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Stadtgeschichte Halle Stadtgeschichte Halle: Wie die Torstraße vom Elendsviertel zum Wissenschaftsstandort wurde

Von Detlef Färber 04.05.2015, 12:41
Wie ein halber Torbogen wölbt sich das Grün über Glauchas Südtangente. Das muss ein gutes Omen sein für die Torstraße.
Wie ein halber Torbogen wölbt sich das Grün über Glauchas Südtangente. Das muss ein gutes Omen sein für die Torstraße. Silvio Kison Lizenz

Halle (Saale) - Von einer Zeit, als Stadttore noch verschlossen wurden und von Stadtmauern umgeben waren, künden Namen wie Steintor, Leipziger Tor oder Torstraße. In Halle sind sie aber auch Beispiele dafür, wie die Stadt ihre alten Fesseln gesprengt hat. Und wie dann - etwa in der Gründerzeit - auch vor den einstigen Toren richtig die Post abging. Genau von solch einer Entwicklung durfte auch ein Mädchen aus sehr armen Verhältnissen profitieren, das vor ziemlich genau 88 Jahren in der Torstraße geboren wurde.

Dort, wo das Geburtshaus von Margot Honecker stand, ist heute ein Supermarkt-Parkplatz. Von da fällt der Blick über die Straße direkt auf eine Baulücke, in der ein Stadtgarten des „Postkult“-Vereins eingerichtet ist: Ein bunt, lebendig und unkonventionell, ja sogar etwas wild wirkender Ort. Ein Ort, der für alles das steht, wogegen das Mädchen Margot von schräg rüber später als ranghohe Kommunistin erbittert kämpfen und rücksichtslos, ja gnadenlos vorgehen sollte.

Ort der Gegensätze

Ein Ausgangpunkt für Kämpfe und ein Ort schroffer Gegensätze war Glaucha immer schon. Gegen die Meile der Freudenhäuser und Elendsquartiere vor den Toren Halles kämpfte bereits August Hermann Francke. Vor über 300 Jahren begann er hier als Glauchaer Pfarrer, ein weltweit beispielhaftes Waisenhaus zu bauen. Doch ein Ort der Gegensätze ist sein Glaucha immer noch. Als hoffentlich künftiger Welterbe-Ort einerseits - und anderseits als ein Ort, der sich besonders schwer damit tat und noch tut, die ruinösen Folgen der Honecker-Epoche zu überwinden.

Wie schwer das gerade in der Torstraße war, wissen wenige so gut wie Ines und und Daniel Dähne. Die heutigen Inhaber des Hotels „Esprit“ haben das Haus in den 80er Jahren übernommen, als es Daniels Dähnes Großmutter misslungen war, das Haus Torstraße 7 für nur 4.000 Ostmark zu verkaufen. Das geschah in einer Zeit, als viele Hausbesitzer in der DDR (zum Teil vergeblich) versuchten, ihre Häuser, die sie finanziell zu ruinieren drohten, an die jeweilige Stadt zu verschenken. Dähnes Oma wollte ihr Haus dann aber doch lieber ihrem Enkel „vermachen“ - und hatte Glück, dass der die Verpflichtung der Familientradition spürte und seine „Chance“ nutzte.

Weniger als 50 Ostmark Miete pro Monat

Doch was war das für eine Chance - auf der Zielgeraden der DDR?! Als der Wohnraum noch zwangsbewirtschaftet war, und die Mieten unter 50 Ostmark pro Monat lagen! Es habe eine Auflage der Stadt gegeben, das Haus zu renovieren, erzählen Dähnes. Und gleich im Anschluss den wieder entstandenen Wohnraum zwecks (zentralistisch gesteuerter) Vermietung freizumelden! Denn eine Eigennutzung durch den neuen und noch sehr jungen Besitzer, der ja bei seinen Eltern in Neustadt ein Kinderzimmer hatte, kam aus Sicht der Wohnungspolitik in Honeckers Land selbstredend nicht in Frage.

