Stadtteil Tornau Stadtteil Tornau: Die Gallier von Halle

Halle (Saale) - Ein laues Sommerlüftchen fegt über die staubige Schotterpiste, die sich von Nord nach Süd durch Tornau zieht. „Rosenwinkel“ steht auf dem Straßenschild. Rosenwinkel in 06118 Halle-Tornau. Dass die Adresse in dieser Form aber jemals als Absender auf einer Postkarte stehen wird, ist höchst unwahrscheinlich.
Der Stadtteil Tornau ist schon lange eingemeindet. Doch viele Einwohner scheinen die Kernstadt nicht zu brauchen. Kein Wunder, denn in dem beschaulichen Ort lässt es sich gut aushalten.
Das liegt nicht daran, dass es in Tornau keine Postkarten zu kaufen gibt. Sondern daran, dass die Tornauer wohl entweder Tornau oder Halle als ihren Wohnort angeben würden. Beides gleichzeitig? Nicht mit den stolzen Tornauern, die ein bisschen an die widerspenstigen Gallier aus den Asterix und Obelix-Comics erinnern.
Viele Tornauer haben mit Halle nicht viel am Hut
Wir befinden uns im Jahre 67 nach der Eingemeindung Tornaus in die Stadt Halle. Ganz Tornau fühlt sich der Händelstadt zugehörig. Ganz Tornau? Nein! Auch mehr als ein halbes Jahrhundert danach haben manche Tornauer mit Halle nicht viel am Hut.
Und so stehen Edelgard Schaaf und Silvia Filber, beide in Tornau aufgewachsen, am „Rosenwinkel“ und diskutieren, was sie eigentlich sind. „Wenn ich gefragt werde, wo ich herkomme, sage ich: aus Tornau“, sagt Silvia Filber. „Und ich sage, ich komme aus Halle-Tornau“, sagt Edelgard Schaaf und fügt hinzu: „Wir sind schon irgendwie ein bischen vergessen. Seeben und Lettin zum Beispiel sind auch eingemeindet und besser dran, etwa was die Straßen betrifft“. Der staubige Rosenwinkel mag ihr Recht geben, aber ansonsten macht Tornau nicht gerade den Eindruck eines vergessenen Stadtteils.
Stadtteil Halle-Tornau: Fast alle Häuser sind in einem gepflegten Zustand
Alles ist hell, fast alle Häuser sind in einem gepflegten Zustand, die Straßen sind frei von Müll und im Zentrum wurde vor einigen Jahren der Dorfteich aufwendig renoviert. Rosafarbene Seerosen treiben auf dem Wasser und ein bunt lackiertes Häuschen bietet Unterschlupf für eine Chinesische Laufente, die am Teich wohnt. Einige Tornauer lebten und leben in historischen Gebäuden, wie Edelgard Schaaf, die früher in einem Teil eines Vierseithofs wohnte und sich noch genau an einen Sommertag im Jahr 1976 erinnert.
„Damals ist der Blitz in die Scheune eingeschlagen und das Gebäude ist abgebrannt.“ Die Tiere waren zum Glück in Sicherheit aber Pech für Schaaf war der Tag, an dem der Brand in Tornau wütete. „Es war der 13. August, der Tag des Mauerbaus. Die Polizei dachte das wäre ein Anschlag aus Protest gegen den Mauerbau.“ Die Scheune ist bis heute nicht wieder aufgebaut, dafür hat ein Sammler im alten Kuhstall ein Teddybär-Museum eröffnet.
Wohnblock aus DDR-Zeiten ärgert Tornau
Wermutstropfen ist dagegen ein Wohnblock aus DDR-Zeiten, an dem alle vorbei müssen, die vom Autobahnzubringer zur Baumschule von Ingo Schauer fahren. Das sind übrigens auch Kunden aus dem anderen, dem „echten“ Halle. Der Wohnblock jedenfalls ist nur zu einem Drittel renoviert. Auf der einen Seite sind moderne Fenster eingebaut, auf der anderen, mittlerweile unbewohnten Seite noch die Originalverglasung. Vielleicht ist der Block ja tatsächlich vom Bauherren vergessen worden.
Ganz sicher vergessen hat man, da ist sich Ingo Schauer sicher, dass die wenigen Betriebe in Tornau auch eine gute Internetverbindung brauchen, um arbeiten zu können. „Das Internet fehlt sehr. Wir haben eine 3.000er-Leitung und das ist für uns eine Katastrophe“, sagt Schauer. Er müsse sich auf eine schnelle Verbindung verlassen können, um die Geschäfte mit Großkunden abwickeln zu können. Wenn in Tornau nachgebessert würde, so wie in anderen Stadtteilen, wäre das schon gut. Schließlich gehöre Tornau doch zu Halle.
Tornau hat sich in den Jahrzehnten immer wieder verändert
Tornau hat sich in den Jahrzehnten immer wieder verändert, erzählen die beiden Frauen. Ein gelbes Haus am Teich mit der Laufente sei erst Tante-Emma-Laden gewesen, dann Konsum, dann Post und jetzt Wohnhaus. In der Schule, in der Edelgard Schaaf eingeschult wurde, wohnen nun Menschen, genauso wie in der früheren Kneipe.
Nicht nur die Gebäude, auch die Wirtschaft erlebte in Tornau einen großen Wandel. Auf dem Gelände der heutigen Baumschule baute das Volkseigene Gut (VEG) bis zur Wende Äpfel, Kirschen und Johannisbeeren an. 1992 musste der Betrieb schließen. Viele Tornauer verloren ihre Arbeit. „Als wir mit der Baumschule angefangen haben, haben alle gesagt, wir sind verrückt. Alle Landwirtschaft ging den Bach runter und wir fangen neu an“, erinnert sich Ingo Schauer. Tornau sei seitdem eigentlich kein Dorf mehr. Die Bauernhöfe wurden aufgelöst, Tornau wurde zum Wohnort für Menschen, die in Halle oder anderswo arbeiten. Mit Landwirtschaft habe das alles eigentlich nichts mehr zu tun.
Auch die Autobahn 14, die nur ein paar hundert Meter entfernt vorbeiführt, hat den Ort verändert. „Man hört sie 24 Stunden am Tag“, sagt Silvia Filber. „Das ist einer der Minuspunkte, aber missen will ich sie auch nicht.“ (mz)