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Stadtteil Lutherplatz/Thüringer Bahnhof Stadtteil Lutherplatz/Thüringer Bahnhof: Generationen im andreaskreuzförmigen Viertel

Von Silvio Kison 21.11.2017, 06:00
Angelika Lange vor dem Friseursalon in der Lauchstädter Straße.
Angelika Lange vor dem Friseursalon in der Lauchstädter Straße. Andreas Stedtler

Seit 1939 betreibt die Familie Lange in der Lauchstädter Straße einen Friseursalon - und das bereits in der dritten Generation. In dem von 1927 bis 1929 entstandenen Viertel um den Lutherplatz ist das Geschäft eine Instanz, bis heute. Dennoch hat sich auch hier viel verändert. Nicht nur der Salon der Familie ist ein paar Häuser weitergezogen - auch viele Nachbarn sind weggezogen oder bereits gestorben.

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vor: hier Lutherplatz/Thüringer Bahnhof.

„Bis 2007 waren wir in einem Kellergeschäft neben dem Capitol“, sagt Angelika Lange. Nur ein paar Häuser weiter, in die Lauchstädter Straße 21, sind sie damals gezogen. Die 72-Jährige steht seit ihrer Jugend in dem Geschäft. „Ich habe zusammen mit meinen zwei Schwestern das Handwerk von meinem Vater gelernt“, sagt sie.

Tochter steigt in den Familienbetrieb ein

Die beiden Schwestern blieben allerdings nicht - Angelika Lange schon. 1963 begann sie bei ihrem Vater die Lehre zur Friseurin, übernahm nach seinem plötzlichen Tod 1982 die Geschäfte. „Ich musste dann meinen Meister machen, um weiterarbeiten zu können“, erinnert sie sich.

Das Geschäft aufzugeben kam für sie nie in Frage. Auch heute noch steht sie ein paar Stunden in der Woche im Laden - auch wenn sie bereits seit 2003 die Geschäfte an ihre Tochter Sandra Gernert-Lange übergeben hat. Die wollte als Kind zwar noch Tierärztin werden: „Am Ende aber habe ich mich dazu entschieden, in den Familienbetrieb einzusteigen“, sagt die 46-Jährige. Bereut habe sie das nie.

Lauchstädter Straße war zu DDR-Zeiten noch eine wahre Einkaufsstraße

Während sich das Geschäft der Familie weiterentwickelt hat, hat sich auch das Viertel um den Friseursalon verändert. „Früher haben die Kunden Schlange gestanden, um sich die Haare schneiden zu lassen“, sagt Angelika Lange. Damals, zu DDR-Zeiten, war die Lauchstädter Straße noch eine wahre Einkaufsstraße: „Wir hatten einen Lebensmittelladen, einen Fleischer, Bäcker, Schuster, eine Tischlerei und sogar einen Polsterer in der Nachbarschaft“, erinnert sich Angelika Lange.

Der Friseurladen war damals ein geselliger Treffpunkt. „Viele kamen, unterhielten sich und tauschten Neuigkeiten aus. Manche brachten sogar Kaffee und Kuchen mit“, sagt sie. Ein schöne Zeit. Manche hatten sogar ihre eigenen Friseurzeiten, zu denen sie gemeinsam mit ihren Freunden kamen, um sich die Haare schneiden zu lassen und die Zeit dazwischen zu nutzen, um sich zu unterhalten.

Lutherplatz/Thüringer Bahnhof: Das andreaskreuzförmig geplante Stadtviertel

Das andreaskreuzförmig geplante Stadtviertel war eigentlich nicht als Arbeiterviertel geplant. Die vom Architekt Wilhelm Freise entworfenen drei- bis viergeschossigen Putzbauten mit den markanten Dreieck-Erkern, Stufengiebeln und Art-Deco-Elementen zogen allerdings viele Arbeiterfamilien an - vor allem weil es damals noch viel Industrie in der Umgebung gab. „Es lebten viele junge Familien hier“, sagt Angelika Lange. Ursprünglich für die höheren Beamten der Bahn und Post gedacht, war das Viertel am damaligen Stadtrand sehr beliebt.

Ab 1933 mischte die NSDAP bei der Wohnungsvergabe mit und sortierte nach „erbgesund“ und „politisch einwandfrei“. Eigentlich war geplant, die Anlage auf der anderen Seite des Lutherplatzes zu spiegeln, doch dann kam der Krieg. Und mit ihm die Not. Der „Bauverein für Kleinwohnungen“ erlaubte den Mietern die Nutzung der Innenhöfe zur Eigenversorgung.

Lutherplatz/Thüringer Bahnhof: Heute ist das Viertel ein klassisches Wohngebiet

Heute ist das Viertel ein klassisches Wohngebiet. Das Selbstverständnis der Langes ist in all den Jahren gleichgeblieben: „Wir sind ein Familienfriseur“, sagt Angelika Lange stolz. Und auch wenn die Jungen oft wegen der Arbeit wegziehen müssen - den Generationswechsel gibt es immer noch: „Oft kommen Oma und Opa mit den Enkelkindern zu uns, die dann später auch mit ihren Kindern noch kommen“, sagt sie.

An die älteste Kundin erinnern sich die beiden Frauen genau: „Wir hatten eine Frau, die bis sie 98 war regelmäßig zu uns kam“, sagt Lange. Als die Frau ins Altersheim kam, besuchte Angelika Lange sie regelmäßig dort, um ihr die Haare zu schneiden.

Ob auch die vierte Generation die Geschäfte übernimmt?

„So was kommt häufiger vor“, sagt Tochter Sandra. Wenn die Alten aus dem Viertel ins Altersheim gehen, dann wollen sie oft weiter von ihrem Friseur die Haare geschnitten bekommen. Und wenn die Stammkunden den Weg zu Langes nicht mehr selbst schaffen, wird eben geholfen: „Wir holen sie zu Hause ab und bringen sie wieder zurück“, sagt Tochter Sandra, die bis heute den Salon so führt, wie es schon ihr Opa und ihre Mutter getan haben - mit viel Liebe und einem offenen Ohr für ihre Kunden.

Ob auch die vierte Generation die Geschäfte übernimmt, ist noch unklar. „Ich gehe aber davon aus, dass sie nicht ins Familiengeschäft einsteigen, wenn sie älter sind“, so Lange. Bis dahin ist Zeit, und die 72-Jährige wird ihren Kunden noch eine Weile erhalten bleiben: „Ich mache noch so lange weiter, wie es geht und es mir Spaß macht“, sagt sie. (mz)