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Stadtteil Glaucha Stadtteil Glaucha in Halle (Saale): Postkult-Verein sorgt hier für kleine Wunder

Von Silvio Kison 14.11.2017, 06:00
Aktiv bei Postkult dabei (v.l.n.r:): Esvavil Balai, Renate Schramm und Jens Wulfänger.
Aktiv bei Postkult dabei (v.l.n.r:): Esvavil Balai, Renate Schramm und Jens Wulfänger. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Im Jahr 2010 war das kleine Glaucha auf einmal deutschlandweit in aller Munde. Überall sprach man vom „Glaucha-Effekt“. Der Grund: Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2010 waren viele Häuser saniert worden. Und immer dabei waren die Mitstreiter des Vereins Postkult, die sich seit vielen Jahren in dem Viertel engagieren und in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiern.

Verein Postkult engagiert sich im Glaucha-Viertel in Halle (Saale) - und hat viel bewegt

Knapp 40 aktive Mitglieder zählt Postkult derzeit. „Wir arbeiten alle ehrenamtlich im Verein“, sagt Jens Wulfänger. Der 39-Jährige ist seit drei Jahren dabei und derzeit im Vorstand des Vereins aktiv. Die Mitglieder haben in den vergangenen Jahren viel im Viertel bewegt: So entstand im Sommer 2009 im Rahmen eines internationalen Workcamps aus einer tristen Baulücke in der Torstraße 31 der heute noch genutzte Stadtgarten. „Das Gelände steht im Sommer offen und jeder kann kommen“, sagt Wulfänger. Auf einem Teil der Fläche wurden zahlreiche Beete angelegt, die von Interessierten gratis genutzt werden können. Für die Nutzung muss man sich allerdings vorher anmelden. „Wir wollen damit einen Raum bereitstellen, um miteinander ins Gespräch zu kommen“, so der 39-Jährige.

Stadtteil Glauche mit bewegter Geschichte: Warum das Viertel vor vielen Jahren die Kneipenmeile von Halle (Saale) war

Dabei hat sich der Verein in einem Stadtteil niedergelassen, der eine bewegte Geschichte hinter sich hat: Glaucha war früher eine kleine Amtsstadt vor den Toren von Halle, deren Ursprünge bis in das siebente Jahrhundert zurückreichen. So wurde zum Beispiel die Glauchaer Kirche Sankt Georgen erstmals 1121 urkundlich erwähnt. Ab dem Jahr 1231, als das Zisterzienserinnenkloster Marienkammer gegründet wurde, geriet der Ort in immer stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit.

Das Kloster, das nach und nach alle größeren Ländereien erwarb, beschäftigte kurz vor der Reformation die meisten der Glauchaer Bürger auf seinen Gütern. Als nach der Reformation fast der gesamte Klosterbesitz an die Stadt Halle überging, gewährte man den Glauchaern freies Brannt-, Schank- und Marktrecht, um sich ernähren zu können, woraufhin Glaucha in kurzer Zeit zur Kneipenmeile Halles avancierte. So wundert es kaum, dass die Stadt schnell in Verruf geriet: Mitte des 17. Jahrhunderts soll es bei rund 200 Häusern nach Aufzeichnungen von August Hermann Francke 37 Wirtshäuser gegeben haben. Seit dem 31. Oktober 1817 gehört Glaucha zu Halle.

Stadtteil Glaucha in Halle (Saale): Das hat sich hier in den vergangenen Jahren getan

Heute sind in den gründerzeitlichen Straßen in Glaucha nach der Sanierungswelle die Veränderungen unübersehbar. Damals waren insgesamt 70 Häuser marode. Fast alle gehörten zu den 260 einst prächtigen Gründerzeithäusern im kleinen Quartier. Der Leerstand in dem traditionell eher verrufenen Viertel lag bei 30 Prozent. Viele Häuser wurden unter anderem mit Hilfe von Stadtumbau-Mitteln saniert. Rund drei Millionen Euro Fördermittel von Bund und Land haben dann rund 30 Millionen Euro private Investitionen der Hausbesitzer angeschoben.

Halle hat mehr als 60 Stadtteile, Viertel und Stadtquartiere. Wir stellen alle vor: hier Glaucha.

Aber auch die Mitglieder des Vereins Postkult waren in den vergangenen Jahren nicht untätig: Neben dem Stadtgarten haben sie im Böllberger Weg 5 seit 2011 in unzähligen Arbeitsstunden aus einem maroden Haus ein Vereinsgebäude gemacht. In dem Haus ist neben anderen Projekten auch der bekannte Umsonstladen des Vereins untergebracht. „Bis zu fünf Teile kann man bei uns umsonst mitnehmen“, sagt Renate Schramm. Seit vier Jahren ist sie bei Postkult dabei und engagiert sich vor allem im Umsonstladen.

Stadtteil Glaucha in Halle (Saale): Beim Umsonstladen bekommen alte Dinge einen neuen Besitzer

Die angebotenen Waren reichen von Klamotten bis hin zu Schulranzen, Spielzeug und Elektroartikel. „Wir bekommen viele Spenden“, sagt Barbara Nagel, die seit einem Jahr ebenfalls ehrenamtlich im Umsonstladen hilft. Dabei steht vor allem der Recyclinggedanke im Vordergrund: „Zu uns kommen viele Menschen, die einfach etwas gegen das Wegwerfen von noch nutzbaren Dingen haben“, sagt Renate Schramm.

Daneben richte sich das Angebot aber auch an Bedürftige sowie Migranten, die sich so günstig eine Erstausstattung zusammenstellen können. Denn wer mehr will, als die vorgegebenen fünf Einzelteile, zahlt für jedes weitere zehn Cent. „Mit dem Geld können wir Holz und Kohle für den Ofen kaufen, den wir im Winter im Laden benutzen“, fügt Barbara Nagel hinzu.

Neben dem Umsonstladen betreibt der Verein aber auch eine Fahrradwerkstatt, in der man kostenlos sein Fahrrad reparieren kann sowie einen eigenen Veranstaltungsraum, den auch die Anwohner für Feiern mieten können oder in dem regelmäßig Veranstaltungen wie das Fahrradkino stattfinden. „Wir geben mit unserem Verein eine Struktur vor, in der sich verschiedene Initiativen engagieren können, die sich um soziokulturelle Belange kümmern“, sagt Jens Wulfänger. Dabei leben die Projekte natürlich immer von der Mitarbeit der Ehrenamtlichen. „Wir sind immer präsent und ansprechbar im Viertel und bieten so den Freiraum, Ideen zu entwickeln und umzusetzen“, so der 39-Jährige. Dabei gehe es den Mitgliedern vor allem darum, das, was sie anbieten, gut zu machen.