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Stadtteil Kanena/Bruckdorf Stadtteil Kanena/Bruckdorf: Griff nach den Sternen

Von Detlef Färber 09.11.2018, 16:46
Der Vereins-Chef und sein ganzer Stolz: der alte Zeiss-Projektor ZKP1, Baujahr 1962.
Der Vereins-Chef und sein ganzer Stolz: der alte Zeiss-Projektor ZKP1, Baujahr 1962. Silvio Kison

Halle (Saale) - Normalerweise ist ein Dorf der Inbegriff von Bodenhaftung und Verwurzelung - was allein schon der Landwirtschaft geschuldet ist. Und auch wenn stadtnahe Orte schon seit Jahrzehnten eingemeindet sind, bewahren sie doch oft ihr dörfliches Flair und zumindest die Alteingesessenen etwas von ländlicher Mentalität. Zu der gehört auch der sprichwörtliche Blick "über die eigene Kirchturmspitze hinaus", der viele "Dörfler" zugleich zu Weltbürgern macht - oder machen kann.

Im halleschen Vorort-Dorf Kanena hat besagter Blick über die Kirchturmspitze freilich auch ein paar extrem weit entfernte Ziele - dank einem Verein, der Deutschlands ältestes Schulplanetarium samt Sternwarte unter sein Fittiche genommen hat. Und diesen Verein namens "Astronomische Station Johannes Kepler Kanena" wiederum hat vor neun Jahren der Hobby-Astronom Detlef Fliege unter seine Fittiche genommen - und leitet ihn als Vorsitzender. Der 58-Jährige, der im nahen Lochau wohnt, hat damit auch ein aufsehenerregendes Werk übernommen, das auf Halles "Astronomie-Legende" Karl Kockel zurückgeht.

Dem Gründer dankbar

Der vor zwei Jahren im Alter von 89 Jahren verstorbene einstige Lehrer an der inzwischen geschlossenen Schule von Kanena hatte den Bau von Sternwarte und Planetarium einst initiiert. Denn wie so oft hängen außergewöhnliche Projekte (vor allem anfangs) meist am Enthusiasmus und Durchsetzungswillen eines Einzelnen - oder einiger Weniger. Kockel war 1957 Schuldirektor in Kanena geworden und hatte angesichts der ersten russischen Raumfahrtmissionen wie der von Juri Gagarin von 1961 Feuer für die Sternkunde gefangen.

Er studierte nebenbei Astronomie und baute zunächst ins Dachgeschoss der Schule, in der er selber wohnte, eine erste Sternwarte, überzeugte dann Entscheidungsträger in der Stadt, begeisterte seine Schüler und deren Eltern und sorgte auch dank der in den 1960er Jahren herrschenden Raumfahrt-Euphorie dafür, dass - im Rahmen des "Nationales Aufbauwerk" (NAW) genannten DDR-Bauprogramms - seine Pläne einer kompletten Astronomischen Station verwirklicht werden konnten. Dieser Griff nach den Sternen vom Dorf aus blieb freilich auch für Kockel nicht folgenlos, denn in den Siebzigern avancierte er zum Gründer und Chef des großen Peißnitz-Planetariums.

Für den Kanenaer Verein wurde es in der Zeit nach der Einheit schwierig

Für den Kanenaer Verein wurde es in der Zeit nach der Einheit schwierig. Um das Planetarium überhaupt zu erhalten, ist der Verein, der im April sein 20-jähriges Bestehen feiert, einst gegründet worden. Inzwischen gehen auch die Arbeiten voran: Das Planetarium ist von der Westseite her saniert und mit neuen Fenstern und einer neuen Eingangstür versehen. Auch die Sternwarte jenseits der Dorfstraße hat - den Spendern sei Dank - inzwischen eine neue Tür. Doch nur dabei soll es nicht bleiben, wie der Vereins-Chef verrät - denn: "Unser nächstes Ziel ist es, unsere kleine Sternwarte wieder auszustatten und sie in Betrieb zu nehmen", sagt Detlef Fliege: Ähnlich in Betrieb zu nehmen, wie es beim Planetarium ja gelungen ist.

Das ist - nicht nur der Größe wegen - ein echtes Kleinod. Der Innenraum atmet etwas von guter alter Schulatmosphäre: Bankreihen, die Platz für 60 Besucher bieten, und Geräte - ein paar alte Globen, die Sternzeichen/Tierkreiszeichen sind auf die Wände der den Rundsaal umspannenden Tafeln aufgemalt. Und das Schmuckstück für Fliege wie für die anderen Vereinsmitglieder ist der schon ein gutes Lebensalter alte Zeiss-Projektor aus dem Jahr 1962.

Stadtteil Kanena/Bruckdorf: 5.000 Sterne sichtbar

Allein schon ihn Aktion zu sehen, ist ein Erlebnis: Teils wird er mit der Hand gedreht, teils ist die elektrisch betriebene Mechanik hörbar. So können bis zu 5.000 Sterne unterschiedlicher Größe sichtbar werden. Heutzutage sieht man es Geräten von außen ja nicht mehr an, welchen Wert sie repräsentieren. Und bei ihrer oft ähnlichen und gleichförmigen optischen Anmutung ist oft nicht zu ahnen, welches Know-how und welche Präzisionsarbeit in ihnen steckt. Angesichts dessen übt der Umgang mit einem Großgerät wie dem Projektor von Kanena, der wie ein Kunstwerk wirkt, für Wissenschafts- und Technik-Enthusiasten einen ganz eigenen Reiz aus.

Apropos Enthusiasten: Vereins-Chef Detlef Fliege zählt sich auch zu diesen, denn beruflich hat der einstige Schienenfahrzeugmeister in Ammendorf, der jetzt in der Arbeitsvorbereitung in Leuna tätig ist, eher nichts mit den Sternen zu tun. Ein Grund mehr, in der Freizeit mal nach den Sternen zu greifen - und diese Leidenschaft auch anderen, Jüngeren, zu vermitteln.

Unser nächstes Ziel ist es, unsere kleine Sternwarte wieder auszustatten und sie in Betrieb zu nehmen. (mz)