Raus aus gewohnten Bahnen Raus aus gewohnten Bahnen: 25-Jähriger Zimmerer aus Halle geht auf die Walz

Halle (Saale) - Im „Groben Gottlieb“ war am vergangenen Sonntagvormittag viel los. Ein langer Tisch ist in dem urigen Lokal in der Großen Märkerstraße einer ganz besonderen Gesellschaft vorbehalten. Die Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmerer- und Schieferdeckergesellen zu Halle/Saale hat sich versammelt, um einen ihrer Brüder zu verabschieden: Moritz Frank geht auf die Walz. Und das wird nach altem Brauch begangen. Seit sechs Jahren ist der „Gottlieb“ Treffpunkt für die Vereinigung, die im Fachjargon „Schacht“ heißt.
Zimmerer aus Halle: Auf den Weg in die Ferne
Bevor sich Frank auf den Weg in die Ferne macht, gibt es mit einem zünftigen Bier und deftigen Schinkenbroten eine Stärkung für den 25-Jährigen und seine Begleiter. Denn der Treuenbrietzener, der in Halle seine Ausbildung zum Zimmerer absolviert hat, wird seine „Tippelei“, wie die Walz liebevoll genannt wird, nicht allein antreten. „In den ersten Tagen und Wochen werden einige Zunftbrüder mit ihm gehen, und auch danach sind die Gesellen fast immer zu zweit unterwegs“, erklärt Holger Tintemann.
Der Zimmermann ist seit 20 Jahren Altgeselle der Vereinigung und hat als solcher bereits rund 25 junge Männer in die Wanderschaft verabschiedet. Frauen, sagt er, dürften in dieser Vereinigung übrigens nicht auf die Walz gehen - in anderen Schächten aber durchaus. Nicht erst, nachdem Moritz Frank im September vergangenen Jahres vor der hiesigen Handwerkskammer seine Freisprechung als Geselle erfahren hat, reifte in dem jungen Mann der Wunsch nach der Ferne.
„Ich möchte raus aus gewohnten Bahnen, Neues erleben und vor allem viel lernen“, erklärt er seinen Beweggrund, für mindestens drei Jahre und einen Tag - so verlangt es das umfangreiche Regelwerk - unterwegs zu sein.
25-jähriger Zimmerer geht auf die Walz
„Der Geselle darf sich dabei seiner Heimatstadt nur bis auf 50 Kilometer nähern“, so Tintemann. Eine weitere Regel: Der wandernde Geselle, der unter 30 und schuldenfrei sein müsse und keinerlei materielle und familiäre Verpflichtungen haben dürfe, müsse sich auf der Walz seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen. „Er darf natürlich ein Essen oder ein angebotenes Obdach annehmen“, so Altgeselle Tintemann.
Doch oft wird vor allem letzteres gar nicht nötig sein: „Unsere Vereinigung hat dank vieler Gesellen, die sich in der Ferne niedergelassen haben, Herbergen und Arbeitsmöglichkeiten in aller Welt“. Mehr als 60 Herbergen böten Unterkunft, und vor allem im deutschsprachigen Raum - Deutschland, Österreich und die Schweiz - seien die reisenden Gesellen in ihrer typischen Kluft gern gesehen.
Gut gerüstet wird Frank, nachdem er und seine Zunftbrüder ein traditionelles Lied geschmettert haben, aus der Stadt geleitet. Im Gepäck: Sein „Charlottenburger“ mit all seinen Habseligkeiten: Kleidung, Werkzeug, Wanderbuch. Erste Station wird Erfurt sein. Doch schon bald wird man sich wiedersehen: beim Himmelfahrtstreffen in Flensburg. (mz)

