Aus Mangel an Fachkräften: So will Halle um Arbeitskräfte kämpfen
Die Stadt hat sich mit Akteuren zusammengeschlossen, um Arbeitnehmer in der Region zu halten. Dabei will man über den Tellerrand schauen.
Halle (Saale)/MZ - Manchmal trägt der Zufall dazu bei, dass besondere Termine durch andere Ereignisse noch mehr Symbolkraft erhalten. So war es auch am Dienstag, als im Neubauer-Saal der Franckeschen Stiftungen die „Fachkräfteallianz hallesaale“ gegründet wurde. Keine 100 Meter Luftlinie entfernt hatte das Jobcenter in den Stiftungen Langzeitarbeitslose und Firmen zusammengebracht. Das Ziel: Menschen, die sich teils selbst als Verlierer sehen, wieder eine Perspektive zu geben. Das ist auch ein Ziel des Bündnisses, das Stadt, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter, die Handwerkskammer, die IHK, den Mittelstands-Verein und den DGB als Partner vereint. „Wir brauchen jeden und wollen auch jeden mitnehmen“, sagte die Sozialbeigeordnete Katharina Brederlow (SPD).
Schulterschlüsse, um Fachkräfte zu gewinnen oder zu halten, gibt es viele. Und viele von ihnen sind auch längst wieder gescheitert, berichtete Karsten Priedemann, Geschäftsführer beim DGB für die Region Halle-Dessau. „Wir werden den Kampf um Fachkräfte nicht gewinnen, aber wir können ihn begleiten“, sagte er. Wichtig sei, dass die Absichtserklärungen keine Papiertiger blieben. Doch was soll die Allianz bewirken?
„Der größte Fehler wäre, wenn wir uns gegenseitig die Fachkräfte wegnehmen“, meinte Bürgermeister Egbert Geier (SPD). Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau, sieht es ebenso. Auf der Mikroebene, direkt bei jedem einzelnen Unternehmen, gebe es sehr wohl einen Wettbewerb um fähige Leute. Aber im Großen und Ganzen müsse man Egoismen ablegen. „Mitunter ist das Kirchturmdenken, bei dem sich jeder selbst der Nächste ist, so schlimm, dass es körperlich fast schon wehtut.“ Brockmeier brachte als Beispiel den Kampf um die Ansiedlung von BMW in den 90er Jahren. Während Sachsen mit Leipzig ins Rennen ging und die Bewerbung quasi als Landesangelegenheit verkaufte, hätten sich Halle und Magdeburg gegenseitig behindert. Derartige Fehler sollen sich nicht wiederholen. „Und deshalb geht es nicht nur um Halle, sondern auch um den Saalekreis und die anschließenden Regionen.“ Für Halle und das Umland sieht er gute Chancen, „zumal man sich das Leben in Leipzig nur noch mit einem Lottogewinn leisten kann“.
Letztlich haben aber alle das gleiche Problem: Die Bevölkerung altert, Fachkräfte werden weniger, die Digitalisierung bringt neue Herausforderungen mit sich. „Ich arbeite seit 17 Jahren bei der Stadt. Es gab Zeiten, da hatten wir Hunderte Bewerber auf Ausbildungsstellen. Heute ist es nur noch ein Viertel davon“, sagte Geier. Durch seine Gespräche mit Firmen wisse er, dass die Unternehmer vor den gleichen Schwierigkeiten stünden. Wie die Allianz dagegen wirken kann, soll in einer Strategie festgehalten werden, die noch erarbeitet werden soll. Wichtig ist dem Bündnis, dass es nicht im eigenen Saft schmoren, sondern sich auch mit anderen Akteuren vernetzen will. Die Federführung liegt bei der Stadt, im Fachbereich Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung.
Für Kontroversen sorgte unterdessen ein Vortrag von Per Kropp aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Er beleuchtete die Arbeitsmarktsituation im mitteldeutschen Revier. Der Kohleausstieg werde nicht zu einem Strukturbruch führen, die Zahl der Arbeitsplatzverluste sei im Verhältnis gesehen gering. Brockmeier widersprach. Nicht nur der nachgelagerte Dienstleistungssektor sei betroffen. Vielmehr stabilisiere die Kohle als Rohstoff bei der Stromerzeugung die Preise. Ohne diesen Energieträger könnten die Kosten derart steigen, so dass viele Unternehmen in Schwierigkeiten geraten, meinte der IHK-Chef.