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Stadtteil Dautzsch Stadtteilserie Halle (Saale): Dautzsch war einst die Rettungsinsel für Arbeitslose

Von Julia Rau 04.07.2017, 04:00
Das grün-weiße Vereinsheim ist der Nukleus des Ortes.
Das grün-weiße Vereinsheim ist der Nukleus des Ortes. Günter Bauer

Halle (Saale) - Wer weiß, ob Dautzsch ohne die Weltwirtschaftskrise zu dem herangewachsen wäre, was es heute ist. Denn eigentlich war Dautzsch eine Art Rettungsinsel für Arbeitslose mit anschließendem Kümmer-Dich-Lebensmodell. Als in den 1930er Jahren tausende Menschen nicht mehr in Lohn und Brot standen, verabschiedete die Politik 1931 eine Notverordnung: Das Reich gewährte ein Darlehen von 350.000 Reichsmark, damit 140 kinderreiche Familien ein Haus bekommen können und nicht nach Halle abwandern, wo ohnehin schon genug Arbeitslose wohnten.

Anfänge in Dautzsch: Arbeitslose Einwohner sollten sich ihre Siedlung selbst bauen

Die zukünftigen Einwohner sollten sich selbst eine Siedlung bauen und später dort Wurzeln schlagen. Die Idee: Arbeitslose werden so wieder an die Arbeit herangeführt und die Arbeitstätigen können sich neben ihren wegen der Krise verkürzten Arbeitszeiten noch der Gartenarbeit und Viehzucht widmen, um ihre Familie selbst zu versorgen. Je kürzer die Arbeitstage werden, umso dringender wird es, den Rest der Zeit für die eigene Versorgung mit Essen zu nutzen. Der Staat half, damit sich jeder künftig selbst helfen konnte.

2.000 Reichsmark pro Siedlerstelle machten Regierung und Stadt dafür locker, 500 Reichsmark bekamen die Bewohner obendrauf als Startkapital, etwa um Hühner zu kaufen oder einen Kaninchenstall einzurichten. Am 17. April 1932 begannen die vom Wohlfahrtsamt ausgewählten zukünftigen Bewohner, unter Anleitung zunächst 58 Doppelhäuser zu errichten.

Anfänge in Dautzsch: Fließendes Wasser gab es in den Häuschen nicht

Die kleinen Gebäude wurden aus Schlackebeton in Form gegossen und danach innen ausgebaut. Fließendes Wasser gab es nicht und die Zimmer waren klein gehalten. Die unterkellerte Wohnküche wurde etwa nur mit 18 Quadratmetern bemessen, die beiden Schlafzimmer je mit etwa zehn Quadratmetern. Gerechnet wurde mit zwei Erwachsenen und vier Kindern.

Wer mehr als vier Kinder hatte, konnte sich später unterm Dach ein drittes Zimmer ausbauen. 2.000 Arbeitsstunden waren pro Siedlerstelle eingeplant. Schon in wenigen Monaten sollte der Kern von „Dautzsch“ fertig sein. Zeitzeugenberichte zeichnen das Bild einer Gemeinschaft in Aufbruchsstimmung und Arbeitseifer. Wer in welches neue Haus ziehen durfte, wurde am Ende ausgelost. Ein Geniestreich, denn unter diesen Umständen arbeiteten die Siedler an jedem Haus gleich sorgfältig.

Bis zum Herbst 1932 stand der Rohbau für das letzte Haus mit Stall auf einem der 1.000 Quadratmeter großen Grundstücke. Dautzsch konnte beginnen. Saatgut, Dünger und Obstbäume bekamen die Siedler anfangs gestellt.

Stadtteil Dautzsch: Das ist daraus geworden

Aus den Kindern und Enkeln der krisengebeutelten Dautzscher Siedler sind selbstbewusste Heimatromantiker geworden. Zu ihnen gesellen sich seit Jahren immer mehr Neu-Dautzscher. Der Ort wächst seit Jahren stetig, seit der Wende um satte 50 Prozent. In freiwerdende alte Häuser ziehen meist die Kinder der „alten Dautzscher“. Gerade sprießt der Ort außerdem westwärts. Im Flachsweg und Haferweg stehen Neubauträumchen, im Hanfweg bauen neue „Zugezogene“ noch an modernen Fünf-Zimmer-Domizilen. „Dautzsch ist gerade sehr beliebt“, weiß Heidrun Theuerkorn, „sehr viele Familien ziehen hier her“.

An einen unendlichen Boom glaubt sie nicht. Sie hält es für unwahrscheinlich, dass demnächst noch weitere Baugebiete von der Stadt hier ausgewiesen werden. Theuerkorn ist Vorsitzende der Wohngemeinschaft. Wenn der SV die Freizeitabteilung ist und die Antennengemeinschaft für die Technik zuständig, dann ist die Wohngemeinschaft das Management. Der Verein mit 80 Mitgliedern setzt sich für die Einwohner ein, trägt Anliegen im Rathaus vor, etwa zum Straßenbau, Beleuchtung oder Busanbindungen. Darüber hinaus organisieren die Mitglieder Feste und Kulturabende. „Zuletzt haben wir einen Spielplatz bekommen, dafür haben wir acht Jahre gekämpft“, sagt Theuerkorn.

Dass nicht allzu viele neue Zugezogene in den etablierten Vereinen aktiv sind, findet sie zwar schade, hat aber Verständnis: „Ist doch klar, wenn man ein Haus gekauft hat oder baut und noch arbeiten geht, dann ist die Zeit knapp“, so Theuerkorn, die sich selbst auch als „Zugezogene“ beschreibt - nach über 25 Jahren hier. (mz)