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"Sprung meines Lebens" "Sprung meines Lebens": Ex-Boxweltmeister Graciano "Rocky" Rocchigiani will es nochmal wissen

Von Petra Szag 28.06.2018, 08:23
Ex-Wassersprungchampion Andreas Wels erklärt Ex-Boxchampion Graciano Rocchigiani, wie’s geht.
Ex-Wassersprungchampion Andreas Wels erklärt Ex-Boxchampion Graciano Rocchigiani, wie’s geht. E. Schulz

Halle (Saale) - Der Kaffee auf dem Tisch vor Graciano Rocchigiani ist mit Milch und ganz viel Zucker. Während der 54-Jährige den Pappbecher leert, steckt er sich die nächste Zigarette an. Als sich schließlich sein Handy meldet, würgt er den Anrufer auf eine Art und Weise ab, die alle anderen rundum zum Lachen bringt. „Ick kann jetzt nich“, berlinert der einstige Boxer mit seiner markant kehlig-tiefen Stimme am Telefon, „ick gebe jerade ein Interview. Im Osten - soweit iset schon mit mir gekommen!“

Rocchigiani ist bestens gelaunt. Er sitzt an diesem Mittwoch im Nordbad in Halle vor dem Imbiss. Bekleidet nur mit blauen Shorts und Turnschuhen in der gleichen Farbe. Die Augen sind versteckt hinter einer Sonnenbrille. Seine von dem martialischen Sport gezeichneten Hände ruhen auf dem Schoß. Bis schließlich sein erstes Spezialtraining losgeht und Rocchigiani sich übermütig vom Sprungturm stürzt - und dabei eine gute Figur abgibt, was den Zuschauern Respekt abnötigt.

Die Anfrage kam von Andreas Wels

Der „Sprung meines Lebens“ ist ein von Andreas Wels ins Leben gerufenes Promispringen. Am Samstag steigt bereits die dritte Auflage. In den letzten Wochen hat der Olympiazweite im Wasserspringen mit ehemaligen Topsportlern und kommunalen Politikern trainiert. Ob es etwas gebracht hat, davon können sich die Zuschauer ab 18 Uhr überzeugen. Los geht das Spektakel im Nordbad Halle allerdings schon um 10 Uhr - mit Wasserball - und anderen Duellen.

Freimütig erzählt Rocchigiani später, dass er früher Dauergast war im Berliner Bad am Olympiastadion. Sogar den Salto hatte er da drauf. „Aber det is mehr als 30 Jahre her.“ Dass er nun versucht, diese Art der Körperbeherrschung zu aktivieren, hat einen guten Grund. Der Hallenser Andreas Wels hat ihn gefragt, ob er mitmachen will am Samstag in Halle.

„Sprung meines Lebens“ heißt das Event an gleicher Stelle. Es ist ein von Halles einstigem Topathleten organisiertes Promispringen, das nun schon seine dritte Auflage erlebt. Er habe nicht lange überlegen müssen. „Es ist schließlich für einen juten Zweck“, sagt Rocchigiani und grient. „Ehe ick zu Hause rumsitze auf der Coach, kann ick auch was Gutes tun.“ Er will zeigen, dass es sich lohnt, seinen inneren Schweinehund zu überwinden.

Auch wenn Rocchigiani augenscheinlich zu denen gehört, die über sich selbst lachen können: Überwindung kostet es sicher auch ihn: Sich vor so vieler Augen mit nacktem Oberkörper in einer Sportart zu produzieren, in der er nicht die Sicherheit hat wie im Boxring.

Hoffen auf Casting-Show

Wenn Rocchigiani über seine Projekte erzählt, hat er diese Souveränität. Er spricht von einer Casting-Show. Seiner Casting-Show, bei der „the next Rocky“ gesucht wird. „Sport 1“ soll seine Idee aufgegriffen haben, erzählt er. Noch in diesem Jahr hofft Rocchigiani, wird sie umgesetzt. Auch an dem TV-Konzept ist er beteiligt.