Doch Probleme waren - auch in der Spätzeit der DDR - dazu da, gelöst zu werden. Am besten privat und unkonventionell! Dähnes wurden mit der Renovierung „einfach nicht fertig“, wohnten aber längst frisch vergnügt auf ihrer „Baustelle“, und gründeten hier nach der Wende Schritt für Schritt ihre Existenz. So entstand im Gewerberaum, der seit 1890 die „Fleischerei Gustav Schultze“ und später eine Sekundärrohstoff-Annahmestelle - kurz „Sero“ - beherbergt hatte, zunächst Dähnes Café „Esprit“, das sich dann Stück für Stück zum Galeriehotel auswuchs. Und zu einem der raren Orte für Kunstausstellungen und Lesungen hier in Halles „Nahem Süden“.

Wie der Umzug des Georg-Cantor-Gymnasiums die Torstraße veränderte, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Junge Leute zieht es in die Gründerzeithäuser

Einen echten Schub zum Guten hin hat die Torstraße rund ums Jahr 2010 bekommen, als im Zuge der Internationalen Bauausstellung (IBA) etliche Projekte und Sanierungen in Glaucha gefördert und vorangetrieben wurden. Seither ist wohl nicht mal in Halles Nobel-Innenstadtvierteln der Sanierungsgrad höher als hier - in Glauchas Prachtstraße. Und der Wermutstropfen? Einige großzügig geplante Hof- und Freiflächengestaltungen, auf die sich etliche Eigentümer bereits geeinigt hatten, seien letztlich im Ämter-Dschungel des Rathauses steckengeblieben, ärgert sich Daniel Dähne.

Doch anderseits gibt auch reichlich Grund zur Zuversicht in dieser Straße: Junge Leute ziehen hier - auch als Folge der IBA-Projekte - reihenweise zu und bevölkern die prächtigen Gründerzeithäuser. Eine gute Entscheidung, denn die Innenstadt liegt von hier aus in bequemster Fußwegentfernung, das Parkplatz-Elend ist weit weniger dramatisch als etwa im Paulusviertel, und als Geschäftsstraße liegt der Steinweg nur einen Steinwurf weit weg. Und auch die Saale, das Stadion und - als Musentempel - die „Schorre“ sind ganz nahe.

Jung-Genies aus Sachsen-Anhalt

Und noch ganz wichtig: Seit dem Umzug des Georg-Cantor-Gymnasiums aus Neustadt in die schmucke Torschule lernen die naturwissenschaftlichen Jung-Genies aus ganz Sachsen-Anhalt, dem vielzitierten Land der Frühaufsteher, hier in dieser Straße. Und räumen bei einschlägigen Bundes-Wettbewerben regelmäßig die Preise ab. Und weil sie Lust zum Lernen haben, hängen diese Frühaufsteher abends auch noch manche Mathe-Spätschicht hinten dran. Als kultiger und urgemütlicher Feierabend-Ort „Spätschicht“ empfiehlt sich anderen Glauchaern dagegen eine „Localität“, deren Name auch ironisch auf den verlogenen Proletarier-Kult in der Honecker-DDR anspielt.

Apropos Honecker: Wie mag Margot geborene Feist jetzt ticken? Die einstige Bildungsministerin zeige auch in der Spätschicht ihres Lebens - wie man hört - keine späte Einsicht. So begegnete sie etwa dem Thema Mauer-Tote eher mit Zynismus: „Die brauchten ja nicht über die Mauer zu klettern“ - wird die Ex-Bildungsministerin aus der Torstraße zitiert.

Wie man aber Tore zu neuen Welten mittels Bildung aufstoßen kann, trainieren die Cantor-Schüler rund hundert Meter östlich von Margots Geburtshaus. Welche neuen Welten das sein werden? Das hören wir hoffentlich später mal - in einer neuen Torstraße-Story. (mz)

Hotel-Chefs: Ines und Daniel Dähne
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In der Kultkneipe „Spätschicht“: Die Chefin Thurid Schiffner zapft selbst.
In der Kultkneipe „Spätschicht“: Die Chefin Thurid Schiffner zapft selbst.
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