen wir zum Haus, das sie vorfinden: Das Schauspiel und das Puppentheater laufen bestens, das Opernhaus lahmt ein wenig?
Rosinski: Nach meinem Eindruck wird dieser Befund von allen geteilt. Bei der Analyse der Ursachen gehen die Meinungen schon auseinander. Allerdings wäre der neue Opernintendant Florian Lutz nicht angetreten, wenn er nicht glaubte, dass etwas zu bewegen sei. Die Frage ist immerhin: Wie sieht das Theater der Zukunft aus?
Man muss überdies sehen, dass Städte jeweils Besonderheiten haben: Es gibt Orte, an denen das Musiktheater stärker verwurzelt ist als das Schauspiel – und umgekehrt. Solche „Grundeinstellungen“ spielen eine Rolle.
Es wäre natürlich auch schön, erreichten Operninszenierungen mal ein paar Aufführungen mehr.
Rosinski: Es gibt eine fatale Logik am Stadttheater: Wenn Sie bereits nach fünf Vorstellungen eine neue Inszenierung herausbringen müssen, wird dieser Produktionsdruck zu teuer - eine tödliche Spirale abwärts. Mehr Nachfrage erzeugen, heißt also, mehr spielen können, günstiger wirtschaften.
Die Nachfrage zu erhöhen, ist nicht so einfach. Ich sehe zum Beispiel, dass es das Musiktheater schwer hat, das junge Publikum zu erreichen. Insgesamt gilt es, zwischen drei Gruppen auszubalancieren: Dem Stammpublikum, das mehr oder weniger zufrieden ist und treu. Gelegenheitsbesuchern, die zu binden sind. Und den Fast-Besuchern. Letztere sind kulturaffin, aber seit Jahren nicht da gewesen. Hier muss man gute Gründe geben, ins Haus zu kommen.
Und wie soll das gelingen?
Rosinski: Ich bin sicher: Ein Theater, das es schafft, sich als gesellschaftlicher Ort zu kommunizieren, wird man nicht schließen. Wie ich zur Jubiläumsfeier gesehen habe, wird das im Neuen Theater Halle regelrecht zelebriert.
Die Oper ist eine Baustelle. Gibt es noch mehr?
Rosinski: Schwerpunkt wird auch die Finanzierung des Orchesters sein. Hier ist nach wie vor einiges ungeklärt. Den Vertrag zwischen Stadt und Land sollte man sich noch einmal genau auf seine Prämissen hin ansehen. Vielleicht können alle Beteiligten einen Schritt zurücktreten und sich fragen: Ist der Vertrag in der vorliegenden Form realistisch erfüllbar? Oder müssen wir nachjustieren?
Mit welchem Ziel?
Rosinski: Zu klären wäre, was dieser bis zum Jahr 2019 auf 99 Musiker zu schrumpfende Klangkörper am Ende können soll.
Es gibt kleinere Orchester.
Rosinski: Ich lese in dem Vertrag: Quantitative Veränderung ohne qualitative Einbußen. Wie soll das gehen? In der Diskussion bemerke ich angesichts dieser paradoxen Zielstellung eine gewisse Verhärtung der Positionen. Mir geht es zunächst um eine Prüfung der Fakten. Wir können das nur gemeinsam lösen, nicht gegeneinander.
Was Politik mit Theater macht - und umgekehrt
Theater ist auch politisch. Und es bekommt es mit Politik zu tun, nicht nur bei den Finanzen. Jüngst ist das Klima in Sachsen-Anhalt rauer geworden. Sind Sie gewappnet?
Rosinski: Ich sehe dem vor allem gelassen entgegen. Das Schlimmste, was einem Theater begegnen kann, ist Indifferenz. Wenn es keinen Echo-Raum gibt. So lange man sich diskursiv auseinandersetzt, ist alles gut.
Dass Politiker Erwartungen formulieren, finde ich im Übrigen normal. Manchmal, selten wird die Normalität verlassen. Zum Beispiel von dem Kulturminister, der den Theatern das Motto für die Spielzeit vorgeben wollte – frei nach dem Motto: Wer bezahlt, darf auch die Musik auswählen.
Das kommt dann weniger gut an.
Rosinski: Das ruft sofort Widerstand auf den Plan. Aber wenn zum Beispiel die AfD Erwartungen an den Spielplan formulieren sollte – wir sind erwachsen genug, uns damit auseinanderzusetzen. Lasst uns doch mal sehen, wie spannungsreich das deutsche Erbe ist – von Goethe über Schiller bis zu Büchner!