Zudem kommentiert der Ex-Champion für ebendiesen Fernsehsender Boxkämpfe. Und er sagt nach wie vor, was er denkt. Freunde macht er sich damit nicht überall. „Wenn man dem Boxsport helfen will, dann sollte man ehrlich sein“, erklärt er. Als kürzlich Arthur Abraham trotz gruslig-schwacher Leistung von den Punktrichtern zum Sieger über den Dänen Patrick Nielsen erklärt wurde, konnte der einstige Champion seinen Unmut nicht zurückhalten. Warum auch sollte er? Der Mann hat ja nichts mehr zu verlieren.

Rocchigiani, das ist bekannt, hatte früher einmal alles gehabt. WM-Titel. Fette Gagen. Doch sein unstetes Leben auf der Überhol- und manchmal sogar neben der Spur hat seinen Tribut gefordert. Drogen, Skandale, Alkohol, Frauen, ja sogar Gefängnisstrafen - das alles hat dazu geführt, dass der Berliner mit italienischen Wurzeln alles auch wieder verloren hat.

Schlachten nicht nur im Ring

Doch Rocchigiani ist auch ein Stehaufmann - die Verniedlichungsform verbietet sich in seinem Fall von selbst. „Ich habe Fehler gemacht“, hat er früher schon zugegeben. Aber er hat sich davon nicht unterkriegen lassen. Weder zu seiner Aktivenzeit, als er sich sowohl gegen Henry Maske (1995) als auch Dariusz Michalczewski (1996) um seine Titel betrogen fühlte.

Und auch nicht später, als er sich einen vakanten Titel erkämpfte, der ihn nur deshalb wieder aberkannt wurde, weil er angeblich gar nicht vakant gewesen war. Die Schadensersatzklage hatte Erfolg. Ein US-amerikanisches Gericht hatte ihm zwar Recht gegeben und 31 Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen. Pech nur, dass der Weltverband WBC daraufhin Insolvenz angemeldet hat - was Rocchigiani zur tragischen Figur des Boxsports machte.

Darüber aber will der Mann mit dem vom Boxen und auch den vielen Schlachten außerhalb des Seilgevierts gezeichneten Gesicht gerade nicht sprechen. Auch dass sein Boxtrainingscenter in Duisburg nicht überlebt hat und sein Boxstall „Rocchigiani-Boxpromotion“ schon nach wenigen Monaten das Handtuch werfen musste, ist für ihn logischerweise kein erfreuliches Gesprächsthema. Die Familie? „Ist privat“, bleibt er defensiv. Und seine erste Schauspielrolle? „TNT“ heißt der Kurzfilm aus Österreich, in der er die Hauptrolle übernommen hat. Rocchigiani spielt da einen abgetakelten Boxer in Wien, der dann nochmal einen Kampf macht und sich bestechen lässt. „Dat war mal was anderes und hat auch Spaß gemacht“, sagt Rocchigiani.

Neue Freunde gefunden

So wie sein Trip nach Halle. Übrigens: Dass er seine großen Profikämpfe meist im Westen Deutschlands gemacht hat, sei reiner Zufall gewesen. „Immerhin habe ich auch in Berlin geboxt und ganz früher als Amateur in Schwerin.“

Die Menschen, die er jetzt hier kennengelernt hat, sind sehr nett, versichert er. Im Beisein anderer Promispringer wie Schwimmweltmeister Paul Biedermann oder Eishockeyspieler Kai Schmitz bewegt sich der Boxer gänzlich ungezwungen, so als kenne man sich schon ewig. Und witzelt auch gleich wieder.

Er ist eben eine echte Type, dieser Graciano Rocchigiani. (mz)

Graciano Rocchigiani (l.) im legendären Duell mit Henry Maske 1995
Graciano Rocchigiani (l.) im legendären Duell mit Henry Maske 1995
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