Solange es nur Vorschläge sind, die nicht qua Amt durchgedrückt werden, ist alles in Ordnung. Andernfalls wären wir in einer anderen Qualität. Kunst will nicht in eine politische Ecke gestellt werden, weder nach links noch nach rechts. Da halte ich es mit Heiner Müller, der diese Offenheit als das Asoziale in der Kunst bezeichnet hat.
Wenn wir über Querelen sprechen: In Rostock ist es ja richtig schief gegangen: Das Schauspiel des Volkstheaters wird fast abgewickelt, es bleibt, neben ein paar Kinderstücken, die Oper. Und der Intendant Sewan Latchinian muss gehen.
Rosinski: Ich war Direktor der Berliner Opernstiftung und Chefdramaturg an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Rostock aber war eine Herausforderung, die ich mir so nicht hätte träumen lassen. Eine hochkomplizierte politische Gemengelage - sowohl im Verhältnis zum Land als auch zur zerstrittenen Rostocker Bürgerschaft, einschließlich Oberbürgermeister. Ich verlasse die Stadt dennoch mit dem Gefühl, für das Volkstheater das machbare Optimum herausgeholt zu haben. Was wir nicht geschafft haben: Den Neubau zu realisieren, den umzusetzen ich nach Rostock gekommen war. Aber den wird es in der Hansestadt wohl selbst in 20 Jahren nicht geben. Es fehlt einfach das gewachsene Bürgertum, eine Zivilgesellschaft, die das Theater trägt.
Jetzt ist Sewan Latchinian durch die Rostocker Bürgerschaft fristlos entlassen worden...
Rosinski: Und sein Nachfolger wird Joachim Kümmritz sein, der Generalintendant aus Schwerin. Das ist eine typische hausgemachte Lösung à la Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin aber relativ sicher, dass das Volkstheater in vier Jahren wieder sein wird, was es vor der Krise war: ein Vier-Sparten-Haus.
Dann hätten alle gewonnen, nur Latchinian hat verloren?
Rosinski: Latchinian hat zu politisch brachialen Mitteln gegriffen, die so nicht funktionieren konnten, erst recht gegenüber dem Rostocker Oberbürgermeister nicht. Das erinnert mich an einen meiner Lieblingssätze von Brecht: Was ist Politik? Das Denken im Kopf des anderen.
Krisenstimmung gab es vor drei Jahren auch in Sachsen-Anhalt im Zuge der Finanzkürzungen für die Theater in Dessau, Halle und Eisleben. Wie haben Sie diese und die Proteste gegen die Sparmaßnahmen wahrgenommen?
Rosinski: Zu erkennen war, dass es in Halle eine starke Bewegung gegen die Kürzungen der Zuschüsse durch das Land gegeben hat. Auch die Proteste in Dessau wurden überregional stark wahrgenommen. Dort ist es weniger gut ausgegangen als in Halle, zum Beispiel bei der Personalie des Intendanten André Bücker.
Wir werden in den kommenden Monaten in Halle prüfen, wie es weitergehen kann, wo das Optimum wäre. Ich höre, dass es viele Stellen mit dem Vermerk „Keine Wiederbesetzung“ gibt, die aber unabdingbar für das Funktionieren des Hauses sind. Man spart ein, ist aber irgendwann nicht mehr arbeitsfähig. Das wird ein Thema sein.
Sachsen-Anhalt ist ein Land, das demografisch ausdünnt, aber auch ein Land, in dem man Theater von Stendal bis Naumburg, von Halberstadt bis Dessau findet. Werden Sie, wenn Sie Ihr Haus in Halle kennengelernt haben, auch in die Fläche schauen?
Rosinski: Ganz sicher. Denn, um das nicht zu vergessen, die Hälfte des Zuschusses für die Theater kommt vom Land. Und wenn man einem Minister gegenübertritt, dann ist man nur eine Position in dessen Glasperlenspiel aller Theaterangebote im Land. Das gilt es zu verstehen. Ich bin sehr für strategische Partnerschaften.
Allerdings ist es nicht die Kernaufgabe von Theater, wie es in Mecklenburg-Vorpommern seitens der Politik immer stärker eingefordert wird, kulturelle Bildung zu vermitteln. Diese Alphabetisierungsleistung, die dem Theater-Erlebnis vorausgehen müsste, ist Aufgabe der Schulen, die dies aus verschiedenen Gründen leider immer weniger leisten können.
Dafür darf man überlegen, was die Bühnen Sachsen-Anhalts gemeinsam beitragen können, um Theatererlebnisse in der Fläche zu ermöglichen. Auch um den Menschen das Gefühl zu geben: Ihr seid nicht verlassen. (mz)